Dies ist ein Beitrag zu Myriades Impulswerkstatt, September-Oktober 2024. Mein Text wurde angeregt durch Myriades Fotos 1 und 2 und durch die „Verbindungsübung“, die darin besteht, zwei Fotos erzählerisch miteinander zu verküpfen.

Ich betrachtete den Affen und hörte ihn sprechen. Hier meine Transkription seiner Rede.
Was weißt du schon, meine Liebe, von uns? Du schaust in mein Gesicht und fragst dich, was für einer ich bin. Schimpanse fällt dir ein. Offiziell nennt ihr uns Pan troglodytes. Eure Biologen machen mich schmunzeln! „Der in Höhlen lebende Pan“, ts ts ts! Sehe ich aus wie ein Ziegenbock? Und dass wir nicht in Höhlen leben, hätte sich ja rumsprechen können bei euch. „Baumbewohner“ würde schon eher passen. Unseren Schlafplatz bauen wir da oben aus Blättern, am liebsten jeden Abend in einem anderen Baum. Wusstest du das?
Ihr nennt uns Höhlenbewohner, weil ihr gerne glauben möchtet, wir seien eine primitive Vorform von euch. Eure Leute haben ja wirklich in Höhlen gelebt. Und ihr haltet euch für höher entwickelte Schimpansen. Darum studiert ihr unser Gebiss und unsere Schädelform und die Länge unserer Arme und Beine. Ihr träumt davon, unsere Organe als Ersatzteile für euch zu gebrauchen. Ihr testet eure Medikamente an uns. Jede Abweichung macht euch traurig, und glücklich seid ihr, wenn ihr Übereinstimmendes melden könnt. Ha, sagt ihr, die Temperatur ihres Bluts ist wie unsere 37 Grad! Solche und andere Tollheiten sollen euch beweisen, dass wir eure Vorfahren sind.
Glaubst auch du diesen Unsinn? Da muss ich dich enttäuschen. Schau doch mal in den Spiegel: wer sieht dich da an? Deine haarlose Haut, dein schwächliches Gebiss, deine lächerlichen Ohren. Eine Weiterentwicklung zeigt sich da nicht, höchstens Degeneration.
Aber lass man, ich will dich nicht beleidigen und will auch gar nicht auf Äußerlichkeiten abheben, wie ihr das gerne tut. Ich neige nicht zum Rassismus. Ich ziehe es vor, das Wesentliche zu betrachten. Und was ist das Wesentliche? Dass wir niemals, hörst du, NIEMALS unsere Wälder, unsere Freunde und auch nicht unsere Feinde in einen riesigen Fleck aus geschmolzener grauer Masse verwandeln würden, so wie ihr es mit japanischen Städten tatet und heute von neuem droht zu tun.
98 % eures und unseres genetischen Codes, so verkündet ihr stolz, stimmen überein. Das scheint euch zu beweisen, dass ihr so seid wie wir. Aber ich muss euch enttäuschen: ihr seid anders. Ihr seid vollkommen anders. Zwischen euch und uns gähnt ein unüberbrückbarer Abgrund. Schau mich an und schau das Werk eurer Hände an: Vielleicht begreifst du dann, wie ungeheuer das ist, was uns trennt.

Ein starker Text und ein starker Beitrag! Wenn ich auch inhaltlich in einigen Aspekten nicht wirklich einverstanden bin, niemand hat jemals behauptet, dass der Mensch vom Schimpansen abstammt, wir haben einen weit zurückliegenden gemeinsamen Vorfahren, aber das weißt du ja ohnehin. 😉 Der Affe bekommt durch seine Rede eine eigene Persönlichkeit. Sehr gelungen finde ich den Übergang von einem zum anderen Bild, sehr, sehr gut gelungen sogar. Der Künstler, wie ich schon erwähnt habe, ist ein Exil-Syrer, der in seiner Heimat als Maler schon bekannt war und sich jetzt im Exil hauptsächlich mit Themen wie Krieg, Flucht und Identität beschäftigt.
Mir gefallen deine Beiträge ja immer, diesen finde ich besonders gelungen
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Danke dir, liebe Myriade. Ja, der Kommi war im Spam, hols der Kuckuck. Das Bild wirkt auf mich wie zusammengeschmolzene Menschen-Stadt-Masse nach einem verheerenden Angriff, eindrucksvoll und schmerzhaft.
Du hast Recht mit der Abstammungslinie, aber im Prinzip ändert es nichts. Der aufgeklärte Mensch glaubt tatsächlich, er sei ein höher entwickelter Affe.
Ich glaube das nicht. Der Mensch ist etwas anderes, hat Qualitäten ins Leben gebracht, die es in der Tierwelt nicht gibt. Die Tatsache, dass auch Affen in „Kriege“ ziehen und Artgenossen umbringen, beweist nichts, denn die Unterschiede zwischen solchen und menschlichen Kriegen sind offensichtlich. Wir Menschen gehören nur teilweise ins Naturreich. Der Teil, der dazu gehört, mag sich tatsächlich entsprechend der angenommenen Abstammungsreihe entwickelt haben. Ob genau so oder anders, spielt keine wesentliche Rolle. Dieser Teil ist unproblematisch. Der andere Teil aber ist es, der uns im Guten und Schlimmen vom Tier unterscheidet und als Mensch ausmacht. Sokrates nannte ihn den Daimon – Genie und Dämon.
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Nun, das ist eine Glaubenssache, über die man nicht streiten kann 🙂
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Oh nein, schon wieder einmal ein verschwundener Kommentar. Ich hoffe darauf, dass er auftaucht.
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Ja, die kurzen Kommentare erscheinen, die längeren nicht *grummel*
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Nein, nein, unser Stammvater kann kein Affe gewesen sein, liebe Gerda.
Dein Beitrag zu Myriades Projekt ist lang und ausführlich, interessant und sehr nachdenkenswert. Das Bild dieses Malers, ich weiß den Namen im Moment nicht, ist sehr eindrucksvoll und zeigt das Dämonische sehr gut.
Gut und Böse liegen so dicht zusammen in uns, daß es kaum zu glauben ist.
Welche Mischung wurde uns da gegeben, welche Möglichkeiten.
Manchmal gerät mein Optimismus ins Wanken, aber noch halte ich ihn fest und lasse ihn nicht los… Er hilft Leben!
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In dem Bild des Malers sehe ich eher das Ergebnis eines Atomkriegs, nichts Dämonisches, sondern zusammengeschmolzene Massen von Menschen, Mauern, Metall…
Das Besondere des Menschen ist seine Willensfreiheit, die es überhaupt möglich macht, gut oder böse zu sein. Tiere sind nicht gut oder böse, sie sind, wie es ihrer Art entspricht. Die Menschen sind da nicht festgelegt, sie haben einen sehr weiten Spielraum, vom Heiligsten bis zum Teuflischen ist alles möglich.
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Ein längerer Kommi von mir ist auch im spam gelandet…
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