Welttheater, 3. Akte, 15. Szene: Jennys und Wilhelms Gegenrede

Was zuletzt geschah: Hera brachte einen Korb und zwei Schwarzafrikaner mit – offenbar die Diebe. Sie lobt die Not, die erfinderisch macht und alte Tugenden wieder aufleben lässt. Insbesonder tadelt sie Menschen, die ernten wollen, ohne zu säen. Die Afrikaner ermahnt sie, das Stehlen zu lassen. Alle setzen sich um die Tafel. Alle?

Trud:

Warum sitzen die beiden nicht mit uns im Kreis?

Gibt es einen Grund dafür, den ich nicht weiß?

Alle schauen fragend auf Jenny und Wilhelm

Clara:

Jenny, warum kommst du nicht her?

Bist du denn meine Freundin nicht mehr?

Hera:

Auch du, bester Wilhelm, setz dich in die Runde

Auf dass uns allen das Festessen munde.

Jenny (springt auf)

Ich komm nicht, ich setze mich nicht an den Tisch

mit solchen Typen, die rauben und andre bestehlen

Ehrlich, ich versteh’s nicht und find’s gar nicht komisch

Sind Männer, die andern durchschneiden die Kehlen!

 

Sie bringen dich um aus Spaß und aus Gier.

Die meide ich besser! Ich bin ja kein Held.

Nee, liebe Hera, das sage ich dir:

Du kennst dich nicht aus, wie heut ist die Welt!

 

Ich hass auch die Meinung, ich will da nicht lügen,

dass Not uns erzieht und wir gut daran täten

ganz wie die Alten die Felder zu pflügen

und ernteten nur, was wir selber auch säten.

 

Was ist das für ein blöder Stuss!

Werd ich es tun, wenn ich nicht muss?

 

Das Säen machen heut Maschinen

die kann ein jeder leicht bedienen

Das Ernten ist für solche Leute

die hier im Keller suchten Beute.

 

Wer hat schon Land? wer hat Geräte?

Und wenn ich selbst die Wiese mähte

und täglich macht den Rücken krumm

Ich bliebe arm, ich bliebe dumm.

 

Zu Essen kriegst du, hast du Knete

ansonsten heißt es: bete, bete.

Doch macht ihr nur, wie ihrs versteht.

Es ist nichts, was mich selbst angeht.

Wilhelm:

Ich denke wie Jenny, drum sitze ich hier

und teile das letzte Bierchen mit ihr.

Und esse die Würstchen, die, soll ich nun danken?

zu unserem Glück im Sumpf nicht versanken.

wo diese Bürschchen sie fallen gelassen

bevor sie sie selber konnten verprassen.

 

Ich weiß nicht, findet ihr das fair?

Mir selber sitzt es echt verquer

Ich hätte Lust, sie zu verdreschen.

die schwarzen Halunken da, die feschen!

 

Ich tu’s nicht jetzt, weil ich die Damen

die hierher in mein Lager kamen

nicht schrecken will, ich tu es später.

Statt Opfer bin ich lieber Täter!

– Pause –

In der Pause ist das zweite 3-Groschen-Finale zu hören: „Wovon lebt der Mensch“, Test: Bertold Brecht, Musik: Kurt Weill.

https://youtu.be/0gFyNCyaFNw

Wovon lebt der Mensch (Zweites Dreigroschenfinale)

 
 
Ihr Herrn, die ihr uns lehrt, wie man brav leben
Und Sünd und Missetat vermeiden kann
Zuerst müßt ihr uns was zu fressen geben
Dann könnt ihr reden: damit fängt es an.
 
Ihr, die euren Wanst und unsre Bravheit liebt
Das eine wisset ein für allemal:
Wie ihr es immer dreht und wie ihr’s immer schiebt
Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
 
Erst muß es möglich sein auch armen Leuten
Vom großen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden.
 
(Jenny): Denn wovon lebt der Mensch?
 
(Macheath): Denn wovon lebt der Mensch?
Indem er stündlich Den Menschen peinigt, auszieht, anfällt, abwürgt und frißt.
Nur dadurch lebt der Mensch, daß er so gründlich
Vergessen kann, daß er ein Mensch doch ist.
 
(Choir): Ihr Herren, bildet euch nur da nichts ein:
Der Mensch lebt nur von Missetat allein!
 
(Jenny): Ihr lehrt uns, wann ein Weib die Röcke heben
Und ihre Augen einwärts drehen kann
Zuerst müßt ihr uns was zu fressen geben
Dann könnt ihr reden: damit fängt es an.
 
Ihr, die auf unsrer Scham und eurer Lust besteht
Das eine wisset ein für allemal:
Wie ihr es immer dreht und wie ihr’s immer schiebt
Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
 
Erst muß es möglich sein auch armen Leuten
Vom großen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden.
 
(Macheath): Denn wovon lebt der Mensch?
(Jenny): Denn wovon lebt der Mensch?
Indem er stündlich Den Menschen peinigt, auszieht, anfällt, abwürgt und frißt.
Nur dadurch lebt der Mensch, daß er so gründlich
Vergessen kann, daß er ein Mensch doch ist.
 
(Choir): Ihr Herren, bildet euch nur da nichts ein:
Der Mensch lebt nur von Missetat allein!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

´

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Ökonomie, Collage, Dichtung, Leben, Legearbeiten, Meine Kunst, Musik, Welttheater abgelegt und mit , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

8 Antworten zu Welttheater, 3. Akte, 15. Szene: Jennys und Wilhelms Gegenrede

  1. Mitzi Irsaj schreibt:

    In diesem Theaterstück lohnt es sich in der Pause genau zuzuhören.

    Like

    • gkazakou schreibt:

      Danke, Mitzi. Ich denke, solche „Zwischenmusik“ kann als Kontrapunkt viel zum Verständnis des Textes beitragen. Witzig fand ich, dass Brechts Protagonistin wie meine Kleine Jenny heißt. Das war mir bei der Namenswahl nicht aufgefallen.

      Gefällt 1 Person

  2. Gisela Benseler schreibt:

    Nach diesem Zwischenspiel…,

    Like

  3. Gisela Benseler schreibt:

    Es brach ab, vielleicht ein Zeichen für mich, das Kommende an mir vorbeirauschen zu lassen….

    Like

  4. Alexander Carmele schreibt:

    ja … und meine tiefen und flachen, weiten und engen Gedanken ziehen ihre Bahn, verwirrt ob der Einfachheit und Klarheit und dem despektierlichen Widerstand, sich gegen das Offensichtliche zu verschließen, dass niemand alleine wirklich kann und helfen viel besser als stehlen ist. Danke für deine Worte und Erinnerung!

    Like

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..