Du wirst dich vielleicht erinnern an meine Bearbeitung von Myriades viertem Foto der Impulswerkstatt (oben), das ich ohne weitere Erläuterungen einstellte (unten): https://gerdakazakou.wordpress.com/2021/02/09/impulswerkstatt-figur-und-schatten/,
Erfreulicherweise kamen von euch, liebe Leser und Leserinnen, etliche kluge einfühlsame Interpretationen. Hier in Kurzform:
Der Schatten wirkt revolutionär (Gisela) – Ein Schatten, der über seinen Erzeuger … hinaus wächst (Werner) – Etwas Zauberlehrlingshaft (Random) – Die ‚Eisernen‘ marschieren wieder, die ‚Menschen‘ können nur verzweifelt die Hände heben (Olpo) – Unterwürfigkeit oder Auflehnung? (Ines) – Aladin losgelassen zeigt dominante Präsenz! (Bruni)
Myriade war gespannt auf meine Ideen zu dem dominanten Schatten. Auch Random wünschte Aufklärung. Also will ich meine Gedanken, wie sie sich beim Umgestalten des Ausgangsfotos einstellten, ein wenig nachzeichnen.
- Schritt
Jede Aktion hat auch eine Schattenseite. Solange ich mir des Schattens bewusst bleibe und ihn integrieren kann, laufe ich keine besondere Gefahr. Was aber, wenn er sich verselbständigt? Mir kam eine Vielzahl von Beispielen, auch aus dem eigenen Leben. Zum Beispiel demonstrierten wir in den späten 60er Jahren gegen das Terrorregime, wie wir es nannten, des Schahs von Persien, nicht ahnend, dass wir damit die Installierung des Mullah-Regimes beförderten. Noch weniger ahnten wir, dass Agenten der DDR in unseren Reihen mitmarschierten, wodurch es dann zum Tod von Ohnesorg mit all den bekannten Konsequenzen („68er Jahre“) kam. … Und selbstverständlich ahnten wir nicht, dass einige derjenigen, die damals für Frieden und Gerechtigkeit demonstrierten, ihr eigenes Karrieresüppchen drauf kochen würden.
2. Schritt
Der Schatten wird zur Verheißung. Wie oft pasiert das! Ahnten die Initiatoren der französischen Revolution, dass sie und ihre Überzeugungen auf der Guillotine enden würden? Oder die frühen Christen: waren sie sich bewusst, dass aus ihrem Glauben Inquisition, schlimmste Kriege und der Holocaust entspringen würden? Die Sozialisten, ahnten sie, dass ihr Kampf für das Arbeiterparadies im Stalinismus enden würde?
Nein, sie ahnten es nicht. Und doch geschah es. Und es geschah nicht zufällig, denn in ihrem Fanatismus, in ihrem Hass, in ihrem Avantgardebewusstsein, in ihrem Ehrgeiz, in ihrer Missgunst steckte der Schatten, der sich löste, den sie als Verheißung bejubelten, mit dem sie die Nicht-Überzeugten totschlugen, bis sie erschrocken erkennen mussten:
Schritt 3
Nicht das Verheißene, sondern das Gegenteil des Verheißenen wurde real, es machte sich selbständig, ergriff eine Fahne und verlangte Weltherrschaft.
Welche Fahne ist es, die der Schatten ergreift, der sich gerade gewaltig aufbläst und uns alle zu unterwerfen droht?
- Manche sagen: Es sind die „Nazis“! Sie ergreifen die Gelegenheit, benutzen Naive, Unwissende, Gutgläubige, um wieder Macht zu gewinnen.
- Manche sagen: Es sind die regierenden „Eliten“. Sie nutzen die Besorgnis der Menschen, ihre Gutgläubigkeit, ihre Bereitschaft Opfer zu bringen, ergreifen das Banner der Gesundheitshoffnungen und schwenken es gewaltig.
- Manche sagen: Es sind die „Gewaltigen dieser Erde“, die die Bequemlichkeit, die Selbstbezogenheit, den Egoismus der meisten ausnutzen, um den großen Umbau zu bewerkstelligen, der am Ende nur eine abhängige Herde armseliger Überlebender zurücklässt. Sie schwenken die Fahne des Versprechens, dass es DICH nicht treffen wird, sondern nur die andern.
- Manche sagen, es sei „das Böse schlechthin“, das in jedem Menschen lebt und das nun hervortritt, sich zum riesigen kollektiven Schatten zusammenballt, Gestalt annimmt und sich anschickt, Herrscher der Welt zu werden.
Worauf es ankommt: sich des eigenen Schattens bewusst zu bleiben, ihn unter Kontrolle zu halten, ihn zu integrieren. Nur so lässt sich verhindern, dass er sich verselbständigt und einer Formation von Millionen Schatten anschließt, die dich erschrecken wird.
Ein Indianerhäuptling erzählte seinem Sohn folgende Geschichte. „Mein Sohn, in jedem von uns tobt ein Kampf zwischen zwei Wölfen. Der eine Wolf ist böse. Er kämpft mit Ärger, Neid, Eifersucht, Angst, Sorgen, Gier, Arroganz, Selbstmitleid, Lügen, Überheblichkeit, Egoismus und Missgunst. Der andere Wolf ist gut. Er kämpft mit Liebe, Freude, Frieden, Hoffnung, Gelassenheit, Güte, Mitgefühl, Großzügigkeit, Dankbarkeit, Vertrauen und Wahrheit.“
Der Sohn fragt: „Und welcher der beiden Wölfe gewinnt den Kampf?“ Der Häuptling antwortet ihm: „Der, den du fütterst.“
Das erleben wir zur Zeit. Wir müssen diesem Wolf die Nahrung nehmen.
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Diese Häuptlingsrede ist anscheinend grad sehr im Schwange, liebe Nandalya. ich las sie diesrer Tage schon mehrmals. Immerhin ist es gut, wenn man bemerkt und anerkennt, dass es zwei Wölfe gibt, die in unserem Inneren leben. Das ist schon mal ein Schritt. Der zweite Schritt wäre dann, die Wölfe genauer zu beobachten und zu sehen, welcher womöglich einen Schafspelz trägt ….
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Ha, das ist gut mit dem Schafspelz…. ja, von dieser Metapher bin ich auch schon ein wenig abgerückt inzwischen, zeigt sie doch wieder schwarz und weiß auf…. besser ist sich das Yin- und Yang-Zeichen anzusehen. Und da finde ich es toll, dass in allem ein kleiner Kern (weiß oder schwarz – je nachdem) bleibt, der den Weg immer offenhält, auch zur anderen Seite zu wandern und die Farbe zu verändern.
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Der Wolf im Schafspelz ist aus Sicht des Buddhismus zu negativ gedacht. Buddhisten kennen weder die beiden Wölfe noch „Das Böse.“ Aber das zu erklären, würde den Rahmen sprengen. Vielleicht sollte ich das in einem eigenen Beitrag erklären. Schafspelze tragen übrigens die schweigenden Lämmer. Aber das hast du bestimmt gewusst.
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Ich stimme dir gerne zu, Nandalya, dass das Denken in Gut und Böse zu eng ist. Es ist ein typisches Konstrukt des bipolaren Denkens, unter dem die westliche Welt leidet. Der Mensch hat es mit vielen verschiedenen Kräften zu tun, die sich nicht in diese beiden Kategorien sperren lassen.
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Bin schwer beeindruckt, wie Du das Thema rüber gebracht hast und einfach Mal so Stufen unserer Entwicklung deutlich gemacht hast. Bravo, liebe Gerda!
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Ich freu mich über deine Zustimmung, Werner
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Verheißungen, die dann zu sich verselbständigenden Ideologien wurden und in diesem Gewand zu einem Monster mutierten. … Immer wieder geschah so etwas. Können wir es verhindern? Ich denke schon.
Ohne Ideologien (auch „die Wissenschaft“ als „Heilsbringer“ anzusehen, würde ich als Ideologie bezeichnen), ohne Schuldzuweisungen („es sind die…“), ohne Schubladen. Stattdessen mit Kreativität, Offenheit, Vielfalt im Denken, Wahrnehmung und Anerkennung von Gefühlen anderer. Vor allem aber Streben nach Entwicklung der eigenen Seele, des eigenen Kerns zum Guten. Das ist alles nicht so einfach, weil wir es so lange so anders gewohnt sind. Die Menschheit ist seit Jahrtausenden „eingewickelt“ worden in die verschiedensten Ideologien. Und sie muss sich daraus wohl erstmal mühsam wieder auswickeln, um sich zu entwickeln… . Um den Bezug zum eigenen Innern erst wieder zu finden. Aber warum sollte man das nicht üben können?
Also hoffe ich, dass der Junge in deinem Bild mit dem Ausdruck seiner Hände den Schatten nicht „anbetet“, sondern verabschiedet …., auf dass sich dieser auflösen kann, weil er nicht mehr genährt wird! 🙂
Liebe Grüße!
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Danke Maren für deinen schönen Kommentar. Dass der Junge den Schatten anbeten oder ihn festhalten wollte, kam mir gar nicht in den Sinn. Vielmehr dachte ich, dass er ihn plötzlich erkennt und erschrickt.
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Wenn er ihn erkennt und erschrickt, ist das ja schon der erste Schritt, um ihn zu verabschieden. 😀. Also eigentlich prima! (Ich hatte den Eindruck, er kniee möglicherweise vor ihm nieder…)
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Gute Gedanken.
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Da hast du nun eine ganze Reihe von Facetten ins Spiel gebracht, die der eigendynamisch gewordene Schatten zeigen kann. Eben auch, dass es immer welche gibt, die solche Energien nutzen, um ihr eigenes Süppchen zu kochen. Besonders aber spricht mich die Schlussfolgerung an: sich des EIGENEN Schattens bewusst bleiben und ihn integrieren. In diesem Punkt würde auch der von mir angesprochene Zauberlehrling ins Hinken geraten. Denn dort hängt ja der gute Ausgang der Geschichte vom alten Meister ab, der schon richten wird, was der Lehrling verbockt hat. Denn das bedeutet ja, die Eigenverantwortung (und damit auch die tatsächlichen eigenen Möglichkeiten) zu negieren.
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Ja, Random, da hast du recht: der Zauberlehrling kann sich drauf rausreden, dass er eben noch ein Lehrling ist, und der wahre Weise übernimmt das Ruder. Das wäre gar nicht in meinem Sinne, denn die Eigenverantwortung des Menschen ist für mich das A und das O. Auch glaube ich, dass das „Böse“ eben dann in Erscheinung tritt, wenn der einzelne Mensch . jeder Mensch – seinen eigenen Schatten nicht wahrnehmen will, sondern im anderen sucht. Tatsächlich meint ja jeder einzelne Mensch, das Gute zu wollen, aber seinem Nächsten traut er dasselbe nicht zu. Er spaltet seinen eigenen Schatten ab, indem er ihn auf andere projiziert, und der so abgespaltene Schatten kann sich nun mit Seinesgleichen vereinigen und zum großen Übel werden.
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Ja, wenn diese abgespaltenen Schatten auf Teufel komm raus miteinander in Resonanz gehen, dann kommt er raus, der Teufel, selbst, wenn es ihn im Ausgangspunkt gar nicht gegeben hätte…
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Immer dann, wenn man vom festen Boden unter den Füßen abhebt, macht sich der Schatten selbstständig.
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Ja, danke für den Hinweis, Joachim, so sieht es wohl aus, doch fällt man auch immer in seinen Schatten zurück. Mir gelingt es schon lange nicht mehr, mich von meinem Schatten zu lösen 😉
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Nun übertreib mal nicht. Beim Schwimmen in eurem glasklaren Wasser kannst du deinen Schatten auf dem (flachen) Grund erleben, wie ich er dich imitiert – auch wenn er durch die Wellen ein wenig out of order ist.
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A ja, das stimmt! Daran hatte ich nicht gedacht, da der Schatten im glasklaren Wasser so freundlich, geradezu lieblich erscheint. Jedenfalls in meinen Augen. Die Fische mögen das anders sehen.
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Ein großartiger Beitrag, liebe Gerda. Das Integrieren des eigenen Schattens damit er sich nicht in eine Richtung verselbstständigt, die man gar nicht haben möchte. Ja, darum geht es, um die Selbstverantwortung um die Verantwortung für sich selbst und den eigenen Schatten. Da stimme ich dir voll und ganz zu !
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Deine Zustimmung freut mich sehr, Myriade
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