Transparenz/Diaphania (7) Über Beipackzettel

Nach der Entdeckung der Strahlen, die unseren Corpus transparent machen (siehe gestrigen Eintrag  zu Röntgen), ging es mit der Medizin mächtig aufwärts, mit der Transparenz im Geschäftsgebaren jedoch eher abwärts. Zumindest ist es das, was ich frech behauptet habe.

Aber ist das gerecht? Sind die Arzneimittelhersteller heute nicht gesetzlich zu höchster Transparenz verpflichtet? Warum sonst sind die Beipackzettel der Medikamente heute meterlang? Da steht ja schwarz auf weiß, was du von dem Medikament erwarten, aber auch, was du dir einbrocken kannst, wenn du es nimmst. Und am Ende steht der freundliche Rat: „Frage deinen Arzt“ oder „Frage den Arzt deines Vertrauens“.

 „Deinen Arzt“. Lang lang ists her, dass ich einen solchen „meinen Arzt“ hatte. Eigentlich hatte ihn meine Mutter, denn er war der Hausarzt, der uns alle seit unserer Geburt kannte und der wusste, ob der Husten behandlungsbedürftig war. Er wusste auch mit den Tieren Bescheid. Gibt es solche Allgemeinärzte noch? Ich weiß es nicht. Mir scheint, die Ärzteschaft hat sich in tausend Einzelkompetenzen aufgespalten, und einen „Onkel Doktor“, wie wir ihn noch kannten, gibt es nicht mehr. Natürlich lasse ich mich gern eines anderen belehren. 

Wenn kein Doktor greifbar ist, geht man schon mal ohne dessen Ratschlag in die Apotheke und lässt sich dort ein Medikament aushändigen, das womöglich gegen den Husten hilft. Oder gegen Blähungen. Oder gegen Sehstörungen, Kopfschmerzen, Rheuma, was weiß ich. Man trägt dann das Medikament nach Hause und liest den Beipackzettel, denn den soll man „sorgfältig lesen“. Der Text ist allerdings sehr lang, und damit er in die Packung passt, müssen die Buchstaben sehr klein sein. Eine Lupe wäre da am Platze. Wenn es einem gelungen ist, den ganzen Text zu entziffern, fragt man sich ängstlich: Soll ich das Zeug tatsächlich nehmen? Weiß ich denn, ob ich gegen A…. allergisch bin? oder ob sich mein anderes Medikament mit diesem verträgt? Falls nicht, soll ich gleich „meinen Arzt aufsuchen“. Aber da waren wir doch schon mal…

Genug des Gemosers. Optimismus ist angesagt. Und so greife ich noch einmal ins Archiv und ziehe eine frühere abc-Etüde heraus, die sich um die Worte „Geheimkünstler“, „suggerieren“ und „sperrig“ rankt ( „Lob der Chemie“)

Lob der Chemie.

Auf dem Beipackzettel steht

Was mit dieser Pille geht:

 

Du hast dir Kilos angefressen?

Die darfst du heute schon vergessen.

Auch wenn du isst was auf dem Tisch

Bleibst du doch schlank und jugendfrisch

 

Hast du Ärger mit dem Mann

Weil er was Männliches nicht kann

Gib ihm die Pille nur geschwind

Schon morgen kriegst du dann ein Kind.

 

Gib dem Kinde, wenn es plärrig

Trotzig oder allzu sperrig

Andres will als du und ich

Eine Pille vorsorglich.

 

Kommst du leicht schon aus der Puste

Eine Treppe – huste huste

Die Pille hilft, ja, rauche nur

Vom Husten bleibt dir keine Spur.

 

Wir möchten dir auch suggerieren:

Du brauchst die Pille zum Studieren

Fürs Hirn, fürs Herz und untenrum

Denn ohne Pille bleibst du dumm.

 

 O ja, Chemie mit ihrer Kraft

Hat jede Krankheit abgeschafft.

Hab vor dem Tode keine Bange!

Vertrau nur ihr, so lebst du lange.

 

Auch wenn du frisst und säufst und rauchst

Und täglich dein Stück Torte brauchst

Wenn du statt draußen zu spazieren

Noch ein Likörchen willst goutieren

 

Du bleibst doch knackig und gesund

Es reicht, dass du durch deinen Schlund

Alltäglich diese Pillen schickst:

Und dich mit der Chemie beglückst.

 

Geheimkünstler sind nicht am Werke

Die Transparenz ist unsre Stärke

Wir sagen dir, was in der Pille

Und wie sie alles Übel kille.

 

Auf dem Beipackzettel steht

Was mit dieser Pille geht.

Wenn du genau hinschaust, siehst du, dass diese Wesen transparent sind. Du siehst die gerauchten Zigaretten im Brustkorb des Mannes, die entzündete Schilddruse und was im Unterleib der Frau vorgeht, und im zentralen Stück kannst du auch einen Blick auf die Vorgänge der Zeugung werfen. Da gibt es nichts Dunkles und Geheimnisvolles mehr um das werdende Leben, denn alles ist transparent, wie es der moderne Mensch verlangen kann.

 

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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18 Responses to Transparenz/Diaphania (7) Über Beipackzettel

  1. Avatar von Myriade Myriade sagt:

    Besonders schöne Kata-Strophen und ein geniales Legebild !!

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  2. Avatar von Mitzi Irsaj Mitzi Irsaj sagt:

    Das Legebild ist wunderbar. Wunderbar gestaltet und wunderbar durchdacht mit vielem Inhalt. Wunderbar natürlich nicht die Zigaretten im Brustkorb, aber die Darstellung…du weißt sicher was ich meine.
    Den „einen“ Arzt hätte ich auch gerne. Klar, ich habe eine Praxis die mich krankschreibt, wenn es nötig ist. Aber den vertrauten Ansprechpartner, zu dem man mit einem diffusen Gefühl, in Richtung „ich glaube etwas stimmt hier nicht“ gehen kann, hätte ich nicht. Im privaten habe ich einen Arzt, aber eigentlich würde ich privat und Arzt lieber trennen. Wenigstens bei den Medikamenten kann er mir weiterhelfen und klar sagen, wovon man besser die Finger lassen sollte.

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      So weit ist es gekommen, dass wir unsere ärztlichen Freunde um ärztlichen Rat fragen müssen, weil wir in der unübersichtlichen Ärztelandschaft nicht mehr wissen, wen wir fragen können, „wenn etwas nicht stimmt“. Beim krank- und rezeptschreibenden Arzt diktiert man ihm am besten, was man wünscht, und bezahlt ihn dafür, dass er unterschreibt, was er verordnet, ohne einen angesehen zu haben. Ich habe eine Ärztin meines Vertrauens, die ist außerdem Homöopathin, und da ich nur ihre Dienstleistungen als Homöopathin in Anspruch nehme, bezahle ich selbst.

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  3. Avatar von Christiane Christiane sagt:

    Und die Leute glauben das!!! In allen Threads mehren sich die Gesundheitsthemen, bald wird es nicht mehr nur Corona/Grippe sein, sondern Entschlacken, Bikinifigur etc. Ach, wären die Mittelchen nur transparent 😒😏
    Ich hatte die Etüde schon vergessen, aber sie stimmt heute wie damals, und auch dein Legebild passt prima …
    Morgenkaffeegrüße ☁️🌧️🛋️☕🍪

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  4. Avatar von elsbeth elsbeth sagt:

    Danke , Gerda ! in künstlerischer Gestaltung, in Legebild und Gedicht, einfach GENIAL!!! Zu der ganzen Misere der geforderten, unreflektierten Wissenschafts-Gläubigkeit passt auch dieses arrogante Statement von Lauterbach vor ein paar Tagen :“Homöopathie macht als Kassenleistung keinen Sinn. Auch den Klimawandel können wir nicht mit Wünschelruten bekämpfen. Die Grundlage unserer Politik muss die wissenschaftliche Evidenz sein.“ Er scheint nicht einmal zu wissen, dass „berufsmäßige „(!) Rutengänger bis heute sehr wohl vor Brunnenbohrungen geholt werden !Eben als Fachleute anderer Couleur und Fähigkeit, nicht als esoterische Spinner.
    Gesundheit/ Krankheit und alles, was damit zusammenhängt, gehört NICHT in die Hände der Politik. Im Grunde ist im Grundgesetz Art, 2 dies als Selbstbestimmungsrecht den Menschen garantiert.
    Vielleicht brauchen wir aber heute als mündige Bürger eine der “ Habeas Corpus“-Akte (1679 ) ( etwa : „einen eigenen Körper zu haben “ muss anerkannt werden ) eine dem vergleichbare Neuregelung??? Im Sinne von–was Gesundheit und Krankheit betrifft, liegt in der Verantwortung des Individuums. In der Aufklärungs-Pflicht des Staates. Nicht im Machtbereich des Staates.

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  5. Zum Glück habe ich immer gute Hausärzte gefunden, auch mit der jetzigen kann ich gut reden. Ihr Spektrum ist breit: Psychologie Psychotherapie und Homöopathie gehören neben der Allgemeinmedizin dazu! Also trotz überlaufener Praxis bekam ich sogar einen Geburtstagsgruß!
    Liebe Grüße Gerel

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  6. Ein Hausarzt hat mich zuhause zur Welt gebracht. Meine Mutter schaffte es nicht alleine und wäre er nicht gewesen, gäbe es mich nicht in dieser Welt…
    Du schreibst *Weiß ich denn, ob ich gegen A…. allergisch bin? oder ob sich mein anderes Medikament mit diesem verträgt? *
    Mit diesem Problem kann ich zu meinem Schwiegersohn, aber nicht, weil er Arzt wurde, sondern ein IT-Mann 🙂 Er macht es mir transparenter. Gibt 1000erlei Faktoren/Fakten ein und die App hat die Lösung. Ein Programm für Ärzte

    Ach ja, die Transparenz. Zu vieles ist mir viel zu wenig transparent und ich habe das Gefühl, die mangelnde Transparenz ist sehr ansteckend.

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      Auch wir wurden vom Hausarzt ins leben befördert, und es war zwar kein Spezialist, sondern ein Feld-, Wald- und Wiesendoktor, aber ich hatte großes Vertrauen zu ihm. Als „Spezialisten“ mich in die Finger bekamen (da war ich 18), konnte er leider nicht einschreiten. „Die hören ja das Gras wachsen“, meinte er, und ich glaube, da hatte er recht.

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  7. Avatar von Unbekannt Anonymous sagt:

    Gegen ne blaue Nas
    Hilft nur:Lass!
    Das sagt jeder Doktor
    Ne Pille lässt er aussen vor
    Anders kenn ichs nicht
    Welch Leiden du auch ansprichst.
    😀

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