Tagebuch der Lustbarkeiten: Bereicherung durch Bloglektüre

Täglich lese ich in vielen Blogs, fühle mich dadurch bereichert, informiert, angeregt. Die Blogs sind eine Fundgrube und Schatztruhe, die meinen Geist in der paradiesischen Weltabgeschiedenheit, in der ich meistens lebe, füttert und nährt. (Ich überlege: muss es die Pluralform „füttern und nähren“ sein? Passen die Verben überhaupt zu „Schatztruhe und Fundgrube“? Einerlei, so steht es nun da,)

Da wir, die wir uns gegenseitig lesen, ein recht dicht kommunizierendes „Bloghausen“ bilden (ich glaube, der Ausdruck, den ich sehr mag, weil er meiner sentimentalen Verbindung zu euch Mitblogger*innen entspricht, stammt von Ulli Gau), kommt es nicht oft vor, dass ich mich auswärts rumtreibe. Ist halt ne Zeitfrage. Doch einen „auswärtigen“ Blog verfolge ich mit großer Aufmerksamkeit und sogar Spannung: Er nennt sich sagemaere, ist englischsprachig, wird von einem US-Germanisten geführt und bespricht deutsche Literatur des Kaiserreichs, von der ich fast nichts weiß.

Alte Hüte? Nicht wirklich. Was ich dort lese, geht mich unmittelbar an, denn es wirft ein Licht auf das literarische Milieu meiner Großmütter und auf das Erbe, das meine Mutter in sich trug und mit dem ich mich nicht anfreunden mochte.

Als Kind und Jugendlicher nämlich schien mir der in Lyzeen und höheren Bildungsanstalten vermittelte Kunstgeschmack sehr suspekt.  „Gefühlskitsch“ war mein harsches Urteil.  Der Nazi-Propaganda hatten sie nichts entgegenzusetzen, krochen ihm gierig auf den Leim. Kurt Deschners „Kitsch, Konvention und Kunst“ diente mir als Leitfaden. Auch später hatte ich keinen Bock, mich mit jener Zeit zu befassen.

Durch den Sagemaere-Blog fühle ich mich nun herausgefordert,  einen unvoreingenommeneren Blick auf diese Literatur zu werfen. Mit Spannung las ich dort die Besprechungen zu Walter Bloems Roman „Brüderlichkeit“, in dem es um den nach WKI zunehmenden Antisemitismus der schlagenden Verbindungen und den scheiternden Versuch eines idealistischen jungen Mannes geht, seine Verbindung zu „reformieren“. (Ja, mein Vater war in so einer Verbindung, und ja, er war Antisemit und wurde früh Nazi, um später im brutalen deutschen Angriffskrieg vor Stalingrad zu fallen, so dass ich ihn nicht kennenlernte und ihn nicht zur Rede stellen konnte. Mit all dem haderte ich als Jugendliche.)

Langer Rede kurzer Sinn (ich neige heute zu Abschweifungen): im heutigen Blog wird eine bayrische Dichterin mit ihrem Prosagedicht „Never again“ vorgestellt. „Nie wieder“ echote es in mir. Aber nein, es war eine andere Zeit, von den Kriegen und dem Nazihorror ahnte sie noch nichts, und so heißt das Gedicht im Original ganz unpolitisch „Nie mehr“. Die Dichterin: Anna Croissant-Rust (1860-1943)

Wenn es dich interessiert, folge den links. Ich mag nicht wiederholen, was dort steht.  Doch dieses berauschend-berauschte Rosengedicht sprach mich an und macht mich neugierig auf mehr:

Rose in meinem Garten

Den Text habe ich aus dem Blog von Sagemaere herauskopiert, da ich finde, dass die  Frakturschrift unbedingt dazu gehört. Was aber ist die Frakturschrift, politisch gesehen? Riecht die nicht nach deutschem „Sonderweg“, ist das nicht sogar Nazi-Kram? So einfach ist das nicht, werde ich durch entsprechende Recherche belehrt. 1941 wurde die Fraktur sogar offiziell verboten – vielleicht, weil man in Hitlers Hauptquartier plante, die ganze unterworfene Welt mit lesbaren deutschen Texten zu beglücken…. (Wenn du nichts über das Thema weißt und es dich interessiert, folge dem Link)

 

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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13 Antworten zu Tagebuch der Lustbarkeiten: Bereicherung durch Bloglektüre

  1. Gisela Benseler schreibt:

    Diese Schrift mag ich. Wir lernten sie im Gymnasium mit Feder und Skribtol zu schreiben. War nicht einfach. Unsere Kinderbücher waren auch in dieser Schrift gedruckt. Somit fällt es mir leicht, sie zu lesen. Die deutsche Schreibschrift ist allerdings schwerer zu entziffern.
    Nun, zum Gedicht muś ich mich ja nicht äußern. „Kunst, Kitsch und Kultur“ war auch für mich ein Thema.

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  2. Jules van der Ley schreibt:

    Warum die Nazis die Fraktur 1941 plötzlich als Schwabacher Judenschrift verunglimpften, konnten sich Fachleute lange nicht erklären. Auch ich habe erst spät einen Hinweis gefunden. Die im Barock als Gebetbuchschrift entstandene Fraktur hatte über Jahrhunderte als deutsche Schrift gegolten und galt in den Anfängen des Nationalsozialismus als Ausdruck deutscher Identität. Das ging so weit, dass im Jahr 1937 jüdischen Verlagen verboten wurde, Fraktur zu verwenden.. Auch wurde in den Anfängen der Nazizeit das Eckige der Fraktur, mehr noch ihrer Vorform, der gotischen Textura, mit dem deutschen Nationalcharakter gleichgesetzt, lautstark durch den reaktionären Bund für deutsche Schrift. Diese Deutschtümler werden nicht schlecht gestaunt haben, als der von Martin Bormann gezeichnete Erlass am 3.1.1941 ein Verbot aller Frakturschriften brachte. Da hatte man bei der NSDAP nämlich erst gemerkt, dass die seit Jahren in ihrem Briefbogen verwandte Frakturschrift vom Juden Lucian Bernhard entworfen worden war. Im Erlass werden zur Strafe alle Frakturschriften als „Schwabacher Judenletter“ bezeichnet und ihr Gebrauch wird untersagt.

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    • gkazakou schreibt:

      Vielen Dank, Jules! Ich hatte im Geheimen gehofft,dass du zu diesem Rätsel (erst superdeutsche Schrift, dann Judenlettern) Einschlägiges beitragen könntest. Ich fand einiges auch bei Wiki, aber die waren mir etwas zu schnell mit dem Erklären. Nun also dies. Die Nazis waren offenbar irrationaler und besessener als man es sich heutzutage vorstellen kann. Mitten im Krieg den gesamten Schriftverkehr im In- und Ausland umkrempeln, weil ein Jude die Lettern entwickelt hat!
      Ich habe dann gleich noch eine Frage: Seit wann wurde dieSchriftvon den Völkischen als besonders „deutsch“ eingestuft? Es gab sie ja schon lange, bevor Lucian Bernhard die wohl in den 20er Jahren in Gebrauch gekommenen Typen entwickelte?

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      • Jules van der Ley schreibt:

        Gebrauch der Fraktur im Lauf der Jahrhunderte

        Die Fraktur ist im 16. Jahrhundert in allen europäischen
        Kulturstaaten gebräuchlich. England und die skandina-
        vischen Länder, mit Ausnahme Dänemarks, ließen schon
        im 17. Jahrhundert davon ab. Ab dem 18. Jahrhundert gilt
        die Fraktur als deutsche Schrift. Der Duden erklärt: „Die
        gebrochenen, eckigen Formen der Frakturschrift wurden
        gegenüber der weichen Lateinschrift als derb und grob
        empfunden. Das kommt anschaulich zum Ausdruck in
        der im 17.Jahrhundert aufkommenden Redensart ‚Frak-
        tur reden’ – eine deutliche und grobe Sprache sprechen.“
        Entsprechend fand Martin Luther: „[…] die lateinischen
        Buchstaben hindern uns über Maßen sehr, gut deutsch
        zu schreiben.“ Im Jahr 1553 findet der Schreibmeister
        Wolfgang Fugger: “Es will nit schön sehen, so man die
        Teutschen Sprach mit lateinischen Buchstaben schrey-
        ben will.“
        Gegen die lateinischen Buchstaben, die Antiqua, wand-
        te sich auch Goethes Mutter. Am 15. Juni 1794 schrieb
        sie an ihren Sohn, sie sei froh, dass er den Reineke Fuchs
        nicht mit „den mir so fatalen lateinischen Lettern“ habe
        drucken lassen. „Beym Römischen Carneval, da mags
        noch hingehen – aber sonst im übrigen bitte ich dich:
        Bleibe deutsch auch in den Buchstaben.“
        Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entbrannte ein regel-
        rechter Kulturkampf zwischen Fraktur- und Antiquabe-
        fürwortern. Mitte des Jahrhunderts wurde Jacob Grimm
        dafür getadelt, dass er das Deutsche Wörterbuch in Anti-
        qua und in radikaler Kleinschreibung hatte drucken las-
        sen. Am 26.9.1852 schrieb er an seinen Verleger Hirzel:
        „welcher vernünftige mensch will und mag dann in einem
        solchen werk [gemeint ist das deutsche wörterbuch]
        deutsche buchstaben und canzleimäßige schreibung [die
        Groß- und Kleinschreibung] beibehalten?“ Noch Ende
        des 19. Jahrhunderts lehnte Reichskanzler Otto von Bis-
        marck die Antiqua kategorisch ab: „Deutsche Bücher
        mit lateinischen Buchstaben lese ich nicht.“
        (Auszug aus meiner „Buchkultur im Abendrot)

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      • gkazakou schreibt:

        Lieber Jules, das sind ja sehr interessante Informationen. Danke von Herzen. Ich habe das Buch gleich mal bei meinem Sohn bestellt, dass er es mir beim nächsten Besuch mitbringt.

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  3. In was für eine seltsame Zeit läßt Du mich hier hineinstolpern…
    Nein, nein, es ist ja gut, daß Du es tust Gerda.
    Die Frakturschrift fand ich als kleines Mädchen in vielen Kinderbüchern.
    Besonders über dsie nachgedacht habe ich nie, aber über die Gründe, warum ein ganzes Volk sich an die Regeln des Nazi-Regimes hielt, schon viel mehr…

    Viel Angst war auch dabei und viel Unwissen. Und viel Hoffart bei vielen, die es auch heute noch in hohem Maße gibt…
    Und je mehr ich erfahre, um so mehr weiß ich, daß ich kaum etwas weiß…

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    • gkazakou schreibt:

      Deine Großeltern, liebe Bruni, dürften wohl auch aus dieser Zeit stammen. Und ein Teil ihres Denkens und Fühlens ist auch in dich (in mich, in jeden in Deutschland aufgewachsenen Menschen) hineingesickert. Drum ist es gut, es zu betrachten. Wie kommt das Gedicht denn bei dir an?

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      • Ja, ich stecke voll mit Hineingesickerndem *lächel*
        und vielen Gedanken, die meine Großeltern bestimmt nicht hatten…

        Es kommt mit Macht bei mir an, Gerda, und es reißt mir fast eine Wunde ins Herz…

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      • gkazakou schreibt:

        Zum Glück nur „fast“, liebe Bruni. 😉 Aber auch mich hat es ziemlich getroffen. Nur liebe ich halt alles, was mich meiner eigenen Wahrheit ein bisschen näher bringt.

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  4. sagemaere schreibt:

    Liebe Gerda, in meinem ganzen akademischen Leben wurde mir auf etwas, was ich mache, noch nie eine “Antwort” zuteil, die mir so viel bedeutet als das, was Du dort geschrieben hast. Nicht selten haben mir Studierende gesagt, wie ich sie begeistert oder welch großer Unterschied ich in ihrem Leben gemacht hätte. Das ist natürlich schön (wirst Du als ehemalige Lehrerin und aktive Künstlerin wohl auch kennen), es gehört aber auch zum normalen Lauf der Dinge, dass ein Lehrer einen Lehrling ab und zu inspirieren kann. Oder dass ein Kollege diesen oder jenen Artikel von einem gut oder überzeugend findet oder dass man irgendwo zitiert wird. Alles sehr schön! Aber dass Du, eine deutsche Frau, älter als ich und jemand, die persönliche Wurzeln hat bis tief in die Kaiserzeit zurück, über Strecken wüstester Geschichte, die tiefe Spuren in Dir und Deiner Familie hinterlassen hat—dass meine Kaiserzeit-Beiträge und -Sinnierungen bei Dir etwas bewirkt haben, und dass Du durch sie auch nur ein kleines bisschen anders auf jene Zeit und vielleicht auch auf Deinen Hintergrund und Deutschland zurückblickst: Na ja, das ist ungewöhnlich, und mir etwas ganz Außerordentliches, ich kann’s halt nicht anders sagen. Ich danke Dir von Herzen, Gerda! -Alex

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