Welttheater, 4.Akt, 45. Szene: Jenny erzählt

Was zuletzt geschah: Hawi ist müde, Danai begleitet ihn auf die Wiese zu den Schafen. Domna bringt auch Clara hinaus, damit sie sich zu Hawi legt. Danai singt den Kindern ein Schlaflied…

Danai

Wie war doch das Lied, das die Frauen mir sangen

wenn Heimweh wir hatten und großes Verlangen

nach einem Zuhause und nach einem Bett?

Mir ist so als ob ichs vergessen fast hätt….

Domna deklamiert Goethes „Wanderers Nachtlied“ in zwei Versionen.

Domna kehrt ins Haus zurück, wo sie den Hirten Fotis, Wilhelm, Abud, Jenny und Trud

vorfindet.

Fotis:

Nun bleiben noch Jenny und du,

danach gehn auch wir zur Ruh.

Domna.

Magst du jetzt, Jenny, auch mal was erzählen?

nur wenn du willst, du musst dich nicht rumquälen.

 

Jenny

Na gut, ich muss wohl. Doch wovon soll ich berichten?

Ich wollt ich könnt ne schöne Geschichte erdichten.

Wollt ihr denn wirklich wissen, wer die Jenny ist?

Wenn ichs erzähl, dann findet ihr es sicher Mist.

Fotis

Nur zu, erzähl, so schlimm wirds schon nicht sein.

Und wenn, mit schlimmen Sachen bist du nicht allein.

Jenny

Na gut, ich sag’s

wer will, der mag’s.

Geboren hat mich meine Mutter im Bordell

war keine große Sache und ging ziemlich schnell

doch was soll eine tun mit so nem Gör?

Find sie bei ihrem Macker denn Gehör?

 

Wohl kaum, drum hat sie es auch weggegeben

und so begann, wie man so sagt, mein Leben.

Erst wars ne Anstalt, später warens Leute

die sich erboten, was man dann bereute.

 

Bis ich dann selbst genug von allem hatte

und frei sein wollte, drum macht ich die Platte.

Doch dann hat man mich eingelocht. vonwegen

ich etwas mopsen wollt, wie wir zu sagen pflegen

 

Der mich verpfiffen hat, der blöde Hund

tat so als täts ihm leid, und der war auch der Grund

dass ich am Strich gelandet, freilich nicht für lang,

Ich tat’s ja nur, weil er mich dazu zwang.

 

Ich konnt die Kerle einfach nicht ertragen

die΄s mit mir machen wollten, ohne mich zu fragen

obs mir gefällt, ne danke, nicht für mich.

und so verließ ich ziemlich bald den Strich.

 

Seither treib ich mich rum, bis ich euch fand.

Mir ist schon fast, als wären wir verwandt.

 Jetzt bin ich beinah jedem Abend satt.

Das ist ein Glücksfall, den nicht jede hat.

Domna

Und Clara, wie kam sie zu dir?

Sie ist dein Kind – so scheint es mir?

Jenny

Die fand ich mal, sie zieht so mit mir rum

Sie sollt ins Heim, war ohne Eltern, drum.

Abud

Ich glaub, du schmierst uns an und machst dich wichtig.

Jenny

Was ich erzählt hab, war so ziemlich richtig.

Abud

So ziemlich, ha, das dachte ich mir gleich.

Am Ende war dein Vater wohl ein Scheich

Jenny

Na klar, und ich Prinzessin, tugendhaft und reich

die durch viel Unglück ging, doch ganz am Ende

 kam unerwartet dann die große Wende

Da kam ein Prinz, der hat mich abgeküsst.

Es wär schon cool, wenn ich sein’n Namen wüsst.

Wilhelm

Nen Vater hattest du wohl keinen?

Der hat dir wohl gefehlt, so will mir scheinen?

Jenny

Kommt ganz drauf an, ein Vater wär schon dufte

doch wenn der dann auch nur rumsuffte

und wollte, dass ich für ihn schuffte.

und wenn ich stur bin, mich noch knuffte

 

nee, danke schön, da bleib ich lieber ohne

für so nen Vater gäb ich nicht die Bohne.

Dein Vater war dir, sagst du, auch nicht recht.

Fotis

Ich finds nicht gut, wie ihr vom Vater sprecht.

Mein Vater hat mich auch oft schikaniert

und Kloppe gab es auch, ist schon passiert,

doch hat er mir auch vieles beigebracht.

wie man die eine und die andre Sache macht.

 

So ohne Vater leben finde ich nicht gut.

Wie war es denn bei dir, Abud?

wird fortgesetzt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

.

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Erziehung, Leben, Legearbeiten, Malerei, Meine Kunst, Welttheater abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

15 Antworten zu Welttheater, 4.Akt, 45. Szene: Jenny erzählt

  1. Gisela Benseler schreibt:

    Es wird nichts ausgelassen in Deinem Welttheater, Gerda. Wie sollte es auch? Wer „die Welt“ und die Menschen mit ihren Schicksalen besser verstehen will, wird auch dies verstehen wollen.

    Gefällt 2 Personen

    • gkazakou schreibt:

      So, bei dir öffnen sie sich also immer wieder? Vielleicht bei mir auch? Ich kann es jetzt nicht nachprüfen, da ich nicht mehr in der mani bin. Sobald ich zurückkomme. werde ich ein Auge drauf haben.

      Like

  2. kopfundgestalt schreibt:

    So ohne Vater leben
    das war eine der Sorgen, als mein Bruder und Vater jung gehen musste.

    Gefällt 1 Person

  3. Unser Vater war nie da.Erst auf Montage und nur Wochenendbesuche, dann Tbc-krank und nur in Krankenhäusern, bis er als ich 14 war nach Nürnberg ging und wir allein mit der Mutter in der DDR blieben… Die Jungs hätten einen Vater wohl noch dringender gebraucht als ich!…

    Like

    • gkazakou schreibt:

      Ich erinnere mich an eine Lehrerin, die bei einem späteren Treffen sagte „Euch fehlte der Vater“. Das klang in meinen Ohren nicht so gut, denn es bedeutete: der Vater hätte euch manches nicht durchgehen lassen, er hätte für Disziplin gesorgt o.ä. Mir fehlte nicht EIN Vater, sondern MEIN Vater, dieser ganz bestimmte Mensch, der im Krieg umkam, als ich geboren wurde.

      Gefällt 3 Personen

  4. Mitzi Irsaj schreibt:

    Jennys Geschichte so hart und knapp von ihr selbst erzählt kann einen nicht kalt lassen. Diesmal geht es mir bei den Kommentaren darunter ähnlich und ich weiß (was ich auch sonst weiß), was für ein Glück ich habe meine Eltern noch immer beide zu haben.
    Ganz sicher keine Kinderbuchfamilie, aber wir mögen uns sehr und das scheint mir gar nicht so selbstverständlich zu sein.
    Aber zurück zum Theater…..ich mag es, das weißt du. Ich mag jede einzelne Person und wie sie immer mehr an Tiefe gewinnen und man immer mehr von ihnen erfährt.

    Like

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..