Welttheater, 5. Akt: Wilhelm und das Traumwesen, Domna

Was zuletzt geschah (Zwischenbilanz)

Nach Wiedereröffnung des Welttheaters am 10. Dezember haben sich zuerst die blinde Dichterin Domna und das Kind Clara eingefunden. Clara bat Dora um Hilfe. Die rief die Wichtel unter Führung von Wichtelboss Hobo herbei. Die Wichtel zimmerten ein schiffartiges Gerüst und strichen die Segel leuchtend gelb. Dann rief Hobo auf Claras Geheiß hin „die anderen“ der Truppe, die das laufende Jahr vertreten.

Als erste erschien Jenny-the-Kid. Es folgten Tschinn-der-Macher mit seinem Vieh Kairos, Hera und die Spirits. Dann traten auch die heimatlose Danai und die immer fragende Trud auf.

Wer wird als nächstes Hobos Ruf hören und auf der Bühne erscheinen?

Es ist der „Überlebenskünstler“ Wilhelm. Über ihm schwebt das Traumwesen. 

Hobo

Oho, das ist ja eine Menge

von Leuten, grässliches Gedränge

Ein Neuer ist an Bord erschienen

begleitet von ner Nackt-Blondinen.

Was der wohl will? Kennt ihr den auch?

Er stell sich vor, wie es der Brauch.

Wilhelm

Man nannte mich Wilhelm, und immer noch such ich die Holde

nach der ich mich sehne, die zauberhafte Isolde

Traumwesen**

Ich bin die Isolde, hedonisch und frei

schweb über dem Wilhelm, wo immer er sei.

Jenny

Den Wilhelm den kenn ich, der ist auch mein Freund

mit dem bin ich lange zusammen gestreunt

Ich pass auf ihn auf, und er hilft auch mir

Wir stehn für einander, wie mir so auch dir.

 

Die andre dadrüber, die mag ich nicht sehn,

die sollte verschwinden, woanders hin gehn.

Traumwesen

Ich bin stets da, wenn du mich rufst,

muss da sein, denn du selbst erschufst

mich träumend nachts als deine Illusion

und wie ich wurde, so entschwind ich schon.

 

Die Zeit ist rum, verflossen ist die Nacht

die mich im Mondeslicht zu dir gebracht.

 

(Traumwesen verblasst)

Wilhelm

O weh, sie geht, so haltet sie doch fest!

Mein Herz zerbricht mir, wenn sie mich verlässt!

Jenny

Lass sie doch fahren, Wilhelm, was soll dir das Weib?

Ich bin dir treu, dein Kumpel. Wenn du mir sagst: Bleib!

bin ich bei dir und du bist nicht allein

mit mir als Freund kannst du stets sicher sein.

Wilhelm

Ach liebe Jenny, das verstehst du nicht.

Wenn die Isolde geht, mein Herz zerbricht.

Domna

Du Mann, der einst nur an das Überleben dachte

und sich ein Lager für den Notfall machte

Du stürztest ab, und als du aufgewacht

hast du nur noch an eins gedacht:

 

wie man des Lebens Lust ergreife

und wie der Liebe süße Frucht wohl reife.

Doch statt der Liebe, der so laut erflehten

Wurdest du nur zum Träumer und Poeten.

 

Statt nach der Liebe nur zu lechzen

wie nach dem Trank, der deinen Durst dir stillt

und unter Liebesschmerzen schwer zu ächzen

schiene es besser mir, du wärest mal gewillt

 

dich andern Menschen liebevoll zu nahen

ihnen zu nutze sein und ihnen wohl zu wollen

sie wie sie sind zu lieben, zu bejahen

und ihnen wegen Fehlern nicht zu grollen.

Jenny

Er hört nicht zu, der Mann, er ist schon abgedriftet.

Das nackte Weib ist schuld, denn das hat ihn vergiftet!

Wilhelm (murmelnd)

„Weißt du, ich will mich schleichen
Leise aus lautem Kreis,
Wenn ich erst die bleichen
Sterne über den Eichen
Blühen weiß.

Wege will ich erkiesen,
Die selten wer betritt
In blassen Abendwiesen –
Und keinen Traum, als diesen:
Du gehst mit.“*

(Wilhelm verblasst)


*Quelle: Rilke, Die Gedichte. Nach der von Ernst Zinn besorgten Edition der sämtlichen Werke, Insel Verlag 1957. Advent, 1897

**Das „Traumwesen“ und Isolde (Hedonie) sind eigentlich zwei unterschiedliche Gestalten. Das Traumwesen bedient sich Isoldes Sprache. Für Wilhelm sind beide in Eins zusammengeflossen: Er hält das Traumwesen für seine geliebte Isolde.

 

 

 

 

Avatar von Unbekannt

About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Collage, Dichtung, Kunst, Leben, Legearbeiten, Malerei, Meine Kunst, Psyche, Träumen, Welttheater abgelegt und mit , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..