Andalusienreise (3): Von Philosophen und Augenöffnern

Zwei überragende Gelehrte des Mittelalters wurden in Cordoba geboren: der Araber Averroes (geboren 1126 in Cordoba, gestorben 1198 in Marrakesch), und der Jude Maimonides  (geboren zwischen 1135 und 1138 in Cordoba,  gestorben 1204 in Kairo). Sie sind sozusagen Highlights der geistigen Menschheitsgeschichte, Leuchttürme der Rationalität und Aufklärung in einer Welt, die im Großen Ganzen im Dunkel von Dogmatismus und Vorurteil befangen war und ist. Natürlich sind wir zu den ihnen gewidmeten Denkmälern gepilgert. 

Die Statue des jüdischen Gelehrten und Arztes Mosche Ben Maimon, bekannt in der griechischen Form Moses Maimonides befindet sich ebenerdig in einem kleinen mit Jasmin bepflanzten Hof. Sonnig und still ist es hier, die Touristenströme verirren sich weniger in diese Ecke der Stadt, und so genießen wir die Nähe des großen Mannes, haben Lust auf eine kleine Unterhaltung.  

Das Thema? Nun, er selbst gibt es der Welt um 1190 in arabischer Sprache in seinem religionsphilosophischen Hauptwerk „Führer der Unschlüssigen“ vor. „Heftig umstritten“ war sein Buch zu seiner Zeit, das sich dogmatischen Weltinterpretationen entgegenstellt und das eigene Denken hochhält. Im Grunde ist sein Buch eine Auseinandersetzung mit der uralten Frage, wie sich die Gegenstände des Glaubens gegenüber der Logik des Denkens ausnehmen: können die beiden Prinzipien Glauben und Denken in einem Menschen gleichzeitig und unwidersprochen wirken? Oder muss man sie auseinander halten, als „zwei Quellen der Wahrheit“, wie es später der Hl Augustin formulierte? Maimonides neigte, dem Geist des Aristoteles verpflichtet, der Ansicht zu, dass der gebildete, aufgeklärte Mensch Glaubensinhalte nicht wörtlich, sondern als Metaphern zu nehmen habe. Der ungebildete Mensch möge sie weiterhin als tatsächlich hinnehmen.

Lange konnten wir uns leider nicht mit dem großen Gelehrten unterhalten, denn wir hatten nur einen vollen Tag in Cordoba zur Verfügung, und so eilten wir, den Anweisungen von Google Maps folgend, zum Standbild des anderen Großen, des muslimischen Gelehrten Abū l-Walīd Muḥammad ibn Aḥmad Ibn Rušd, kurz Ibn Ruschd, besser bekannt als Averroes oder Averrhoës. Hoch und eindrucksvoll  schaut er, im Rücken die Stadtmauer, hinunter auf die leider immer noch unaufgeklärte Menschheit.

Wie Maimonides war er als Arzt tätig und ein Kenner der Schriften des griechischen Philosophen Aristoteles. Genauer: er war DER Kenner von Aristoteles, hat dessen gesamtes Welt systematisiert und kommentiert, weshalb er von den christlichen Scholastikern ehrerbietig und schlicht „der Kommentator“ („il commendatore“ bei Dante) genannt wird, während Aristoteles „der Philosoph“ ist.  So groß war sein Ansehen, dass  Raffael ihm einen Platz in seinem wunderbaren Gemälde „Schule von Athen“gegeben hat.

 

Die Schule von Athen (Raffael)

5. Averroes In der Mitte wandeln Platon und Aristoteles. Der Geisteswissenschaftler Platon zeigt nach oben, der Naturwissenschaftler Aristoteles breitet seine Hand über der Erde aus. Averoes verneigt sich voller Demut und Liebe vor dem großen Lehrer, den er für den Inbegriff von Vernunft und Logik und damit für den erhabensten Geist, der je auf Erden wandelte, hielt. Ich aber verneige mich vor Averroes, ohne dessen hingebungsvolle mühsame Arbeit uns die Schriften des Aristoteles heute nicht zur Verfügung stünden.

Nach diesen beiden erhabenen Besuchen stand uns der Sinn nach einem Päuschen und einem Erfrischungsgetränk. Wir fanden ein paar Tische im Schatten und setzten uns. Ein magerer alter Mann mit Sonnenbrille spielte, neben der Büste eines arabisch aussehenden Mannes stehend, auf einer Gitarre, und sang. Eine ältliche Frau ging herum und sammelte Geld in einem verbeulten Hut. Dann gingen sie, die Frau führte den Mann, der seine Hand auf ihre Schulter legte und ihr folgte. Ein blinder Sänger….

Ich stand auf, um mir die Büste von Nahem zu besehen. Ein eindrucksvoller arabischer Kopf, sensibel, mit leicht resigniertem Zug um seinen schönen Mund. Wer war das?

Auf dem Sockel las ich: Al celebre ocultista* Mohamed Al-Gafequi

Ein Okkultist? Im internet finde ich folgende Erklärung: der Dargestellte war ein angesehener Augenarzt und Chirurg des 12. Jahrhunderts, ausgebildet in Cordoba und Baghdad, spezialisiert auf die Entfernung von Katarakten (Grauer Star).  Ocultista bedeutet nicht nur Okkultist, also der, der sich mit dem Verborgenen befasst, sondern auch Augenarzt, der dem von Blindheit Bedrohten die Augen öffnet…. Darum also hatte der blinde Mann neben dieser Büste gesungen….

Augenöffner waren sie alle, von Aristoteles über Averroes bis hin zu Maimonides und Al-Gafequi. Mögen wir alle von Blindheit jeder Art verschont bleiben!

*Anmerkung: ich habe falsch gelesen, es heißt oculista = Augenarzt, und nicht ocultista = Okkultist. Danke, Myriade, für den Hinweis.

 

 

 

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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11 Responses to Andalusienreise (3): Von Philosophen und Augenöffnern

  1. Wunderbare Skulpturen! Und sehr eindrucksvolle Fotos!

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  2. Avatar von Myriade Myriade sagt:

    So seltsam ist Spanisch nicht „oculista“ ist der Augenarzt im Gegnsatz zum „ocultista“ 🙂

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  3. Avatar von Stefan Kraus Stefan Kraus sagt:

    Vernunft und Logik, Aufklärung und Wissenschaft… Ein Stück Metall, das betrachtet und fotografiert wird… Ein blinder Sänger… Das spricht viel. Es lebe die Weite des Geistes. Danke 🙏

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  4. Avatar von Weymann , Elsbeth Weymann , Elsbeth sagt:

    DANKE !! Gerda, für die Einblicke, Eindrücke, Gedanken und Wahrnehmungen von Deiner Andalusienreise. Geistgrößen des Hochmittelalters dreier Kulturen –und ein blinder Sänger, heute !
    Was für ein Bild !

    Granada und Cordoba und wunderbare lange Fahrten mit Regionalbussen durch das Land habe ich auch erlebt. Zusammen mit meiner Freundin Akiko.
    Ein Sehnsuchtsland, dies al – Andalus … Maimonides, Ibn Ruschd, Aristoteles … Garcia Lorcas Gedicht “ Córdoba, lejana y sola “ ….Alles taucht durch Deine Erzählungen jetzt wieder in mir auf. In Tiberias, Israel, das Grab des Maimonides. Er hätte auch heute Israel – und der Welt- einiges zu sagen, dieser „Lehrer der Schwankenden“ … „Führer der Unschlüssigen“… „Guide for the Perplexed“ oder wie auch immer der Titel seines Hauptwerkes übersetzt wird.
    Danke fürs Teilen !

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      Danke, Elsbeth, für dein wieder so schönes Kommentieren. Tatsächlich habe ich oft an dich denken müssen, wenngleich ich nicht sicher wusste, ob du je in Andalusien warst. Aber bei Maimonides war ich mir sicher, dass du mit ihm in Resonnanz gehen würdest. 🙂 Liebe Grüße ! Gerda

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  5. Augenöffner – welch schönes Wort, Gerda und ich genieße Deine Zeilen mit den vielen wundervollen Informationen.

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