Athen: von Exarchia nach Lykabettos und zur Metro

Ich habe heute in Exarchia, dem „Anarchisten“-Viertel von Athen, zu tun. Mein Ziel ist der Sitz des Verbandes Bildender Künstler Griechenlands, denn ich verlor vor etlicher Zeit meine Mitgliedskarte und damit auch mein Recht, verbilligt oder gar umsonst archäologische Stätten und Museen zu besuchen. Die gut gesicherte Eingangstür öffnet sich, nachdem ich mein Anliegen vorgebracht habe, und eine freundliche Angestellte erledigt die Neuausstellung im Handumdrehen.

Exarchia ist ein etwas heruntergekommenes Innenstadt-Quartier, ganz gemütlich mit den vielen Straßencafes, Imbissen, Verlagen und Buchhandlungen in Kellern und Untergeschossen, Graffiti noch und nöcher an neoklassischen Hausruinen, Lädchen, Baustellen, engen Straßen, die teilweise beruhigt oder in Fußgängerzonen umgewandelt sind. Die Polizei hält sich dezent am Rande, aber doch gut sichtbar auf, damit das Gebiet nicht wieder, wie zu anderen Zeiten, zu einer no-go-Zone wird. Ich sehe heute nur einen einzigen sehr jungen Polizisten mutterseelenallein Wache schieben – ein zartes Jüngelchen, das nicht als aggressive Staatsmacht missverstanden werden kann.

Ich beschließe, die Valtetsiou-Straße*, auf der ich mich eh grad befinde, einfach geradeaus  zu gehen und zu sehen, wohin sie mich führt.

Und so gelange ich allmählich in immer gepflegtere Regionen bis zur prächtigen No 1 der Valtetsioustraße*, die diese ihre Eigenschaft in großen stolzen Buchstaben anzeigt.

Kaum biege ich um die Ecke, staune ich: eine große mir ganz unbekannte Kirche, daneben ein vergitterter Platz mit zwei kleineren Kapellen und auf der anderen Seite ein steil ansteigender öffentlicher Park.

Die Kirche ist offen, niemand drin. Ich lasse mich nieder und die Augen schweifen: Feinste Wandbemalungen aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts, festliche Bestuhlung und Beleuchtung, Ikonen, Stille.

Danach wandere ich durch den kleinen Park und immer bergan, komme an einer anderen Kirche vorbei, neuapostolisch ist diese und mit bunten Tieren bemalt, wohl, weil die Gemeinde auch einen Kindergarten betreibt.

Noch ein Blick zurück aufs Häusermeer und die gleißende Sonne.

Ich fühle mich erschöpft, trabe aber weiter bergan auf immer steileren Stufen, bis ich die Umgehungsstraße des Lykabettos erreiche. Hier wohnt eine andere Menschenklasse, drum gibt es  vor etlichen Gebäuden motorisierte Wachmannschaften.  Auch ein Sondereinsatzkommando der Polizei steht in Bereitschaft, die schwarz uniformierten jungen Männer langweilen sich. Blöde Jobs, denke ich: Rumstehen, rumsitzen und auf die Sicherheit der Macht- und Geld-Habenden aufpassen. Ihr habt doch Köpfchen, habt Kraft und Jugend, könntet was besseres damit anfangen…  Ich setze mich auf ein Mäuerchen und ruhe mich etwas aus. Von nun an wird es nur noch abwärts gehen, durch die eleganten Wohnstraßen unterhalb des Lykabettos Richtung Königin-Sofia-Boulevard, wo mich die Metro aufnehmen wird.

An der Metrostation steht, wie immer, eine Verkäuferin der „Schedia“/Floß genannten Obdachlosen-Zeitschrift. Es ist eine junge Frau mit rundem nettem Gesicht, ich kaufe ihr für fünf Euro eines der Hochglanz-Exemplare ab. Was drin steht? Davon in einem anderen Eintrag.

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* Die Valtetsioustraße wurde benannt nach der Schlacht von Valtetsi, die am 24.5.1821 zwischen der osmanischen Armee und den griechischen Revolutionären ausgetragen wurde. „Die Schlacht war der erste große Sieg der griechischen Revolution von 1821 und bestimmte den Verlauf des Unabhängigkeitskrieges.“ (Wiki: Schlacht von Valtetsi)

Ich kenne das heutige Valtetsi ganz gut, es liegt in Arkadien in einem prächtigen dicht mit Tannen bewaldeten Gebirge, und man ist sich dort der historischen Bedeutung des Ortes und seines Helden Theodoros Kolokotronis sehr wohl bewusst.

Kolokotronis auf dem Weg nach Valtetsi (Quelle)

Am 6. Mai 1821 überfielen die osmanischen Streitkräfte von Tripoli erstmals die in Valtetsi stationierten Griechen. Die Muslime wurden dann am 7. Mai durch 4.000 Albaner unter Kâhya Mustafa Bey, dem Kehayabey von Hurschid Pascha, aus Argolis verstärkt.

Ein paar Wochen später machte sich eine kombinierte türkische und albanische Streitmacht von 5.000 Mann unter dem Kommando von Kâhya Mustafa Bey daran, die griechischen Stellungen bei Valtetsi zu vernichten. Die Hauptstreitkräfte unter Rubi Bey wurden direkt zum Angriff auf das griechische Lager geschickt, das von 2.300 Revolutionären verteidigt wurde. …

Wenn dich diese Geschichte interessiert: Wiki erzählt sie dir gerne zu Ende: hier

 

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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2 Responses to Athen: von Exarchia nach Lykabettos und zur Metro

  1. Derlei Befreiungskriege – wer läßt sich schon gerne und ohne Aussicht auf ein Ende besetzen? – sind, wie die verwandten Bürgerkriege, besonders scheußlich, blutig, ungnädig. Dabei werden stets diverse Nachbarstreitigkeiten und ähnliches ausgetragen. Aber das ist bekannt und selbst in wenig dramatisch daherkommenden Geschichten wie Alexis Sorbas kolportiert.
    Und die Griechen hatten seinerzeit natürlich auch tatkräftige Helfer. Wen ich meine? Na, Lord Byron persönlich! Was genau der Dichter suchte erschließt sich mir freilich nicht. Was er fand, wissen wir.
    Und dass die Geschichte danach etwas holprig und nicht ohne eher scherzhafte Wendungen weiterging… Ja, ich meine u.a. die Ottosäule. In Ottobrunn bei München (immerhin habe ich lange genug in der Nähe gewohnt, um sie mal wahrzunehmen). Wo der feierliche Abschied stattfand, da doch ein leibhaftiger Wittelsbacher – Sprößling gen Griechenland zog, weil die armen Leute dort, lange von den Türken besetzt, kenen eigenen König hatten, und ohne König, na, das geht doch nicht!
    Man könnte annehmen, Solon und Sokrates haben sich im Grab umhergewälzt. Wenigstens bei Letzterem möchte ich doch annehmen, vor Lachen. Man kann nicht allers nur tragisch nehmen, zum Glück.

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  2. Wie schön, mit Dir durch die Valtetsiou-Straße immer weiter und weiter zu gehen, Gerda! Interessant, wie sich die Wohngebiete unterscheiden. Meist sind die etwas heruntergekommenen die, die mich zum ständigen Fotografieren reizen.

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