Ich möchte noch von ein paar weiteren Eindrücken vom gestrigen Besuch in der „Back-in-Athens“-Ausstellung berichten. Der erste Eintrag kreiste um das Thema „Altern, Alter“, im zweiten lautet das Thema: „Was von einem Leben bleibt“. Beide Thematiken sich eng verwandt, und so ist es ein kluges Arrangement, dass der vom Schweizer Künstler Werner Widmer gestaltete Raum „Remains of Life“ gleich neben dem schon beschriebenen liegt. Werner Widmer stellt schon seit einiger Zeit in Athen aus. Im internet fand ich eine Besprechung einer früheren Arbeit mit vergänglichen Zuckerstücken und biografische Angaben (hier).
Trittst du in den Raum, siehst du in der Mitte eine Vitrine mit allerlei Kleinkram: alte Zeitungen, Fotos, Notizen, kleine persönliche Gegenstände. Emotional gesättigte Überbleibsel, wie sie sich in durch Tod verwaisten Wohnungen finden. An den Wänden hängen Rahmen mit Fotos von leeren Wänden. Bei genauerem Hinsehen sind die fotografierten Wandabschnitte nicht ganz leer, sondern es gibt schattenhafte Umrisse ehemaliger Bilder und einsame Bildaufhänger, manchmal auch Löcher dort, wo der Nagel des Bildaufhängers beim Rausziehen Widerstand leistete. Fotos und abgebildete Objekte haben identische Dimensionen, so dass man, gäbe es nicht den Rahmen und das Glas, den Eindruck haben könnte, direkt auf das fotografierte Stück Wand zu schauen.
Das ist alles.
Zum Glück gibt es auch den Künstler selbst, der bereitwilligst erklärt, worum es sich handelt: Er betrat die ehemalige Wohnung eines Professors für Byzantologie etwa zwei Jahre nach dessen Tod bzw dem nachfolgenden Tod seiner Witwe. Die Wohnung war nicht leer, sondern voller Möbel und alltäglicher Dinge, aber alles, was eventuell von Wert war, war abgeräumt worden. Dazu gehörten wohl vor allem die Bilder an den Wänden. Der Erbe – so der traurig-empörte Befund des Künstlers – habe keinerlei Interesse an den persönlichen Hinterlassenschaften seiner Eltern gehabt. Er ließ sogar einen rührenden Liebesbrief der alten Leute zurück.
Ich hörte mir seine Klage an, beschwichtigte dann aber entschieden (denn das Thema brennt mir auf der Seele). Das sei doch ganz in Ordnung so: Was der Erbe denn mit dem alten Kram solle? Er habe ja sein eigenes Leben, es sei schwer genug, von Eltern endgültigen Abschied zu nehmen und keineswegs ein Beweis für Kaltherzigkeit, wenn die Überbleibsel ihres Lebens nicht ins eigene überschwappen und sich dort noch eine Weile herumtreiben dürfen. Schließlich sei auch der Erbe sterblich, ihm werde es in absehbarer Zeit gehen wie den Eltern, niemand werde sich wirklich für seine Anliegen und Erinnerungen interessieren… und so immer fort, von Erbe zu Erbe…
Auch einen Stapel Zeitungen vom Februar 1967 – zwei Monate vor dem Putsch der Obristen – fand er in der Wohnung und überaus wichtig. Warum nur handelten sie vom Mord an J.F.Kennedy, der doch schon dreieinhalb Jahre zurücklag? Oder ging es gar nicht um diesen Mord? Von „εισαγγελεα“ (Staatsanwalt) ist die Rede und dass dieser die Nennung irgendwelcher Namen fordert… Geht es vielleicht um einen anderen Kennedy, oder um die Witwe Jacky, die den Onassis heiratete?…. Was bleibt, denke ich, außer ein paar alten Zeitungen, die ich nicht mal historisch einzuordnen weiß. Und der des Griechischen nicht mächtige Künstler kann es erst recht nicht.
Während wir so hin und herreden, mache ich ein paar Fotos von den Fotos der leeren Wände und von dem Künstler, den diese leeren Wände so barmten, dass er daraus eine Kunstinstallation machte.
Dabei fiel mir auf, dass diese Wände gar nicht mehr leer waren, sondern dass sie gefüllt waren mit unseren Spiegelungen. Geisterhaft waren wir darin gefangen – wie eine Vorahnung darauf, was von unserem Leben einst bleiben wird. Ich bat den Künstler, sich vor das leere Rund zu stellen, um seine Spiegelung zu fotografieren, und ich verstand, glaube ich, warum ihn diese leeren Flächen so verstörten.
Es ist schwer, mit dem Wissen um die eigene Vergänglichkeit zu leben. Man erträumt sich irgendeine Form des Fortbestands, sei es auch nur in den Dingen, die einem mal bedeutsam waren. Wenn die von „Erben“ in Ehren gehalten werden, so meinen wir vielleicht, seien auch wir noch ein wenig da. In den Dingen suchen wir fortzuleben, weil wir an ein wirkliches persönliches Fortleben nach dem Tode nicht glauben können.
Ich erinnere mich an ein kurzes Gespräch, dass ich gestern mit der befreundeten Künstlerin Irene Diadou hatte: sie fragte nach dem Bild, das wir ihr vor Jahren einmal abkauften und das seither unser Wohnzimmer schmückt. Das sei an seinem Platz, sagte ich, und so sei auch sie immer bei uns zu Haus präsent. Da lächelte sie und meinte: „Darum malen wir ja.“.
Dies eingedenk, verneige ich mich vor einem Künstler, der nicht das eigene Werk, sondern das vergängliche Leben ihm unbekannter Menschen so wichtig nahm, dass er ihnen seine wehen Gedanken und seine künstlerische Sorgfalt widmete. Werner Widmer der Name des Künstlers.


Liebe Gerda,
wie Du weißt betrifft mich dieses Thema aktuell auch und ich glaube die wertvollsten Erinnerungen tragen wir im Herzen und vor unserem geistigen Auge!
Es heißt Erinnerungen würden verblassen, doch ich glaube eher je länger sie her sind desto intensiver erscheinen sie!
Bei vielen wandern Gegenstände dann in den Keller aus Platzgründen und dort geraten sie dann meist in Vergessenheit. Zum Schluss ist es dann nur noch Belastung.
Dies zu entscheiden obliegt natürlich immer den Erben und ich finde Deine Sichtweise sehr gut, es trifft sich mit meiner!😁
Liebe Grüße Babsi
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Hab lieben Dank für deinen Kommentar, Babsi. Das wichtigste ist ja doch das, was wir im Herzen tragen. Ein Gegenstand kann freilich Erinnerungen aufrufen, und dann fällt es schwer, ihn wegzugeben. Aber es muss sein.
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Liebe Gerda, dein Ausstellungsbericht interessant, macht mich nachdenklich, demütig. Was bleibt? Soviel Arbeiten (Druckgrafiken u. a.) in den Schubläden. Interessante Beiträge, die man sammelt…., hofft man die Kinder werden sich dafür interessieren?
Du siehst das richtig! Es macht zwar erst traurig; die Erkenntnis über deren eigenes Leben wird bewusst.
Habe vor 3 Jahren die Wohnung meiner Mutter geräumt und so einiges an Kisten ist noch da. Aber es beschwert mich auch.
Danke für deinen Beitrag, liebe Grüße Sabine
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Liebe Dank, Sabine! Das sind schwierige Entscheidungen…Schon das Eigene wegzuwerfen, ist schwierig genug, nun gar das von geliebten Menschen, die gegangen sind. Aber es hilft ja nichts, man muss es loslassen. Sonst verstopft man seine Räume und lädt den Erben Mühevolles auf.
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Denke noch über das Thema Erinnerungen bzw. „Was bleibt“ nach – danke für die
Anregung und die Ausstellungsmacher finde ich sehr mutig, mit diesem Thema geht jeder Mensch anders um, oder verdrängt es schlicht und einfach.
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Danke, liebe Afrikafrau!
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Werner Widmer , ein Künstler mit großer Seele.
Es gefällt mir, Dich nwben ihm im spiegel zu erblicken.
Vergangenes Leben liegt hinter Euch beiden, veermutlich sehr verschiedenes, und doch passt ihr beide gemeimsam in einen Spiegel, der SO VIEL Leben zeigt…
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es ist immer interessant, wer und was alles in EINEN Spiegel passt, liebe Bruni! Danke für deine Anmerkung, die mir zu denken gibt.
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Liebe Gerda,
Dein Bericht passt in meine Lebenssituation.
Wir mussten Papas Zimmer im Pflegeheim innerhalb von 3 Tagen räumen. Mein Bruder und meine Nichte nahmen sich dieser Aufgabe an. Letzte Woche haben wir in der Familie den ersten Karton geöffnet und jeder nahm sich Erinnerungsstücke und den Rest haben wir entsorgt. Mein Sohn nahm die Kiste, indem sein Opa seine Zigarren aufbewahrte. Für ihn (29 Jahre) ein Stück, dass er seit seiner Kindheit kennt. Die zahlreichen Fotos mit Familienbilder teilten sich von selbst auf. Kein einziges blieb übrig. Ich habe Papas zwei Wanduhren genommen. Für jeden ist irgendetwas anderes wichtig und ein Merker zu Papa. Was wir mit den zahlreichen Fotoalben meiner Eltern machen, das wissen wir nicht. Jeder hat schon Alben mit Feierlichkeiten, die einen selbst betreffen, mitgenommen. So ich die Fotos meiner 1. Hochzeit.
Ja, das ist Leben und ich kenne deine Einstellung zu deiner Kunst nach deinem Tod.
Danke für deine Gedanken,
Susanne
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Danke Susanne. Für die Erben ist es halt schwer, bittersüß, denn der Verstorbene und seine Dinge sind ja auch mit den Lebenden verwoben, so wie die Zigarrenkiste des Opas mit der Kindheit des Enkels. Was irgend ins eigene Leben passt, wird man an sich nehmen und bewahren. Jedenfalls tun das die meisten Menschen. Ich tadele aber auch die nicht, die nichts behalten wollen, nicht einmal das Eigene. Sei lieb gegrüßt und getröstet, Gerda
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Liebe Gerda,
Du hast recht, jeder findet seinen eigenen Weg, mit dem Erbe der Lieben umzugehen. Es kann befreiend sein, sich von den Sachen zu trennen. Und du hast recht, dass es uns nicht ansteht zu urteilen, wie jeder mit seiner Trauer und dem Erbe umgeht.
Ich finde es sehr schwer Dinge, die meinen Eltern lieb und teuer waren, wegzuschmeißen. Andererseits brauche ich vieles nicht und es würde mich in meinem Haushalt belasten. Platz im eigenen Heim ist für mich ein hohes Gut.
Wie immer: Alles nicht so einfach.
Danke für den Trost und liebe Grüße von Susanne
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Liebe Grüße, nun wieder aus der Mani!
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