Trauriger Spirit und „Das Schöne“

Eine Ergänzung zu „Spirits im Garten….“

 „Ich kann eigentlich nichts von der 2ten Skulptur erkennen“, kommentierte Gerhard. Es stimmt. Der Käfig aus Plexiglas, in dem der traurig-schaurige Spirit hockt, lässt ordentliche Fotos nicht zu. Das ist sicher Absicht der Künstlerin. Denn kann und soll man solche Geister wirklich klar erkennen? 

Ich habe aber doch versucht,  durch Fotos und Beschreibung einen gewissen Eindruck zu vermitteln. –

Zur Ergänzung zeige ich nun noch Detailaufnahmen der krallenartigen Füße. Da sieht man dann auch das weißliche Glas besser, das von der grünen Glasskulptur abzusplittern scheint. Wie abgebrochenes Gefieder….

Freundin Eleni betrachtet das affenartige Wesen skeptisch. Es ist eine merkwürdige Kraft in diesem hässlichen Spirit. Man weiß nicht recht, ob man ihm Freiheit wünschen soll, oder ob man die dünne Plexiglashülle verstärken möchte, um sicher zu gehen, dass er nicht ausbricht und sein Unwesen treibt.

Es entspinnt sich eine Unterhaltung über das Schöne (κάλλος, kallos) – Lieblingsthema von Eleni, die Altphilologin ist. „Ευτυχής αυτός που φέρει εντός του το ιδεώδες του κάλλους“ deklamiert sie. („Glücklich der, der in sich das Ideal des Schönen trägt“).

Sokrates erzählt im Dialog „Phaidros“ vom Sturz der Seele aus der himmlischen Sphäre in das irdische Dasein, wobei sie das Gefieder verletzt. Die Schönheit sei wie Balsam, der dem abgebrochenen Gefieder zu neuem Wachstum verhilft.

Ist also dieser traurig-schaurige Spirit ein Abbild unserer abgestürzten Seele, die, wenn sie von Hässlichkeit und Lieblosigkeit umgeben ist, böse und hässlich wird? Die sich ohne das Schöne nicht aufschwingen kann zum Guten, das sie einst geschaut hat und immer als Sehnsucht in sich trägt?

Wenn sie aber dem Schönen, das zugleich das Gute ist, begegnet, kann sie sich aufrichten, aufblühen und entfalten. Oft aber tut sie das Gegenteil: Sie zerstört das Schöne, um es zu besitzen.

———————————————————————————————————

ps. Ich fand jetzt noch ein Foto der Skulptur im Netz. Auch dieser Blogger und Besucher des Gartens beklagt, dass der Glaskäfig das Fotografieren fast unmöglich macht.

https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiQ5DB23Ymln6tgUSpigkYrVOq1068KY7h_Bgwygu5aB8x1tOH1rWL2VLTpZpW_UfSJthZ4UERHy6lSMyM0sz7AWOWpAiiYEXZmketq9tFzRPgh9vFlrTdXsfP975vmP8u4GG3I1BpqOH1qPuHecuUdNg3OaP7pQLWCpC6tbrBriqz8YDWaKwaYjhtPLw=s2048

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, alte Kulturen, Erziehung, Fotografie, Mythologie, Philosophie, Psyche, Skulptur abgelegt und mit , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

25 Antworten zu Trauriger Spirit und „Das Schöne“

  1. Die Unmöglichkeit des klaren Bildes ist faszinierend, daß unterstreicht die Unwirklichkeit eines Geistes! Das Wesen ist nicht fassbar und unklar!

    Gefällt 1 Person

    • gkazakou schreibt:

      So empfand ich es auch. Und das fand ich äußerst spannend. Ich glaube nicht, dass zuvor jemandem der Gedanke gekommen ist (außer wohl der Künstlerin selbst), dass der umhüllende Plexiglaskasten nicht dem Schutz vor Wettereinflüssen dient, sondern ein wichtiger Betandteil des Kunstwerks ist: die Verunmöglichung eines ungehinderten Betrachtens.

      Gefällt 1 Person

  2. Die alte Tagträumerin schreibt:

    Unklar, nicht fassbar, rätselhaft….sollten die Wahrnehmungen nicht öfter mal so für uns sein, um uns intensiver um sie zu bemühen?? Da fällt mir wieder mal Rilke ein…“ihr sprecht mir alles so deutlich aus…“Gruss aus dem Norden

    Gefällt 2 Personen

  3. Myriade schreibt:

    Ist das Gute tatsächlich immer schön?

    Gefällt 1 Person

    • gkazakou schreibt:

      Natürlich nicht, nach unserem heutigen Verstande. Es geht hier um den Grundgedanken der griechischen Klassik: Erziehung zum Guten durch harmonische Form; das Schöne öffnet uns für das Gute, das zugleich wahr ist.

      Für Sokrates (Platon, Gastmahl) ist gut, was das richtige Maß hat, schön und wahr ist. Das Weltall und die Natur sah man von Gesetzen der Harmonie durchdrungen, die man auch in den Künsten (Musik, Drama, Rhetorik, Grammatik, Architektur, Bildhauerei) und im Sport (Gymnasien, Olympiade) zu verwirklichen trachtete. Durch die Anschauung und Teilhabe an den Künsten versprach man sich. dass der Mensch die groben Emotionen beherrschen lernt und gesittet werde. Drum war zB der Besuch des Theaters Bürgerpflicht.

      Die klassische Bildung beruht bis heute auf der Vorstellung, dass die Beschäftigung mit dem Schönen (=Harmonischen) zur Gesittung beiträgt. Mir schrieb ein Lehrer, als ich zwölf war, in den damals noch üblichen Kopf des Zeugnisses: „aufgeschlossen für alles Wahre, Gute und Schöne“. (Spätere Urteile fielen dann harscher aus… 😉

      Gefällt 1 Person

      • Myriade schreibt:

        Auch ich habe Sokrates und Platon gelesen. Ich habe einfach ein Problem mit dieser Auffassung zu der ja auch der „gesunde Geist im gesunden Körper“ gehört.
        Was man zB in den 30er und 40er Jahren in deutschen Landen als das Wahre, Gute und Schöne betrachtete, kann man nur gruselig finden. Womit ich nicht in Frage stellen möchte, dass du als Kind echten, humanistischen Werten aufgeschlossen gegenüber gestanden bist 😉

        Gefällt 1 Person

  4. afrikafrau schreibt:

    Das Böse kann durchaus schön daherkommen, Die Seele, also unser Geist, unser Bewusstsein prägt unser Verhalten, unser ganzes Tun, die Entscheidung zum Guten oder Bösen, zum Guten oder Bösen liegt mit in unserer Verantwortung, steuern lässt sich dies nicht unbedingt, Viele andere Faktoren dabei maßgebend. Meine Frage lautet eher: wer bestimmt was schön oder hässlich zu sein scheint, wer definiert denn, das Gute oder Böse. Empfindungen, Gefühle, eingepresst in eine gängige Norm????
    Für mich ist jeder Mensch, ein jedes Wesen einmalig, Punkt.

    Gefällt 1 Person

    • gkazakou schreibt:

      wie ich schon bei Myriadee kommentierte, liebe Afrikafrau, bezieht sich die untertellte Identität von Schön, Wahr und Gut auf die klassisch-griechische Harmonielehre, die auch unser europäisches Bildungsideeal geprägt hat. Dass diese Bildung keineswegs die erhoffte Wirkung hatte, ist ja leider unbestreitbar. Denn sie hinderte weder den Kolonialismus noch die Sklaverei, weder die Ausplünderung der Erde, die Ausrottung der Tiere noch den Massenmord an unerwünschten Menschen.

      Gefällt 1 Person

      • afrikafrau schreibt:

        es bleibt jedem seine ureigene Identität, für jeden Menschen eigene und persönliche Definition- unmöglich sie in ein bestimmtes Muster zu pressen oder zu werten-

        Like

  5. Einmalig ist jedes Wesen auf jeden Fall, böse oder gut ist eine ganz andere Frage, glaube ich.

    Gefällt 2 Personen

  6. Vermutlich soll das Geistwesen im Verborgenn bleiben, damit sich die Fantasie hier Raum schafft und mit dem verlorenen Geschöpf im gläseren Käfig beschäftigt.

    Oh ja, Schönheit / Ästhetik ist wie Balsam für die Seele.
    Sie richtet sich daran auf, fühlt auch die Schönheit der Natur, selbst wenn diese schwindet, denn im Schwinden liegt Verwandlung und in der Verwandlung Erneuerung und in der Erneuerung frische Kräfte, die dringend benötigt werden.

    Gefällt 1 Person

  7. kopfundgestalt schreibt:

    „Ist also dieser traurig-schaurige Spirit ein Abbild unserer abgestürzten Seele, die, wenn sie von Hässlichkeit und Lieblosigkeit umgeben ist, böse und hässlich wird? Die sich ohne das Schöne nicht aufschwingen kann zum Guten, das sie einst geschaut hat und immer als Sehnsucht in sich trägt?“

    Unsere Seele ist per se abgestürzt. Wir sind eine Spezies, die sich viel zu weit (hervor)gewagt hat, das Böse somit IN sich trägt.
    Das einzige, was wir tun können, ist immer wieder versuchen, andere Zeichen zu setzen, wenn wir wollen oder können.
    Und recht(!) reden, nicht Mutmassungen und Falsches den Winden übergeben, daß er schwanger davon wird.

    Ich gebe zu, das Glas war so gewollt. Eine schwer fassbare Gestalt – und wie Du sagst: Wollen wir wirklich, daß sie rauskommt? So wie sie ist. Missgebildet und agressiv (geworden!) mag man sie nicht unter uns.

    Gefällt 1 Person

    • gkazakou schreibt:

      „Unsere Seele ist per se abgestürzt,“ sagst du, lieber Gerhard, weil sie sich „zu weit hervorgewagt“ hat. Damit kommst du dem biblischen Sündenfall gedanklich ziemlich nahe. Was du wohl mit „Zeichen setzen“ und „Mutmaßungen und Falsches den Winden übergeben“ meinst? es kingt selbst wie „Worte, den Winden übergeben“, auf dass jeder verstehe, was er mag.

      Gefällt 1 Person

  8. lachmitmaren schreibt:

    Die immer wieder gleiche Diskussion: Gibt es „böse“ Menschen / Seelen? Ich glaube nicht, dass es einem Menschen möglich ist, einen anderen so zu (er)kennen, dass er auch nur im Geringsten beurteilen könnte, ob dieser Mensch tatsächlich ein „böser“ Mensch nicht. Aber es gibt aus meiner Sicht ganz eindeutig böse Taten: anderen mutwillig Schmerzen / Schaden zuzufügen, z.B. .
    Aber auch einen anderen Menschen als „böse“ zu verurteilen, ist keine gute Tat. Ein solches Urteil setzt leider nicht selten eine Spirale in Gang aus gegenseitigen Verurteilungen, Wut, Hass, Krieg. Das Anmaßen eines Urteils über einen anderen Menschen, das trägt daher aus meiner Sicht daher selbst etwas „Böses“ in sich.

    Gefällt 2 Personen

    • gkazakou schreibt:

      Liebe Maren, es liegt mir fern, eine Diskussion über Gut und Böse, Schön und Hässlich beginnen zu wollen. Das Thema ist zu groß. Ich habe hier nur die griechisch-klassische Vorstellung des Guten, das zugleich schön und wahr ist, antippen wollen. Es ist diese Vorstellung von Sokrates, dass die menschliche Seele sich nach dem Schönen sehnt, das sie einmal geschaut hat, bevor sie in die Materie stürzte. Und dass diese Sehnsucht uns zum Guten hinzieht, das denselben Gesetzen der Harmonie unterliegt, die den gesamten Kosmos („das Geordnete, Geschmückte“) durchwalten.
      In unserer Zeit, in der (fast) niemand mehr von kosmischen Harmoniegesetzen spricht und stattdessen die staatlichen Gesetze und das individuelle Gewissen befragt werden, ist das Gute, Schöne und Wahre weit mehr als früher dem subjektiven Dafürhalten unterworfen.

      Gefällt 1 Person

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..