Es gehört zu meinen liebsten Tätigkeiten, dies Aufstellen, das ich vor -zig Jahren zuerst am eigenen Leibe erfuhr, dann studierte und schließlich in Gruppen anwendete. Ich tue es bis heute mit größtem Vergnügen.
Die Methode des Aufstellens durch „Stellvertretung“ hat sich, seit Bert Hellinger sie zuerst entwickelte, inhaltlich vielfach gewandelt. Geblieben ist ein ominöser Vorgang, der wohl auch der Grund ist, warum die Aufstellungsmethode – anders als andere Ansätze der systemischen Psychologie und Therapie – von vielen Wissenschaftlern mit spitzen Fingern angefasst wird. Es ist die Funktion des „informierten Feldes“. Kaum stellen sich Menschen „stellvertretend“ für tatsächliche Personen, Zustände, Gegenstände oder Begriffe in den Raum, der als „Feld“ definiert wurde, beginnen sie etwas zu empfinden, sich zu bewegen, zu interagieren. Es entwickeln sich Dialoge, Dramen spielen sich ab – und keiner weiß, wieso und warum. Ich selbst habe unzählige Male diese Wirkung an mir erlebt und kann sie nicht erklären, aber ich kann sie auch nicht leugnen. Das ominöse „Feld“ informiert über Vorkommnisse, Gefühle, Überzeugungen, von denen sogar der Fragesteller zuvor nichts wusste bzw die er für irrelevant hielt. Er sieht verblüfft, irritiert oder auch zu Tränen gerührt Dinge, die er tief in seinem Inneren verborgen glaubte oder weit zurückliegende Ereignisse, die sich beim Nachforschen als wahr oder zumindest wahrscheinlich herausstellen.
Das Ganze sieht für einen kritischen Beobachter schon sehr nach Spuk aus. Und so ist es kein Wunder, dass sich die interessierte Menschheit aufs Schärfste trennt in Befürworter und Gegner der Aufstellungsmethode. Die Befürworter gelten den Gegnern als Spinner, Scharlachtane, Esoteriker und wie die Fächer heißen mögen, in die man gestopft wird, und bei Google-Anfragen wird man über die schlimmsten Missbräuche informiert.
Tja. Ich also bin eine Aufstellerin, seit 1986 habe ich Kenntnis davon, in den 90er Jahren nahm ich an einer Reihe von Seminaren und Kongressen mit Helliger teil, machte auch eine 5jährige Ausbildung am Athener Institut für Aufstellungspraxis, und habe seither viele hunderte von Aufstellungen angeleitet. Mein Vorgehen variiert je nach Thematik und Verstehens-Voraussetzungen des Interessierten und nach Verfügbarkeit von Stellvertretern.
Gestern ergab sich eine spontane Sitzung mit unserer wöchentlich sich treffenden Gruppe. Die Frage einer Teilnehmerin war „Wie kann ich aus meiner Arbeit Profit ziehen“ – anstatt ständig kurz vor der Pleite zu stehen. Heute suchte mich ein Paar im Atelier auf. Der Mann ist seit kurzem Vorgesetzter einer wissenschaftlichen Behörde und findet in seiner Arbeitsgruppe viel Widerstand und geringe Kooperationsbereitschaft. „Wie kann ich die Gruppe zum Funktionieren bringen?“ war seine Frage.
Was taugen die dabei gemachten Erfahrungen? Nun, hier gilt dasselbe wie bei allen anderen Erfahrungen auch: das kann nur beurteilen, wer sie gemacht hat.
Anstelle sonstiger Illustration zeige ich noch zwei heute nebenbei entstandene Legebilder aus Susanne Hauns Schnipseln:
Ich selber habe lange mit dem Gedanken geliebäugelt, an einer Aufstellung teilzunehmen. Lassen sich denn dadurch deiner Erfahrung nach langfristige theapeutische Effekte erzielen?
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Es kommt drauf an. Worauf? a) auf den Reifezustand des Problems und des Lösungswillens des davon Geplagten b) auf die Weisheit des Aufstellers. Zu a) Wenn jemand zB erklärt. von einer Sucht runterkommen zu wollen, ist die Frage: will er das tatsächlich? Oder ist ihm die Sucht doch lieber als die Abstinenz? zu b) Viele Aufsteller folgen einfach den „Rezepten“, die sie gelernt haben. Ich finde das fürchterlich. Ein Aufsteller muss sich ganz dem Problem des Fragenden öffnen, sich in seine Seelenverfassung hineinfühlen und auf jedes Moralisieren verzichten. Er muss den anderen gelten lassen, wie er ist, und jeden Versuch unterlassen, ihn zu belehren oder zu verändern. Sehr oft passiert es, dass der Aufsteller und auch die Repräsentanten die Lösung sehen, nicht aber der Betroffene selbst. Dann ist es eben so. Langfristige therapeutische Effekte gibt es, wenn der Betroffene das sich ergebende Lösungsbild als richtig erkennt, anerkennt, und sein Verhalten entsprechend zu verändern vermag. Das sind drei Schritte. Der erste kann meistens erreicht werden: der Fragende erkennt, was ihm gezeigt wird (zB es stimmt, was ich immer gefühlt habe: die Mutter liebt meinen Bruder mehr als mich). Der zweite ist schon schwieriger: das Erkannte anerkennen, akzeptieren (zB ich akzeptiere, dass die Mutter den Bruder mehr liebt als mich und ich das auch nicht ändern kann). Der dritte Schritt ist selten vollständig umzusetzen (zB Das wenige, was meine Mutter mir gegeben hat, ist genug gewesen, um mich am Leben zu erhalten, sie ist mir nichts schuldig und mein Bruder ist mir auch nichts schuldig. Ich fühle keinerlei Groll gegen sie und lasse alle Komplexe, die sich aufgrund dieser Zurücksetzung eingestellt haben, los. Auch in meinen aktuellen sozialen Kontexten kämpfe ich nicht mehr um Liebe von Menschen, die sie mir nicht geben können oder wollen.) Dies ist ein ganz willkürliches Beispiel, und da jeder Mensch anders ist, darf daraus kein Schema abgeleitet werden. Manche Menschen brauchen zB ihren Groll und können damit ganz gut leben. Andere leiden unter ihrem Groll. Therapie bedeutet, dass der Mensch ein Leiden, dass ihn in der Entwicklung und im Genuss des Lebens hemmt, mildert oder los wird.
Im Unterschied zu langfristigen Psychotherapien werden beim Aufstellen oft sehr kräftige therapeutische Anstöße gegeben, zumal auch das mit einbezogene System in Bewegung gesetzt wird. Das ist auch eines der Rätsel: man gibt dem ganzen System und nicht nur dem, der nachfragt, quasi einen Schubs, etwas gerät ins Fließen, justiert sich neu. ZB werden bis dahin vom System Ausgeschlossene gesehen, was zu einer Beruhigung führt. Aber das ist ein weites Feld, das ich jetzt hier nicht ausführen kann.
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Vielen Dank für diese ausführlichen Beispiele! Wichtigen Punkt finde ich die Frage: will ich überhaupt etwas ändern, oder ist mir der eigene Groll (als Beispiel) am Ende doch lieber? Und: auf das (heute m. E. so inflationär gebrauchte) Moralisieren verzichten, damit Therapie gelingen kann.
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Ich habe es noch nie gemacht, habe aber mal bei einer kleinen Aufstellung in einem anderen Zusammenhang zusehen können und auch von einigen anderen Leuten spannende Aussagen dazu gehört. Es ist erstaunlich, wie diese Stellvertreter in die entsprechenden Rollen rutschen. Irgendwann mache ich das vielleicht noch mal. Interessieren würde es mich. Deine Legebilder dazu sind toll!
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Es kommt schon sehr auf den Aufsteller an. Das ist wie beim Arzt. Wenn ich mich nicht gut fühle, sagt man mir: geh zum Arzt. Ich frage dann zurück: zu welchem? Wenn dir ein vertrauenswürdiger Mensch von einem guten Aufsteller erzählt hat, kannst du schon mal hingehen. Danke für dein Legebilder-Lob!:)
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Ja, da hast du sicher Recht! Das werde ich in Erinnerung behalten, danke.
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🙂
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Liebe Gerda,
ich habe mit systemischen Familienaufstellungen vor vielen Jahren SEHR gute, belichtende, heilsame und nachhaltig wirkende Erfahrungen gemacht.
Jede Themen- oder Situationsaufstellung war berührend, erkenntnisfördernd, klärend und nährend. Ich habe dabei manchmal Wasserfälle geweint aber auch erlösend gelacht.
Nie werde ich vergessen, wie meine Therapeutin einmal meine weibliche Ahnenreihe hinter mir aufstellte – so viele tapfere Frauen, die mir liebevoll den Rücken stärken …
Bevor ich mich auf eine solche Therapie einließ, habe ich viele Bücher zum Thema gelesen – auch einige von Bert Hellinger. Selbst die Lektüre hat mir schon etwas gebracht, da ich das Prinzip der familiären Verstrickungen dadurch verstanden habe.
Herzlich grüßt Dich
Ulrike
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ganz herzlichen Dank für deine schöne Resonnanz, liebe Ulrike.
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Danke für den schönen Text, der mir als distanziertem Zuschauer Respekt für die Praxis des Aufstellens abnötigt. Und mich ermuntert, Dir zu Deiner „Tagebuch der Lustbarkeiten“-Serie ein Kompliment zu schicken: Das ist eine Übung, die mir notwendig erscheint, obgleich ich sie noch nicht als alltägliches Ritual in meinen Tageslauf integriert habe. Dies „count your blessings!“ – „Zähle deine Segnungen!“ ist mir zuerst an Thanksgiving begegnet, und die Mischung aus Nation und Christlichkeit, in der es auftrat, hat mich befremdet. Inzwischen habe ich gelernt, dass die Dankbarkeit, die das Aufzählen der vielen kleinen Lustbarkeiten des Lebens begleitet, auch ohne Adresse gilt und wirkt: Eine unadressierte Dankbarkeit, die das Leben erleichtert!
Da meinen Glückwunsch und ganz viel Dank für!
Latifolius
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Ganz herzlichen Dank für deinen Kommentar, Latifolius! Besonders freue ich mich über deine Bemerkung zum „Tagebuch der Lustbarkeiten“ im allgemeinen. Ein „unaddressierte Dankbarkeit“ erleichtert nicht nur das Leben, sondern macht es herrlich, lustvoll, man kann es empfinden als ein großes, ein unglaublich wundervolles Geschenk!
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Ich habe eine Aufstellung für mich erlebt, nachdem ich mehrfach als Gast mitgewirkt hatte, dabei ging es um meinen Halbbruder. Mit ihm waren wir zu viert und er hatte sich nach dem Weggang unseres Vaters, seines Adoptivvaters, als „Bestimmer“ in der Familie gefühlt. Aber je weiter wir alle uns auseinander gelebt hatten, umso unerquicklicher war der Umgang miteinander geworden. Meinen zwei anderen Brüdern habe ich dann berichtet, dass er uns eigentlich liebt, aber möglichst wenig mit uns zu tun haben möchte. Bis kurz vor seinem Tod hatten wir uns alle drei von ihm fern gehalten und es ging uns gut damit. Nur mein ein Jahr jüngerer Brüder hat seine Frau noch einmal angerufen, die ihm aber das Telefon nicht weiter reichte. Angeblich war er da schon zu krank.
Ich bin immer noch fest davon überzeugt, dass uns das sehr geholfen hat, hauptsächlich meinem jüngsten Bruder, der immer mit ihm am gleichen Ort gelebt hat und die Beschimpfungen vom Stiefbruder und seinen Nachkommen auf der Straße ertragen musste.
Du machst damit eine ganz wichtige Arbeit!!!
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Danke, ja, ich bin auch davon überzeugt, dass diese Arbeit wichtig, da in vielen Fällen ungemein hilfreich ist. Besonders liegt mir daran, dass Nachgeborene (Kinder, Enkel) nicht mit den systemischen Problemen belastet werden – was der Fall ist, wenn sie nicht von denen geklärt werden, die sie verursacht haben.
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