Ausstellungsbesuch „Back in Athens“ 5: Bildhaftes (Sonnenuntergang, Vögel und Madonnen)

In Großausstellungen zeitgenössischer Kunst führt herkömmliche Malerei ein Schattendasein. Und so ist auch meine Ausbeute an Werken, die der Rubrik „Malerei“ zuzuordnen wären, gering. Da kommt es mir entgegen, dass es das griechische Wort εικαστικά (ikastika, Bildhaftes, vergl. Ikone) – gibt. Ein Ikastikos ist ein Maler oder Bildhauer, der etwas „abbildet“. Da wird sich doch etwas finden lassen, oder?

Das Werk einer „echten“ Malerin zeigte ich schon: Irene Diadou. „Nachdenkliches angesichts eines Sonnenuntergangs“. Das Karminrot brandet gegen den schwachen Zaun, der die Bewegung abbremst. Und drüber ein rötlicher Streifen im nächtlichen Blau. 

Groß und luftig kommen die Gemälde der griechischen Künstlerin Nana Seferli daher

Schlecht zu erkennen? Ja, leider. Die Hängung im Flur erlaubt zwar einen ordentlichen Abstand, aber die Beleuchtung ist eher schäbig, und das Menschentreiben rundum hinderlich. Da ist es hilfreich, im Nachhinein jedenfalls noch das Foto betrachten und sich an den zarten Farbgebungen erfreuen zu können. („Vogelvase“ der Titel)

An einen Vogel dachte ich auch bei diesem sehr großen und eindrucksvollen Gemälde „Blue“ (leider habe ich den Namen der Künstlerin nicht notiert)

Vögel sind es auch, die den bulgarischen Künstler Kiril Cholakov inspirieren.

Ein Reiher dient dem Wanderer als Haupt, und auf einem langen Draht von hier bis zum „Haus jenseits der Welt“ (so der Titel) aufgereihte Schwalben weisen ihm den Weg. „Gemalt“ ist es mit Akryllfarben, Asche, Bleistift auf Leinwand. Bei meiner Suche im Internet fand ich noch andere seiner enigmatischen Vogelbilder (hier).

Das Bild ist, warum auch immer, thematisch den „Reflexionen: Christliche Tradition in der bildenden Kunst“ zugeordnet. An der Rückwand des Raumes dominiert ein Madonnenbild, und ich strebe drauf zu. Dabei trete ich, wie vor mir schon so mancher andere Besucher, auf ein großes mit Sand auf den Boden „gemaltes“ byzantinisches Kreuz (byzantinisch, weil das Kreuz an seinen Enden in Blüten übergeht)

Der Künstler Dimitris Skourogiannis, mit dem ich ins Gespräch komme, findet das in Ordnung. So sei es gemeint gewesen, drum habe er das Kreuz mitten im Raum platziert.

Die Madonna („Mutter und Kind“ ist der Titel) beschaue ich mir genauer. Sie ist  doppelbödig gearbeitet. Die Zeichnung befindet sich auf einer Folie, und darunter, mit etwas Abstand, gibt es einen festen Boden, auf den die Farben großflächig und ohne Schattierungen aufgetragen sind. Die Madonna ist mit militärischem Kaki bekleidet. Das Jesuskind ist durch eine Puppe ersetzt. Der bei orthodoxen Ikonen übliche Goldboden wird durch Bonbonpapier, Aluminium und Draht kunstvoll imitiert.

Der Archetyp Mutter und Kind, der in der christlichen Tradition bestimmte Formen angenommen hat, wird hier perfekt nachgebildet und spricht all die heiligen Gefühle an, die die „Madonna mit Kind“ eben seit Jahrhunderten anspricht: Mütterlichkeit, Leid, Hingabe, Bitte um Schutz. Zugleich aber wird der Archtyp in Frage gestellt, destruiert: Kaki und Bonbonpapier und statt Kind eine Puppe. Das Heilige entpuppt sich als Kitsch und Täuschung. Diese Mutter im militärischen Look stellt traditionelle Mütterlichkeit perfekt dar, aber es ist nur eine Pose.

Zugleich aber ist es ein Bild der Mütterlichkeit, immer und überall. Denn der Archetyp wird nicht nur destruiert, er wird auch kunstvoll von neuem konstruiert und bleibt, o Wunder, im Gemüte des Beschauers wirksam.

Ich vermute, die wenigsten Besucher haben die Ironie und den Witz dieser „Ikone“ wahrgenommen. Ich weiß auch nicht, was der Künstler selbst hat ausdrücken wollen. Das ist das Wunderbare an Kunst: Sie ist ambivalent, offen für Interpretation, und jeder ist seiner Interpretation Meister.

Avatar von Unbekannt

About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, alte Kulturen, ausstellungen, die schöne Welt des Scheins, Erziehung, Fotografie, Kunst, Materialien, Mythologie, Psyche, Tiere abgelegt und mit , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

13 Responses to Ausstellungsbesuch „Back in Athens“ 5: Bildhaftes (Sonnenuntergang, Vögel und Madonnen)

  1. Gerda, es ist viel, was Du da gerade erlebst und verarbeitet und uns zeigst. Ich weiß nicht, ob ich das alles jetzt alles durchlese und bedenke und kommentiere. Ich freue mich aber für Dich.

    Gefällt 1 Person

  2. Der Künstler Kiril Cholakov mit seinem Werk hier mit dem Reiher und dem Wanderer beeindruckt mich sehr!

    Like

  3. Avatar von Myriade Myriade sagt:

    Die beiden Künstler, die du ausgesucht hast, sind wirklich sehr interessant ! Vor allem die ambivalente Madonna, die zur eigenen Interpretation freigegeben wird, gefällt mir sehr …

    Gefällt 1 Person

  4. Du hast Deinen Fußabdruck auf dem Kreuz hinterlassen, Gerda. So deutlich mußtest Du Dein Mißfallen doch gar nicht äußern … *lächel*
    Der Sohn am Kreuz, welche Mutter hält das aus. Der Vater hielt es aus…, aber mein Gefühl rebellierte und tut es noch heute.

    Like

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..