Reiner hat ein „Mitmachding“ initiiert. Es geht darum, jeden Tag einen Text zu einem Wort zu posten, das sich auf der Holsteiner Treppe in Wuppertal, verteilt auf 9 Absätze befindet. Es reizt mich, da mitzumachen, allerdings eher nicht mit eigenen Textproduktionen, sondern mit literarischen Assoziationen und Gedichten anderer. Ich bin gespannt, welche Texte, Gedichte, Geschichten jedes dieser Wörter in meiner Erinnerung aufleuchten lässt. All diese Erinnerungen an Gelesenes und im Gedächtnis Aufgehobenes sollen mir einen nachklingenden Teppich weben, den ich über die Stufen lege, um noch einmal hinaufzusteigen.
Ich seufze. Frieden, welch ein schönes Wort in friedlosen Zeiten! Nie kam mir die Menschheit so zerstritten vor wie gerade jetzt. Sicher, es gab auch früher die großen ideologischen Brüche und schreckliche Kriege, aber gabs auch dies Klein-Klein der Zerstrittenheit, als würde sich jeder gegen jeden wenden in rabiater Rechthaberei?
Es gab da diesen Film von Werner Herzog (5.9.1942- ) über Kaspar Hauser mit dem einprägsamen und etwas reißerischen Titel: „Jeder für sich und Gott gegen alle“ (1974). So kommts mir grad vor. Und dies „jeder für sich“ wird bei geringsten Anlässen zu „jeder gegen jeden“, und am Ende wird geschossen, wie gerade jetzt wieder in den USA. Da ist sich dann auf einmal der Haufen einig: so gehts nicht! heißt es. Doch kaum hat sich der Pulverdampf gehoben, gehts von vorn und schlimmer los.
Kaspar Hauser hatte nicht gelernt, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Als er es langsam lernte, wurde er ermordet.
Und wir? Haben wir das Kommunizieren denn gelernt?
Sagt jemand heute: „Frieden schaffen ohne Waffen“ (1982*), so wird er als Spinner und Realitätsverweigerer angegriffen und aufs Übelste beschimpft. Waffen also, um Frieden zu schaffen? Immer mehr Waffen, um immer mehr Frieden zu schaffen?
Ach, auch ich bin nicht gut im Kommunizieren, lieber Kaspar. Ich bin zwar nicht in einem Keller aufgewachsen und bin durchaus, und bereits seit Kindesbeinen, über „unsere Werte“ belehrt worden, aber kann ich sie kommunizieren? Ich würde ja gern annehmen, dass der Satz: „Die Hand soll dem abfallen, der je wieder eine Waffe in die Hand nimmt“ (1947) – er wird Franz Joseph Strauß (1915-1988) zugeschrieben – aus einer höheren Einsicht formuliert wurde. Warum sollte er also nicht mehr gelten? Ist es denn nicht ein Satz, der aus Erfahrung und Vernunft geboren wurde?

„Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft“ (Philipper 4,7, Joh 14,27**)... zu ihm möchte ich in all der Vernünftelei meine Zuflucht nehmen. Und wo kann dieser Friede sein, wenn er nicht im eigenen Herzen lebt?
*Am 25. Januar 1982 wurde der „Berliner Appell – Frieden schaffen ohne Waffen“ veröffentlicht. Die beiden Verfasser, der kommunistische Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime und DDR-Dissident Robert Havemann (1910-1982) und der evangelische Pfarrer Rainer Eppelmann (1943- ) forderten in acht Punkten Grundlagen einer dauerhaften Friedensordnung ein. Insbesondere forderten sie die Entmilitarisierung beider deutschen Staaten und Herauslösung aus NATO und Warschauer Pakt. Der Appell begann mit den Worten: „Wenn es in Europa Krieg geben wird, kann dieser Krieg nur ein Atom-Krieg sein. Er wird Europa in eine Wüste verwandeln. Die in Europa in Ost und West aufgehäuften Waffen werden uns nicht schützen, sondern uns töten. Das ist ihre einzige Bestimmung.“
Der Warschauer Pakt gehört inzwischen der Geschichte an, die NATO nicht. Das ist auch der Hauptgrund dafür, dass eine europäische Friedensordnung in weite Ferne gerückt ist. Die einmalige Chance durch die Auflösung der UdSSR und die Wiedervereinigung wurde verspielt.
**Im Johannes-Evangelium heißt die Stelle wörtlich: «Ειρήνην αφήνω υμίν, την ειρήνην μου δίδω υμίν· ουχ ως ο κόσμος δίδωσιν, εγώ δίδω υμίν. Μη ταρασσέσθω υμών η καρδία, μηδέ δειλιάτω». („Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht wie die Welt gebe ich euch. Euer Herz werde nicht erschüttert und fürchte sich nicht.“)
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Auf der Stelle von Johannes basiert ein wunderschönes Taizé-Lied, vielleicht magst du es ja?
Nachmittagskaffeegrüße 🌤️🎶🛋️☕
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Ich sehe gerade, dass der Reader den Link zu YouTube frisst: Ich meine „Frieden, Frieden“.
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Danke, Christiane! Ich höre es gerade. 🙂
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