Welttheater, 4. Akt, 39. Szene: Gastfreundschaft

Was zuletzt geschah:

Die Gruppe wandert zur Höhle. Wilhelm findet Zugang zu seinem Inneren, bedankt sich für die Hilfe. In der Höhle hat Trud der kleinen Clara alte Lieder vorgesungen. Als alle ihr Lieblingslied singen – der Kuckuck und der Esel, das vom sinnlosen sich gegenseitig Übertrumpfen handelt – kommt der Hirt mit dem Hund herein. Erschrockenes Schweigen.

Fotis (der Hirt)

Ja singt nur weiter, liebe Leute,

hab lang schon kein Gesang gehört.

Mein Esel trötete zwar heute

zum Glück hat er nicht sehr gestört.

 

Die Kleine schlief so fest und selig

im Arm der lieben alten Frau

da wärs doch wirklich unausstehlich

wenn er sie weckte mit Radau.

 

Ich selbst trieb leise meine Schafe

hinaus damit sie grasen können.

Und meine Hunde, das sind brave,

die Kindern ihren Schlaf wohl gönnen.

 

Jetzt kam ich wieder, um zu sehen

wie mags dem Kind, der Frau wohl gehen?

Sie sind wohl hungrig, haben Durst?

Drum bracht ich Wasser, Brot und Wurst.

 

Nun seh ich, dass noch andere kamen

Der Herr scheint müde und verletzt

und sicher seid ihr, meine Damen

auch hungrig und wollt essen jetzt?

 

Ich bin ja nur ein armer Hirte

doch hab ich Milch und Käse auch.

Wenn ihr erlaubt, dass ich bewirte

so könnt ihr füllen euren Bauch.

Domna

Ists wahr? Ich träum nicht? Sind die Zeiten

die glücklichen zurückgekehrt

als Menschen, ohne sich zu streiten

zusammen saßen um den Herd?

 

Als sie, begierig zu erfahren

wie anderswo das Leben spielt

die Fremden fragten, wo sie waren

und wie es sich wohl dort verhielt?

Jenny

Du willst uns was zu essen geben?

O das ist wirklich furchtbar nett!

für Käse gäbe ich mein Leben

und noch viel mehr fürn Omelett!

Clara:

Und Milch für mich, du guter Mann!

Ich trank mal Milch, ich weiß nicht wann

ist schon so lang, habs ganz vergessen.

Auch würd ich gern ein Brötchen essen.

Hawi

Auch ich hab Hunger, sogar sehr,

mein Magen knurrt, mein Bauch ist leer.

Fotis

Nur zu, kommt mit in meine Hütte

da gibt es alles, was ihr wollt

Es sind von hier nur ein paar Schritte

ist freilich schlicht und nicht von Gold.

Die Höhlenkulisse verschwindet, es erscheint ein Dorf.

Fotis zu Wilhelm

Und du, scheint mir, kannst nicht mehr weiter

es wäre wohl, scheint mir, gescheiter,

wenn du dich hinlegst mit dem Bein

Ich ruf den Tierarzt, der renkts ein.

 

Ihr beiden dort, was drückt ihr euch

da hinten rum, kommt zu mir her

Wisst ihr denn nicht, dass Vater Zeus

will dass ich alle Menschen ehr?

 

Die Gastfreundschaft, sie ist mir heilig

der Fremde ist mein liebster Gast

euch zu bedienen, geh ich eilig

Ihr aber setzt euch hin zur Rast.

Die Kulisse ändert sich erneut, zeigt nun das Innere des Hauses.

Abud

Darf ich dir helfen, ich bin jung und stark

Jenny

Auch meine Füße schmerzen mir nicht arg!

Hawi

Ich kann was tragen, wenn du mir zeigst was

Clara

Ich komme mit, das Helfen macht mir Spaß!

Trud

Wo kann ich helfen, darf ich fragen?

Denn leer ist leider auch mein Magen.

Danai

Ich kann uns einen Krautsalat bereiten

Domna

Und ich kann euch mit einem Sang begleiten.

Fotis

Ja singen wolln wir, dann geht’s besser,

und hier mein Junge gibt es Messer,

und Gläser dort, es sind nur zwei

doch von den Tellern hab ich drei.  

 

Der Tisch ist leider ziemlich klein

denn meistens ess ich ja allein

zu Domna:

Hier kannst du sitzen mit dem Kind.

Du siehst wohl nicht? Du bist wohl blind?

Domna

Die Augen taugen nichts, da hast du recht

doch fühl ich grad durch diese Türe treten

die Göttin, wie sie segnet ihren Knecht,

weil du die Fremden in dein Haus gebeten.

 

Du, guter Mann, tust, was der Gott befohlen:

den Fremden öffnest freundlich du die Tür

dass sie sich von den Mühn der Fahrt erholen

und sättigen, gedankt sei dir dafür.

Hera

So war es schon immer, so muss es auch sein:

Der Mensch braucht Gesellschaft, wer isst gern allein?

Wenn sich der Hausherr freuet der Gäste

Wird auch ein einfaches Mahl ihm zum Feste.

Domna

Wie wir nun zusammen sind,
Sind zusammen viele.
Wohl gelingen denn, wie uns,
Andern ihre Spiele!
Von der Quelle bis ans Meer
Mahlet manche Mühle,
Und das Wohl der ganzen Welt
Ist’s, worauf ich ziele.

(J.W.Goethe, Tischlied, letzte Strophe, geschrieben am 22. 2.1802, vertont von Franz Schubert.)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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11 Antworten zu Welttheater, 4. Akt, 39. Szene: Gastfreundschaft

  1. Gisela Benseler schreibt:

    Welch ein Wandel zum helfenden Miteinander! Da wird einem ja warm ums Herz.♥️

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    • gkazakou schreibt:

      Ja. Als der Hirt mit dem Hund erschien, gab es zwei Möglichkeiten: erneuter Streit, Angst und Hunger, oder eben die umgekehrte Richtung: der Hirt als Symbol von Zuwendung und Ernährung. Mir schien, dass die „Helden“ durch Vorerfahrungen nun bereit waren zu verstehen, was diese günstige Wendung ihres Schicksals bewirkt hatte.
      Natürlich hätte ich auch Wilhelm in seiner gegen Abud, Abud gegen Wilhelm ganz verhärteten Haltung mit dem Hirten konfrontieren können, aber dann hätte der Hirt seinen menschenfreundlichen Charakter nicht ausspielen können.

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      • Gisela Benseler schreibt:

        Ja, als Dramaturgin eines „Welttheaters“ hat man doch wirklich eine ziemlich große Freiheit, manches Festgefahrene doch noch zu einer friedlichen Wendung zu führen.
        Daß wir auch für unsere eigene Lebensgestaltung viele Möglichkeiten haben, begreifen wir und nutzen wir oft viel zu wenig.

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      • gkazakou schreibt:

        Danke für diesen Kommentar! Ja, in der Kunst ist vieles möglich, was im Leben schwierig zu sein scheint. Aber tatsächlich sind auch im Leben Freiheitsgrade vorhanden, die man nutzen kann.

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  2. Gisela Benseler schreibt:

    Und Deine Kulissen helfen auch bei den wechselnden Szenen und Stimmungen, Gerda. Wie es technisch möglich ist, all diese Figuren, ohne sie auszuschneiden, auf die neue Kulisse zu projizieren, kommt mir wie Zauberei vor.

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  3. alphachamber schreibt:

    Wunderbare, einmalige und intelligente Kunst !

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