Tagebuch der Lustbarkeiten: Sonnenaufgang (Kleine Beobachtungen)

Raffael

Die Sonne tönt nach alter Weise
In Brudersphären Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang (….)

Gabriel

Und schnell und unbegreiflich schnelle
Dreht sich umher der Erde Pracht;
Es wechselt Paradieseshelle
Mit tiefer, schauervoller Nacht (…)

J.W. Goethe, Faust I, „Prolog im Himmel“.

Eigentlich bin ich ja ein Morgenmuffel. Anders als der Sonnenuntergang gehört der Sonnenaufgang daher zu meinen eher seltenen Lustbarkeiten. Doch wenn ich, wie jetzt, draußen auf der Turmterrasse schlafe, kommt es nicht selten vor, dass ich der Sonne beim Aufgehen zuschaue. Oder eigentlich nicht der Sonne, denn die ist schon riesig und gleißend hell, wenn sie über den Bergkamm steigt. Da hinzuschauen ist ganz unmöglich. Aber ich kann zuschauen, wie die ersten Strahlen das Olivenland erreichen.

Dann geht es schnell. Eine breite Lichtspur erfasst einen Hang mit Oliven und Zypressen. Das Meer und die Stadt gegenüber leuchten auf.

Beim Fotografieren ist es halb acht Sommerzeit, eine Stunde nach dem astronomischen Sonnenaufgang (6.30 Uhr). Der Sonnenuntergang wird um 20.42 eintreten. Ich freu mich schon drauf, diesem „Untergang“ zuzuschauen.

Eine Bemerkung zum Wechselgesang der Erzengel aus Faust I: Erstaunlich finde ich, wie Goethe hier die alte und die neue Sicht auf die Himmelskörper nebeneinander bestehen lässt:

Die Sonne „vollendet ihre Reise“ – das entspricht der ptolemäischen Weltsicht und dem Eindruck, den wir Menschen haben, denn wir sehen ja die Sonne „reisen“ und spüren nicht die Erdbewegung. 

„…dreht sich umher der Erde Pracht“ – das entspricht der kopernikanischen Weltsicht und tatsächlichen Bewegung der Erde, die sich in rasender Geschwindigkeit unter der Sonne wegwälzt,  vom Licht ins Dunkel und wieder ins Licht. Wie schnell dreht sie sich? Nun, so um die 1000 km/h sind es bei euch, bei uns gehts noch ein bisschen schneller, und am Äquator sind es ca 1600 km/h. Dagegen sind die schnellsten Autos langsame Schnecken.

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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13 Responses to Tagebuch der Lustbarkeiten: Sonnenaufgang (Kleine Beobachtungen)

  1. Avatar von Gazelle3 afrikafrau sagt:

    du blickst in eine schöne heile Welt

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  2. Unfassbar wie schnell die Erde sich bewegt! Warum spüren wir nix davon, wegen der Erdanziehungskraft, sowas habe ich noch in Erinnerung!
    Joachim Schlichting könnte dies sicher sehr anschaulich beantworten!
    Die Wunder der Schöpfung sind grenzenlos!

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      Ich meine, wir merken nichts davon, weil sich nicht nur sämtliche Objekte auf der Erde, sondern auch die Atmosphäre mitbewegt. Die Erdrotation bleibt freilich nicht wirkungslos auf die Atmosphäre, wie zB die Passatwinde zeigen, die stabil immer in eine Richtung wehen – auf der Nordhalbkugel so, auf der Südhalbkugel andersrum. Aber diese Winde sehen wir nicht, die fühlen wir nur, und wir meinen, irgendjemand bläst tüchtig, damit sie entstehen. Jedenfalls sahen das so die „Alten“, die jedem Wind einen besonderen Namen gaben. Ulli Gau hat mal ausführlich davon berichtet, als sie mich besuchte. https://cafeweltenall.wordpress.com/2018/03/14/griechenlandfotos-03/

      Die Wirkung der Rotation kann man am besten bei Sonnen- und Mond-Aufgängen und -Untergängen beobachten. Da sieht man, wie schnell es geht.

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  3. Wunderbar sind Goethes und Deine Worte und diese herrliche Aussicht von Eurem Turm auf das Meer und die Landschaft!

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  4. Avatar von Verwandlerin Verwandlerin sagt:

    Danke liebe Gerda, für diese wie immer erquickliche Mischung aus Natur, Literatur und Philosophie.

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  5. Hinzu kommen noch schlappe 100000 km/h, mit denen die Erde um die Sonne rast. Auch davon merken wir nichts. Denn was wir beim Autofahren und anderen schnellen Bewegungen wahrnehmen sind Beschleunigungen und Stöße (Änderungen der Geschwindigkeit) und seien sie noch so klein. Manchmal bekommt man auf einer pefekten Eisenbahnstrecke (z.B. mit dem ICE zwischen Köln und Mannheim) ein Gefühl davon. Es gibt Streckenabschnitte, bei denen man so gut wie nichts spürt, obwohl die Anzeige 250 km/h oder so angibt. Erst der Blick aus dem Fenster gibt dann einen Eindruck von der Bewegung. Bei der rasenden Erde, die noch wesentlich „ruhiger“ rast kommt noch hinzu, dass Bäume und andere Gegenstände sich gleich schnell bewegen.

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  6. Ich habe mal ein fantastisches Video abgespeichert und da ging es darum wie schnell die Erde sich dreht.
    Leider hat der erste Link dazu nicht funktioniert! Ich versuche es nochmals!

    [video src="https://kunstschaffende.files.wordpress.com/2023/07/wp-1690814772386.mp4" /]

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