Gestern war ich im Zentrum von Athen, zur Ausstellungseröffnung eines jungen Künstlers. Seine erste Einzelausstellung. Gut, mein Interesse hatte auch familiären Hintergrund, denn es handelt sich bei Wassilis um unseren Neffen.
Ausstellungsort war eine winzige Galerie-Buchhandlung in der Nähe von Monastiraki. Von der Straße aus muss man eine farbige Kunstwelt mit lauter Musik und feierfreudigen Menschen durchqueren, um zur Ausstellungvorzudringen.
Die Buchhandlung ist einer dieser Kulturorte, wie es sie immer noch reichlich in Athen gibt: vollgestopft mit Büchern, die meisten selbst verlegt, witzige und kunstreiche Postkarten, lässige Atmosphäre. Sogleich fühle ich mich wohl, wie zu Hause. Ich nehme einige der Bücher in die Hand: sie sind schön gestaltet, oft bebildert, die Seiten aus kräftigem Papier wie die alten Gallimard-Bände noch nicht aufgeschnitten. Ach, dieser verführerische Duft!
Ich bin früh dran, also habe ich freie Sicht auf die Werke, die an den Wänden mit Klebestreifen befestigt sind. Eines zieht sogleich meine Aufmerksamkeit auf sich: eine Kreisform, der sich nach innen hin verdichtet. Er ist mit winzigen Linien gezeichnet. Ein feines Gekritzel, schier unendliches Lineament in Schwarz auf Weiß.
Die rötliche Verfärbung ist durch die Beleuchtung entstanden. Eigentlich ist das Bild Schwarz-weiß. Ein schwingender, schwirrender schwarzer Körper im leeren Raum.
Ein anderes Bild zeigt den schattigen Winkel einer Raums, der sich beim genauen Hinsehen ebenfalls als ein akribisches Gekritzel entpuppt. Und ich frage mich: ist das wirklich ein schattiger Winkel eines Raums oder nicht vielmehr ein viel intimerer lebendiger Ort, so sanft umflattert die Linie ihr inneres Gerüst.
Einige Bilder wirken fester, gesättigter, doch auch sie sind aus diesem feinen Liniengespinst gewirkt, das an den Rändern noch durchsichtig und ausgefranst ist und auf Vollendung zu warten scheint.
Tatsächlich hat Wassilis ein Bild in Rot auf dem Tisch platziert, das er als „noch nicht fertig“ deklariert. Daneben liegen Stifte. man darf, wenn man will, weiterzeichnen.
(Den dunklen Schatten links bitte wegdenken, er ist beim Fotografieren entstanden).
Wer mehr wissen will: Vasilis Botoulas is on facebook.
Es könnten Insekten sein, die sich formatieren. Danach nehmen sie den Raum ein.
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Ach, wie schön, dass ich wenigstens per Blog ein paar Eindrücke bekomme, ich wäre zu gern auch dabei gewesen. Danke, liebe Gerda!
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danke, sehr gern! War gut was los. Auch der Ort gefiel mir sehr.
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-Beruhigend zu wissen, dass es mit dem Kunstleben weitergeht, dass es solche Orte gibt und die Kunst feiernde Menschen!
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o ja, selbstverständlich! Wenn es ökonomisch schlecht geht, muss man feiern, am besten die Kunst.
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Solche Orte liebe ich. Ich habe den Eindruck, dass die Mitte des Bildes, pulsiert. Vielleicht ist es gewollt, vielleicht liegt es auch an meinem Licht, das auf den Laptop fällt. Sehr interessant. Sicherlich hat es etwas mit den hellen, winzigen Aussparung zu tun.
eine geruhsame Nacht.
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Doch ja, Monika, es pulsiert. Und das ist gewollt. Ob sich nun die Mitte verdichtet oder umgekehrt, aus der dichten Mitte sich das Umfeld belebt – das kann ich nicht beurteilen. Babis sieht einen Insektenschwarm, der sich formiert. Jedenfalls wirkt es wie eine Welt im leeren Raum.
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ja, wunderbar dicht, in jeglicher Hinsicht … mehr von diesen Orten …
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Hat dies auf haluise rebloggt.
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Sowie der Ort als auch die künstlerischen Werke – einfach wundervoll! 🙂
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Eine Traumwelt – und Du fühlst Dich wohl darin, liebe Gerda – mir würde es auch so gehen, denn ich merke, wie meine Sinne schon von den Fotos sehr angeregt werden.
Die Kunstwerke Deines Neffen – mit Klebestreifen an der Wand befestigt – finde ich mehr als hochinteressant. Akribisches, aber sehr kunstfertiges Gekritzel, das von einer sehr eigenen Linie spricht und in seiner feinen Ästhetik spricht es mich sehr an.
Das kreisförmige Werk hat eine große Besonderheit und ich frage mich, wie er es hinbekommen hat, sehe ich es intensiv an, beginnt das innere verdichtete Schwarz tatsächlich zu pulsieren und auf mich zuzukommen.
Leider kann ich mir nichts von ihm auf Facebook ansehen, weil ich mich hier immer sehr fern halte, liebe Gerda…
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danke Bruni, für deinen liebevollen Kommentar. Ich denke, das anscheinend sorglos hingekritzelte Rund ist ein Werk hoher energetischer Konzentration, deren Sog, wäre das Format größer, schwer zu widerstehen wäre. Dieser Verdichtungsprozess kommt mir vor wie die Bildung von schwerer Materie aus in Bewegung versetzter Energie. Eine Art Weltentstehungsprozess. Vasilis nennt die kleine Ausstellung „Upward Panic“ oder, griechisch, „Hiero paniko“ (Heilige Panik), und je mehr ich dies Rund innerlich wahrnehme (denn äußerlich macht es nicht viel her), desto mehr beunruhigt es mich.
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Das könnte es ganz gut treffen, eine Art von Weltentstehungsprozess.
Heilige Panik würde dem ja auch nicht unbedingt widersprechen, liebe Gerda *lächel*
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Danke für die kleine Einführung in die Kunstwelt deines Neffen. Ich kann mir ungefähr ein Bild machen von solchen kleinen Gallerien. Sie erinnern mich an meine Pariszeit. Als du die Gallimard-Bücher erwähntest, war der Duft sofort wieder da. Das Lesen war damals begleitet vom sinnlichen Genuss, die nächste Buchseite aufzuschneiden…
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wahr! In Griechenland haben wir noch ein paar Verlage, die solche Bücher machen. Ich liebe das Aufschneiden und fühle das französische flair von damals, wie den Rauch von Gitanes. . 😉
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Pures Gold !! 🙂
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Das freut mich sehr, Gerhard. Ich hab noch zwei Einträge über ihn, kannst du finden, wenn du seinen Namen eingibst (eine ist hier unten angezeigt: die Arbeit unserer Hände)
Natürlich ist das eine Kunst, die schwer an den Mann/die Frau zu bringen ist. Ich aber liebe sie sehr. Und nun hat auch die Pinakothek von Saloniki ein Werk gekauft.
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