Welttheater, 4. Akt, Szene 43b: Domna zu Wilhelms Geschichte (Wilhelm Meister, der Harfner)

Was zuletzt geschah: Wilhelm hat seine Geschichte erzählt. Jenny und Abud sind beeindruckt, weil er reich und angesehen war.

Wilhelm:

Ja,  Jenny, ich war ziemlich weit bekannt

und hatte einen guten Ruf in meinem Land

weil ich die Reichen immer reicher machte

so dass man mich auch reichlich mitbedachte.

Auf Truds Nachfrage hin rührt er an das Trauma seiner Kindheit: seelische und körperliche Misshandlung durch den allmächtigen Vater-Richter, dem er den Tod wünscht. Er führt ein Doppelleben zwischen angesehenem Anwaltsberuf und heimlicher Unterstützung einer revolutionären Bewegung, der dann sein Vater zum Opfer fällt (Ödipus-Analogie). Er flieht aus seinem Land (Peru) und sucht Frieden in der Einsamkeit der Berge. Die Wunde heilt langsam.

Wenn ich allein war hier in der Natur

da sprach ich oft mit ihm, damit er mal erfuhr

was er mir angetan. Und wie ich ihn gehasst.

Doch jetzt nicht mehr, denn die Erinnerung verblasst.

Domna (rezitiert)

„Wer sich der Einsamkeit ergibt,

Ach! der ist bald allein;

Ein jeder lebt, ein jeder liebt,

Und lässt ihn seiner Pein.“*

 

Wilhelm (rezitiert)

„Ja! lasst mich meiner Qual!

Und kann ich nur einmal

Recht einsam sein,

Dann bin ich nicht allein.“*

Domna (rezitiert)

„Wer nie sein Brot mit Tränen aß,
Wer nie die kummervollen Nächte
Auf seinem Bette weinend saß,
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.“*

Wilhelm (rezitiert)

„Ihr führt ins Leben uns hinein,
Ihr lasst den Armen schuldig werden,
Dann überlasst ihr ihn der Pein;
Denn alle Schuld rächt sich auf Erden“.*

(*Es handelt sich um die ersten und letzten Strophen vom Lied des Harfners, J.W.Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre)

Domna:

Gerührt hast du sehr tief an mein Empfinden

denn so wie dir erging es auch der Blinden

als sie noch sah, und doch nichts recht erkannte.

und alles Schmerzliche ins Unbewusste bannte.

 

Erblinden musste sie, auf dass sie sah

was in dem Inneren der Seele spielte

und sie bemerkte das, was nah,

während ihr Geist ins Weite zielte.

 

Du, Lieber, hast Vergangnes schwer durchlitten

und hast den Kreis der Sühne abgeschritten.

Nun kannst du abtun von der müden Seele

die alte Schuld, auf dass sie dich nicht quäle

 

und dich behindre auf dem neuen Pfad

den du nun hast betreten grad.

Wilhelm

Du sprichst es aus, was ich nur matt empfunden:

Ich habe einen neuen Weg gefunden.

Noch weiß ich nicht, wohin er mich wird führen.

Doch kann ich ihn schon untern Füßen spüren.

Fotis

So willst du gehn? Ach bleib doch noch zur Nacht!

Was willst du draußen jetzt in der Natur?

Weißt du nichts Spaßiges? Ich hätte gern gelacht.

Wie spät ist’s wohl? Ich habe keine Uhr.

Wilhelm:

Sehr gerne bleib ich und hör mehr Geschichten

von diesen Menschen, die ich wenig kenne.

Mich drängt ja nichts, ich habe keine Pflichten,

Isolde ruft nicht mehr, so dass ich renne.

Fotis

Ne Frau? Natürlich, dacht ichs doch

die trieb dich fort aus deinem Loch.

Doch jetzt tut Eile nicht mehr not

Kommt schon von selbst ins rechte Lot.

 

Wie ists mit dir, du schwarzer Mann

Ich finde, jetzt bist du mal dran,

Ganz sicher kommst du von weit her.

und weißt Geschichten, bitte sehr!

wird fortgesetzt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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6 Antworten zu Welttheater, 4. Akt, Szene 43b: Domna zu Wilhelms Geschichte (Wilhelm Meister, der Harfner)

  1. Du erinnerst mich an ein prägendes Erlebnis meiner frühen Jugend, als ich mit 12 oder 13 Jahren „Wilhem Meisters Lehr- und Wanderjahre“ las.
    Danke!
    Liebe Grüße Aus Bad Homburg von Gerel

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  2. Werner Kastens schreibt:

    Muss es am Ende bei Wilhelm nicht heißen „Isolde ruft NICHT mehr“? oder ruft mich nicht mehr?

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