Documenta in Athen (2): Griechische Kunst am Sonntag. „The Greek Way“

Es ist Sonntag, also Zeit für „griechische Kunst am Sonntag“. Und ich hätte da auch was für euch. Nur, wird es gefallen? Mir gefiel es nicht, nein. Ich fluchte, als ich es im EMST (Museum für zeitgenössische Kunst, Athen) sah, still vor mich hin. Meine Stirn zog sich in abwehrende Falten und meine Mundwinkel senkten sich bis zum Boden.
Wenn eine Installation solchen Widerwillen in mir erzeugt – dann hat sie jedenfalls etwas erreicht. Und ich will drüber berichten. Nach dem Werk von Cecilia Vicuña, das mir außerordentlich gut gefiel, nun eines, was mich „ankotzte“: „The Greek Way“.

Also: Ich betrete einen Saal im obersten Geschoss des EMST, noch freudig bewegt von dem weiten Ausblick über die Stadt, dann schon eingeschüchtert durch eine „Ausgrabung“ in einem ehemaligen Farmhaus bei Wien und eine erschütternde Video-Installation über Leprakranke im Iran („Die Stadt ist schwarz“)

, gehe weiter – und stoße auf protzige Gemälde eines Herrn, dem ich nur in Verliesen hinter dicken Gittern begegnen möchte.

Nicht einmal, nicht zweimal, immer wieder steht er da in herrischer Pose. Sein Konterfei ist mit feinem Sutterlin überschrieben. Was soll das? Wer macht so was und findet das Kunst? frage ich mich einigermaßen verstört.

Nun, wer das macht, ist schnell herausgefunden: ich lese Piotr Uklanski (polnisch, Jg 1968, in den US lebend) und McDermott&McGough (irisch, Jg 1952 und 1958, in Hollywood bzw NY geboren, Photographen). Und auch, worum es geht: Um die Verfolgung der Homosexuellen im sogenannten dritten Reich. Die Beschriftung auf den

Gemälden zeigen Geburts- und Sterbedaten von in Sachsenhausen eingesperrten Homosexuellen an. Auch das wird mir auf begleitenden Texten erklärt. Eigentlich reicht es mir bereits, aber da sind noch viele Tafeln mit griechischen Plastiken, sehen aus wie Fotos, sind aber vielleicht auch kunstvoll in fotorealistischer Manier gemalt. Dazwischen hängen andere Bilder, im gleichen Stil und Format, die zeigen Athleten bei den Olympischen Spielen von München 1936, auch Fotos von Riefenstahls „Triumph des Willens“.


Die ganze Installation inclusive der Hitler-Bilder nennt sich „The Greek Way“, und nachdem ich die diversen begleitenden Texte gelesen habe, verstehe ich: „the Greek way“ nennt (oder nannte?) man die Homosexualität, da sie bei den alten Griechen ein integraler Teil ihrer Kultur gewesen sei. Dafür habe sich zB der deutsche Winckelmann (Jg 1717, er wäre jetzt 300 Jahre alt geworden) begeistert, der – wie ja als allgemein bekannt vorausgesetzt werden darf – homosexuell war und sich daher für die klassischen Körper der Athleten begeisterte…. Und wer begeisterte sich noch? Na, Hitler wohl. Man sehe und staune. Und Riefenstahl natürlich. Und die ganze Bagage der Nazis, die dennoch – oder gerade darum? – die Homosexualität brutal verfolgte (und, nebenbei, Griechenland im WWII beraubte und zu Grunde richtete).  The Greek way?

O jemine, mir drehte sich der Magen um. Arme verfolgte und ermordete Menschen, arme griechische Klassik, du wunderbare Kunst, wie hat man euch hier vereinnahmt – doppelt, dreifach vereinnahmt, um sein Gegenwarts-Kunstsüppchen draus zu brauen. Armer Winckelmann, Kronzeuge mal wieder!  Du hast eine ganze Generation angesteckt mit deiner Begeisterung (Goethe schrieb „Winckelmann und sein Jahrhundert“), hast die Wundertaten der antiken griechischen Künstler im Norden Europas bekannt gemacht, hast Goethe und Schiller, Lessing und Hölderlin inspiriert, und nun musst du herhalten für das übelste deutsche Geschichtskapitel? Reicht es nicht, dass du, jung noch, in einem Triester Hotel wegen ein paar Silberlingen ermordet wurdest?

Vielleicht habe ich hier etwas missverstanden. Verstanden habe ich es jedenfalls nicht, was die Künstler Piotr Uklanski und McDermott&McGough mir sagen wollen und was sie in der Documenta 14 zu schaffen haben, außer vielleicht: man ist in Athen, wo „alles begann“, und also auch dies….

Vielleicht kann mir einer auf die Sprünge helfen?

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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18 Responses to Documenta in Athen (2): Griechische Kunst am Sonntag. „The Greek Way“

  1. Um evtl. auf die Sprünge zu helfen, müsste man – eigentlich – in der Ausstellung gewesen sein.

    Ich war mal im Centre Pompidou vor 3, 4 Jahren, da wurde eine Ausstellung über einen Subkontinent gezeigt. U.a gab es dort auch – ganz vereinzelt -Texte von grausamer Misshandlung von Frauen. Wozu, war mir nicht klar: Sollte das dokumentieren, aus welchem GEMENGE das tägliche Leben dort bestehen kann? Mag sein, aber mir gefiel das Ganze nicht. Ich brauche keine brachialen Dinge vor meinen Augen, um das zu wissen. Ausserdem kommen ganz unterschiedliche Leute ins Museum, auch Kinder und sie sehen aus der riesigen Fülle dann zudem nur Partielles, übersehen das oder sehen genau das.

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      Danke! Hier ging es eigentlich nicht um Gewaltdarstellungen. Im Gegenteil, die Gewalt kommt erst durch die schriftlichen Informationen ins Bewusstsein. Ein unaufgeklärter Besucher sieht einen stolzen „Führer“ und eine Reihe von schönen menschlichen Gesichtern und Körpern. …. Vielleicht hast du mir jetzt doch auf die Sprünge geholfen! Schaue immer hinter die Fassade, lies die feinen kaum sichtbaren Zeichen – bleib nicht im schönen Schein stecken.

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  2. Kann es sein, dass man dokumentieren wollte, wie das Monster A.Hitler die Kunst instrumentalisierte! Ich habe lange überlegt, ob ich ein Like geben soll, als ich die Bilder dieses personifizierten Bösen sah.

    Auf der ganzen Welt finden sich diese Monster in dieser größenwahnsinnigen Pose.

    Vielleicht soll es eine Warnung sein!

    LG Babsi

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      Dass es hier um die Instrumentierung der Kunst durch Hitler und Co geht, ist sicher ein Aspekt, doch wozu dient die Verbindung von Körperkult, griechischer Klassik, Homosexualität undFaschismus?

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      • Es sind ja nur Vermutungen, man müsste den Dialog direkt mit dem Künstler führen, um den wahren Hintergrund zu erfahren!
        Die Vermutung, dass Hitler selbst homosexuell war, ist auch nicht neu und vielleicht ist es auch eine Anspielung darauf! Aber Du hast recht, nicht jedem erschließen sich diese, vielleicht künstlerischen Aussagen, insbesondere Kindern und Jugendlichen nicht. Es könnte als Verherrlichung verstanden werden.
        Ja, die Kunst geht manchmal seltsame Wege, provoziert mit Unverständnis! Keine Ahnung!😏😱

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      du sprichst aus, Babsi, was ich dachte: Es kann von Menschen, die nicht nachdenken oder nicht informiert sind oder sogar pro-faschistisch und homophob eingestellt sind, als Verherrlichung verstanden werden ….

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  3. Avatar von Myriade Myriade sagt:

    Wahrscheinlich gibt es für Europäer keinen neutralen Blick auf Hitler. Ich hab das so bezeichnend gefunden, dass der Papst als Südamerikaner gar nicht versteht, warum sein KZ-Vergleich so heftig kritisiert wurde. Dass die Kritik gar nichts mit den Zuständen in diesem Flüchtlingslager zu tun hat sondern nur damit, dass es im mitteleuropäischen Kontext einfach als geschmacklos empfunden wird irgendetwas mit einem KZ zu vergleichen. Und sei der Vergleich noch so passend (Während ich das schreibe, sagt mir meine kulturelle Konditionierung, dass es nichts Schlimmeres als ein KZ und das Hitler-Regime geben kann; das ist aber nicht wahr, es gab und gibt durchaus zumindest gleich Schlimmes)
    Ich denke es ist auch ein interessanter Aspekt von internationaler Kunst, den Betrachtern solche Dinge bewusst zu machen.

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      Danke Myriade, aber einen „neutralen Blick“ auf deutsche KZs und die Ermordung von Homosexuellen haben die Künstler sicher nicht angestrebt…Und mir liegt, ehrlich gesagt, auch nichts daran, ein Schreckensregime mit einem anderen zu vergleichen und es dadurch irgendwie zu „normalisieren“ oder zu „neutralisieren“.

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      • Avatar von Myriade Myriade sagt:

        So habe ich das nicht gemeint. Mit „neutral“ meine ich weder „nicht Partei ergreifend“ noch „emotionslos“ sondern, dass nur die Sache als solche gesehen wird und nicht auch alle persönlichen Traumata, die damit in Verbindung stehen.Für Europäer –
        kommt mir vor – ist das aber im Fall des Hitler-Regimes kaum möglich.

        Ich meinte auch nicht, dass man ein Schreckensregime durch Vergleich mit anderen normalisieren oder neutralisieren soll, sondern nur, dass man nicht aus den Augen verlieren sollte, dass es mehr als ein Schreckensregime gab und gibt

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      Danke, Myriade, für diese Ergänzung. Ich verstehe allerdings nicht, wie es möglich sein sollte zu vergessen, dass es auch andere Schreckensregime gab und gibt. Der Schrecken ist keine deutsche Erfindung, die systematische Ermordung von bestimmten Menschengruppen aber wohl, scheint mir. Ich möchte freilich gar nicht abstreiten, dass andere Regime ähnlich Monströses zustande gebracht haben.

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  4. Avatar von Gazelle3 afrikafrau sagt:

    widerlich, solches der Kunst unterzujubeln….eine Profilierung womit man auffällt… bitte ignorieren…..

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  5. Avatar von Gazelle3 afrikafrau sagt:

    okay, je mehr ich mich damit befasse, erfahren diese dunklen Geschichten eine Aufwertung und
    neue Aufmerksamkeit, werden wieder vereinnahmt, mißbraucht …..

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      ich sagte bereits, liebe Afrikafrau, dass ich dir im Prinzip zustimme. Nun ist die „documenta“ aber eine internationale Show, und sie findet zudem in einem Land statt, wo die Nazis gewütet haben. Mir ist diese Koppelung von deutschem Faschismus und griechischer Kunst daher besonders übel aufgestoßen. Ich stelle mir vor, wie ein griechischer Besucher, auf diese Installation reagieren kann. Vermutlich wird er sie für einen Affront halten, so wie ich es auch tue. Empört bin ich aber auch als Mensch, der durch deutsche Kultur geprägt ist, dass Winckelmann (in diesem Jahr wird sein 300. Geburtstag gefeiert) in dieser Weise vereinnahmt wird. Es kommt vieles zusammen ….
      Ich habe ja nur das winzige Stimmchen meines Blogs, aber das wollte ich doch gern erheben, um zu fragen: was wollt ihr eigentlich mit dieser Art von Kunst erreichen? Es ist auch eine Frage an den künstlerischen Leiter des Ganzen, der als Pole hier einem Polen das Wort erteilt hat.

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  6. Avatar von Gazelle3 afrikafrau sagt:

    verstehe dich sehr gut Gerda

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  7. Avatar von mmandarin mmandarin sagt:

    Ich teile dein Unbehagen….aber vielleicht ist gerade dies die Absicht….uns aus unserer kuscheligen Sofaecke schubsen. Vielleicht auch als Parallele zu derzeitigen Diktatoren….siehe die Verfolgung und Folterung von Tschetschenischen Homosexuellen…. wer weiß das schon.. aber das Unbehagen bleibt. Marie

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  8. Avatar von Myriade Myriade sagt:

    Die Kunst ist frei oder sollte es zumindest sein dürfen. Ich komme oft an der Wiener Secession vorbei und da steht immer noch „Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“. Dass es keine allgemein akzeptierte Definition für Kunst gibt, ist auch noch ein Aspekt ….

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