Was zuletzt geschah: Abud sitzt im Keller von Wilhelms Lager fest. Hera half ihm nicht heraus. Götter, sagt sie, können nur beraten, doch was die Menschen aus dem Rat machen, liegt bei ihnen selbst, sie sind frei und schaffen sich durch ihr Handeln ihr Schicksal selbst. Doch hat sie Jennys Schritte zu Wilhelms Lager gelenkt.
Jenny:
Der Keller ist, scheint mir, ganz leer.
doch war mir, als hört ich Geräusche.
Hallo, ist da unten wer?
Glaub nicht, dass ich mich täusche.
Abud
Ich bins, kann nicht nach oben gelangen
komm wirf mir ein Seil, ich bin hier gefangen.
Jenny
Wie heißt du, wer bist du, ich kann dich nicht sehen.
Komm näher ans Licht, oder kannst du nicht gehen?
Abud
Ich bin der Abud, du kennst mich ja schon.
Ich kam hier ins Lager, zu holen den Lohn
weil ich den Wilhelm zur Bucht hab geschleppt
er wollt nicht bezahlen, er hat mich geneppt.
Jenny:
Zur Bucht? He, das lügst du, beim Sumpf ließt du ihn.
Abud:
Ja, stimmt, war der Sumpf, nicht die Bucht, wie mir schien.
Nun wirf schon ein Seil, ich will hier nicht bleiben.
Soll ich dir vielleicht nen Antrag erst schreiben?
Jenny:
Und wenn ich es tu, was hab ich davon?
Was gibst du mir denn dafür für nen Lohn?
Abud:
Was soll ich dir geben? Ich bin ja sehr arm.
Ich geb dir die Jacke, die hält ziemlich warm.
Jenny:
Du hältst dich wahrscheinlich für superschlau
und denkst, ich bin schwach und bloß eine Frau.
Den Wilhelm hast du im Sumpf gelassen
anstatt, wie du solltest, ihm aufzupassen.
Dann kommst du hierher und willst ihn beklauen
Wie blöd muss man sein, um dir zu vertrauen?
Abud:
Ich sag’s dir, mein Ehrwort, die Jacke ist dein.
Mir ist sie sowieso lange zu klein.
Jenny:
Das Ehrwort taugt nix, wenn der Mensch der es gibt
ein Mistkerl ist, der das Lügen sehr liebt.
Du denkst, die ist blöd, und bist du erst oben
Soll sie ruhig schreien und fluchen und toben
dann bist du der Herr, dann lachst du mich aus
nene, mein Lieber, das wird mal nix draus.
Schmeiß hoch deine Jacke, dann sehen wir weiter,
und wenn sie was taugt, dann bring ich die Leiter.
Abud
Verdammtes Luder, du bist grad wie ich
du bist echt okay, ich bewundere dich.
Hier fang meine Jacke, du hast mein Vertrauen
Ich glaube, da lässt sich ne Freundschaft draus bauen.
Abud wirft seine Jacke hoch, Jenny fängt sie auf
Jenny
Die Jacke ist gut, die werd ich behalten.
Die wird mir was nützen in den Nächten den kalten.
Jetzt hol ich die Leiter, dann kommst du herauf
Ich hab auch ein Bierchen, das trinken wir drauf!
———
* do ut des (lateinisch für ‚ich gebe, damit du gibst‘) beschreibt die Gegenseitigkeit als grundlegende Strategie sozialen Verhaltens (Wikipedia)
Naja, Jennys resolutes Wesen macht auf Abud doch Eindruck. „Do ut des“, „ich gebe, damit Du gibst“ ist hier auch schlaue Berechnung.
Aber Jenny tut – beherzt – doch das Rechte: Sie „wäscht“ ja Abud erst einmal „gründlich den Kopf“ und zeigt ihm, „was eine Harke ist“.
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Jenny fühlt und denkt ganz ähnlich wie Abud, sie sind durch ihre schweren Lebensumstände abgehärtete Jugendliche „Realisten“, die der Moral in Brechts Gedicht folgen „denn wie man sich bettet, so liegt man, es deckt einen da keiner zu. Und wenn einer tritt, dann bin ich es, und wird einer getreten, dann bist du’s.“
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Nein, mit Brechts Gedicht stimme ich absolut nicht überein. Es gibt auch Menschen, die ähnliches erlebten, aber anderes daraus für sich lernten.
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Durchaus, Gisela, die gibt es. Und es gibt die anderen. Auf die schaue ich in dieser Szene: was hat sie dazu gebracht, so zu denken, und was für Folgen hat es für sie und die Gemeinschaft? Was könnte dazu beitragen, dass sie nicht mehr so denken?
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Was könnte dazu beitragen, daß sie nicht mehr so denken?💓 Jenny machte schon einmal einen Anfang. Und Abud folgt wohl bald.☺️
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Was macht dich so sicher, Gisela?
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Vielleicht haben sich hier zwei gefunden, die die gleiche Sprache sprechen und sich gegenseitig stützen und durchschauen.
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Mal sehen, ob sie sich stützen und vertrauen oder übers Ohr hauen. Die gleiche Sprache sprechen sie und sie durchschauen sich, darum misstrauen sie sich. Aber sie kennen auch die Regeln, die in ihrem Milieu gelten, wenn man überleben will. Dazu gehört das „Ehrwort“. Wie sich die sich andeutende Dynamik zwischen den beiden entwickeln wird, ist noch ganz offen.
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Na gut, Gerda, ich bleibe gespannt, wie sich die Szene weiterentwickelt.
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