Immer noch bemühe ich mich, täglich ein wenig zu zeichnen, um nicht aus der Übung zu kommen. Und immer hilft es mir auch, meine Gedanken zu ordnen.
Diesmal skizzierte ich zweimal auf gegenüberliegenden Seiten dasselbe einfache Motiv: Kaffeebecher, Buch, Handy mit Kabel auf dem Couchtisch.
Die erste Zeichnung beschränkt sich auf die Umrisse der Gegenstände und Schatten…
die zweite führt Hell-Dunkel-Kontraste und Oberflächenstrukturen aus und bezieht auch die anderen in den Bildausschnitt hineinragenden Dinge – Obstschale, Teppich – mit ein. Dies Einbeziehen ist mir wichtig, denn es erinnert mich daran, dass die Welt nicht mit dem gerade ins Auge gefassten Bildausschnitt endet, sondern immer weitergeht. Jeder Ausschnitt aus dem Weltganzen ist ein Willkürakt. Doch wenn ein Ausschnitt einmal gewählt ist, folgt er eigenen Gesetzen, was die Komposition, insbesondere die Gewichtungen von Formen, Licht und Dunkelheiten auf der Fläche betrifft.
In der Zeichnung strebt alles nach Verbindung und Ausgleich, und zwar schon deshalb, weil es sich auf einer begrenzten Fläche arrangieren muss. Ein „Ding“ mag nicht ohne das andere sein, eine Helligkeit nicht ohne das Dunkle, ein Rundes nicht ohne das Eckige, ein Kompaktes nicht ohne das Feingliedrige.
In der fotografischen Wiedergabe dieses Realitätsausschnitts (das Handy fehlt, weil ich es zum Fotografieren brauchte) gibt es diese Qualitäten der Komposition nicht. Da herrscht Beliebigkeit. Bestreben des Zeichners ist es, das Beliebige zu strukturieren und das Unterschiedliche, ohne es zu mindern, zum Ausgleich zu bringen.




Interessant Deine Erklärung dazu! Du fokussierst Dich auf den Bildausschnitt und zeichnest es Detailgetreu, dadurch gewinnt es an Eigenständigkeit! Es wird quasi Personalisiert! Und trotzdem gehört es zum Ganzen Raum!🤔Ich finde immer Quere Gedanken!🤔😂
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Gut erfaßt und verständlich erklärt.
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Interessant, darüber habe ich nie nachgedacht, dass es Unterschiede zwischen Foto und Zeichnung gibt – also betreffend des Ziels vom Zeichner.
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Interessant der Gedanke durch eine Zeichnung Struktur in einen Ausschnitt der Welt zu bringen!
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Ich meine, es ist wie beim Schreiben: Man wählt einen Weltausschnitt, den man – unter Absehung all der vielen Umstände, die sich außerhalb des Feldes gleichzeitig entwickeln mögen – sinnvoll zu strukturieren versucht. Es ist eine Art „framing“.
Mir fällt da grad der „Zauberberg“ von Thomas Mann ein: die feinen ausziselierten Beziehungen, die sich im Rahmen des Berg-Sanatoriums entwickelten, werden am Ende bedeutungslos, weil der Rahmen durch den Ausbruch des 1. Weltkriegs gewaltsam gesprengt wird. Auch der „Deus ex machina“ in Dramen ist solch eine Rahmensprengung. Die Logik des Ausschnitts bekommt einen Sprung, durch den das Inponderabile eindringt..
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Rahmensprengungen jeder Art können Menschen völlig aus dem Gleichgewicht bringen oder aber neue Entwicklungen und Möglichkeiten anstoßen. Es kann aber auch passieren, dass jemand sich an Trümmer des alten Rahmens festklammert und nicht bereit oder in der Lage ist, in einen neuen Rahmen zu wechseln.
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Übrigens möchte ich noch sagen, wie gut mir deine Art gefallen hat , mit der flachen Erde umzugehen. Stichwort : „Kind mit dem Bade ausschütten“. Nicht zustimmend aber auch nicht abrupt ablehnend. Ich beherrsche diese Art der vorsichtigen, respektvollen Kommunikation eher schlecht und sehe gerne immer wieder, wie andere das machen.
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Danke dir, anscheinend mache ich langsam kommunikative Fortschritte 😉
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🙂 🙂
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Gefällt mir, die Formulierung: „dass jemand sich an Trümmer des alten Rahmens festklammert… “ Ja, das gibts oft genug. Es kommt freilich auch vor., dass aus solch einem Trümmer ein neues Weltgebäude gezimmert wird. Beispiel in der Bibel vom weggeworfenen Stein, der zum Eckstein wurde….(„Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden…“). Nehmen wir die Bibel, auch das Neue Testament, mit ihren Vorstellungen, die den Menschen der aufgeklärten griechisch-römischen Epoche absurd vorkamen. Als Paulus kam, auf dem Areopag zu predigen, rannten die Athener hin wie zu einem Unikum, das sie belachen konnten. Und was geschah? Die Christen setzten sich durch, während die griechisch-römische Epoche in Trümmer fiel, bis sie im 15. Jh eine Art Wiederauferstehung feierte (Renaissance) und zum Eckstein der Moderne wurde…. Immer wieder gibt es solche Rückgriffe auf Altes, das sich dann den Weg in die Gegenwart bahnt und für einen Zeitraum bestimmend wird.
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Oh, die biblische Geschichte mit dem Eckstein kenne ich gar nicht. Mir gefällt auch die Theorie, wobei es ja eigentlich eine immer wieder bewiesene Entwicklung ist, dass Kulturen ihre Höhepunkte und ihre dekadenten Phasen haben…
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