Unter den Wörtern, die sich für dies Sommerpausen-Intermezzo ansammelten, ist eines, das niemand so richtig lieben will. Man verhöhnt es samt der Epoche und Geisteshaltung, die es ausdrückt. Biedermeierschränkchen, o weh! Ein echter Underdog unter den Wörtern. Ihm widme ich diese Kata-Strophen
Die verwendeten Wörter:
Baggersee, Biedermeierschränkchen, Federkleid, Firlefanz, Fischkonservenfabrik, Kirchturmspitze, Liebe, Ohrring, Sachertorte, Tanztee, Unterwasserkönig.
Das Biedermeierschränkchen – ach, das feine kleine, mit der geschwungenen Borte, den Einlegearbeiten aus Elfenbein und den vielen Schubladen, geheimen und offen zugänglichen – es sprach eine andere Sprache als seine sachlichen Brüder und Schwestern von heute! Von ewiger Liebe sprach es, die angetragen wurde in geschnörkelten Sätzen, von errötenden Wangen und Herzklopfen, wenn zum Tanztee geladen wurde mit zierlich beschrifteter Einladungskarte.
Liebes Fräulein Kunigund,
hiermit tun wir Ihnen kund,
dass am sechsten Samstag abend
wir die Ehre werden habend
Sie zum Maskenfest erwarten
in dem heitren Rosengarten.
Ihr Herr Vater mögs gestatten!
Emily samt ihrem Gatten.
Emily war die Gattin des heimischen Fischkonservenfabrikdirektors, gehörte also zur Creme de la Creme. Kunigundchen war selig. Papa, Direktor der heimischen Strumpffabrik, würde schon Ja sagen! Aus dem geheimsten Fach ihres Biedermeierschränkchens holte sie zwei Ohrringe hervor – fein ziselierte schnäbelnde Täubchen auf jedem, die würde sie tragen. Doch welche Maske passte dazu? Ein Federkleid!
Kunigundchen eilte eifrig
Zur Voliere wo die Pfauen
Traurig ihre Runden drehten.
Wozu, fragte Kunigunde,
braucht der Pfau denn sein Gefieder?
Gar nicht braucht ers, denn ich brauch es!
Von der Kirchturmspitze sah es
Der Gevatter Hahn der güldne
Doch vermocht er nicht zu krähen
Und noch vor der Abend nahte
War der Pfau des Schwanzes ledig
Lag selbst elendig ersoffen
In dem nächsten Baggersee.
Und das Mädchen Kunigunde
Tänzelte behängt mit Federn
Und mit Ringen an den Ohren
Sowie manchem Firlefanze
Zu dem Tanze.
Und sie tanzte – welche Entzücken!
Mit den Federn auf dem Rücken
tanzte mit dem Hirtenknaben
mit dem Schafbock und dem Raben
mit Unterwasserkönigen
Bewundert von nicht wönigen!
Ach Biedermeier, selige Zeit!
Was bist du so unendlich weit
Was leben wir heute
Inmitten der Meute
bescheidener Leute
die froh sind und mächtig vergnügt
wenn ein Stück Sachertorte auf ihrem Teller liegt.
Als hoffentlich passende Musikuntermalung: Johann Strauss II – Fledermaus-Quadrille, op. 363


Wuhuu. Und zur Strafe rieb die Kunigunde sich die Vogelgrippe in die Augen, und sah nur noch Pfauenaugen statt Augenblicke von den in Entzücken verstrickten Herren, und sie wusste nie, war es wirklich sie, die diese sahen? Oder folgten sie blind den Pfauenflecken?
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Es gibt auch Mythen über Götter, die durch Pfauenaugen sahen. Hera, glaube ich.
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stimmt, ich hab dazu sogar mal eine Etüde gemacht. https://gerdakazakou.com/2018/03/15/io-argos-und-die-herkunft-der-pfauenaugen-eine-abc-etuede-in-freiem-rhythmus/
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Ja, und bei dem, was ich gelesen habe, kamen auch noch Sternenmythen vor. Aber die bekomme ich gerade nicht mehr zusammen.
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Die Sachertorte…aber bitte mit Sahne….🙃
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… um was damit zu tun, Marie?
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Rate mal….. du kommst nicht drauf.😋
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Essen? 😉
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Hihi. Du hast so recht, das Biedermeierschränkchen ist ungeliebt, auch bei mir. Kunigündchen passt allerdings hervorragend in das Setting zwischen Tanztee und Feder Kleid, wobei ich dem Pfau seine Rache wünschen würde …
(Könntest du statt meines Intermezzos vielleicht bitte den Aufruf verlinken, damit alle Geschichten von einer Stelle aus zu finden sind?)
Liebe Grüße
Christiane
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Pardon, ich hab den Link verbessert.
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Ist angekommen!
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Der arme Pfau und die ach so biedermeirische Eitelkeit eines Fräuleins Namens Kunigunde, die so verschieden von heutigen Eitelkeiten nicht ist –
herzlichst, Ulli
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ach die arme Kunigunde, lass es dir heute gut gehen und passe auf dich auf.
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Die eine hat Mitleid mit dem Pfau, der andere mit der Kunigunde. Und wer hat Mitleid mit mir? 😉
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Ach, die arme Gerda 🙂 Aber wofür soll man dich bei so gelungenen Biedermeier-Reimen bedauern 🙂
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Fishing, liebe Myriade, fishing 😉
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Na gut 🙂 das tun wir doch alle immer wieder 🙂
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Ein Meisterstück, liebe Gerda!
Sehr schön nachgezeichnet die Gedankenwelt der damaligen B- bzw. C-Promis.
Auch die Faux-Pas (anscheinend gibt es keine Mehrzahl) der damaligen Zeit und Aufsteiger /Emporkömmlinge wunderbar versteckt und angedeutet mit den erzwungenen Reimendungen einiger Wörter!
LG Werner
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🙂 ich freu mich, Werner. über dein aufmerksames Lesen und deine Zstimmung zum Text!
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nein, nein, Kunigundchen, das hättest Du nicht tun dürfen, nun bist Du zwar äußerlich hübsch und fein geschmückt, aber Dein Inneres ist grauselig eitel und hängt an nichtssagendem Firlefanz …
Gerda, Gerda, Du machst Sachen mit den Kata-Strophen 🙂
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So sind wir Menschen, liebste Bruni. Nur ist der Zusammenhang nicht immer so übersichtlich wie hier 😉
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ja, und das ist das Schlimmste!
Wir rästeln herum und wieviele falsche Schlußfolgerungen führen dann auf falsche Fährten…, bis wir darauf kommen, was wirklich dahinter stecken könnte
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beste Grüße von mir zu dir.
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Hahaaa, herrlich! Bin begeistert und entzückt : ) Liebe Grüße
Petra
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danke, Petra 🙂 Wie gehts euch denn so im heißen Deutschland?
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Puh, sagen wir mal so: Ich freue mich sehr auf den Herbst 😘
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