Dora hat nun schon fünf Bewerber befragt, und drei davon sind durchgefallen. Weder der Angstmacher noch der Überlebenskünstler noch der Neue Mensch haben bei ihr Punkte machen können. Der Hilfesuchenden wollte sie gern helfen, doch gelang es ihr nicht recht wegen all der Figuren, die dazwischen traten, und das Spielende Kind half seinerseits Dora, ihre Kraft, ihre Geschenkedose und vor allem das Licht in ihrer Latüchte zurückzugewinnen.
Nun schaut Dora den Haufen mit den Bewerbungsschreiben an. „Das Paar – was ist denn das?“ fragt sie. „Was soll ich dir sagen,“ druckse ich herum, denn mir ist schon klar, dass Dora ein Einzelwesen ist und nicht versteht, wie ein Paar fühlt. Am besten, wir lesen noch mal, was es sagt!“
„Wir sind ein Wir. Uns ist bewusst, dass unsere Lebensform manchem veraltet erscheint. Wir aber bleiben überzeugt: ein Paar. Was den einen betrifft, ist auch für den anderen wichtig. Als Paar erleben wir die Welt. Als Paar lernen wir, die Welt aus der Perspektive eines Du zu erleben. Das ist manchmal schwierig, auch schmerzhaft, aber es ist das, was uns vor allem anderen interessiert.“
Dora guckt mich mit großen Augen an. „Sind wir ein Paar – du und ich?“ fragt sie. Ich muss lächeln. Liebe Dora. „Nein, nicht wirklich“, sage ich. immer noch lächelnd. „Wir sind ja zwei unabhängige Wesen. Du und ich haben uns getroffen, haben uns eine Weile gut miteinander vertragen, ich habe dich lieb gewonnen und du magst mich, glaube ich, auch. Aber ein Paar sind wir deshalb noch nicht. Ein Paar, das ist, das ist….“
„Ich glaube, ich geh mal hin und frage selbst so ein Paar, bevor deine Zunge Knoten kriegt“, kräht Dora. Sie findet das Paar beim Besuch eines Tempelbezirks. „Im Jahre 345 vor Christus befanden sich hier noch uralte Reste einer früheren Tempelanlage“, hört Dora die Dame sagen, und „Das stimmt nicht genau, Schatz, das war 345 nach Christus,“ meint die männliche Stimme. – „Ich bitte dich, das ist ganz unmöglich!“ Das sagt die Frau. – „Meine Liebe, im Jahr 345 vor Christus war hier eine ganz andere Zivilisation, die dann allmählich….“ sagt der Mann. „Also ich habe es eben noch nachgelesen, du irrst dich, mein Lieber, hier war, genau, ich lese es dir vor, hier war im Jahre 345 nach Christus…“ sagt die Frau. „Na siehste“, sagt der Mann. „Sag ich doch“. „Sag ich doch auch …“
„Pardon, unterbricht Dora die angeregte Unterhaltung. „Sie haben sich ja fürs Jahr 2022 als Repräsentanten beworben. Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?“ – „… „354, nein, 345, du machst mich ganz konfus, immer musst du mich unterbrechen und korrigieren.“ – „Pardon“, versucht es Dora noch einmal. Doch das Paar hat kein Ohr für Dora. Es ist mit sich selbst beschäftigt. Ich-du, du-ich. Ein Dritter hat da keine Chance. Man ist sich selbst genug.
„Ein Glück, dass wir kein Paar sind“, fasst Dora ihre Erfahrung zusammen.
Vielleicht hat sie ihr Urteil zu schnell gefällt. Es gibt ja solche und sone Paare, oder?
Als echtes Paar kann man durch alle Wirrnisse hindurchgehen.
Dennoch habe ich es nicht gewählt, denn andere sind ihnen schnurz oder sie haben keine Zeit für. Aber andere gilt es auch zu behüten und zu unterstützen.
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Danke, Gerhard. Ich lebe seit 50 Jahren in einer Paarbeziehung, ich kenne die Fallstricke, aber wenn man seine Selbständigkeit bewahrt, ist es eine gute Beziehungsform.
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Streitend nur mit sich selbst, als Paar, beschäftigt, kein Interesse an anderen Menschen, die Fragen stellen…, hat so etwas Zukunft? Das muß man/frau sich hier ernsthaft fragen.
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Der Mann ist wohl der mit Hut, die Frau Afrikanerin mit Regenschirm, nehme ich an. Da stoßen auch Welten, Kulturen aufeinander, und wenn die beiden Kinder und Enkel haben und Eltern, Geschwister usw., Dann kommt da viel zusammen, was Auswirkungen hat auf Politik und Gesellschaft.
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Das Bild vor der alten, von Dir gemalten Tempelanlage, Gerda, sogar mit Spiegelung, wirkt aber ansprechend. Vielleicht kommt Bewegung in das Ganze, wenn sie mit anderen Menschen im Inneren des Tempels sind?
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Danke, Gisela. Dora ist nun noch mal losgezogen, um das Paar zu befragen.
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Ja, da hat sich inzwischen viel bewegt. Eine Einzelbefragung zuerst.
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Dein Aquarell mit den vielen Menschen vor der Kirche gefällt mir auch sehr gut.
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Vielleicht ein vorschnelles Urteil. Auf diese Paarmomente können die meisten Paare verzichten. Geduld ist nicht Doras Stärke. Verständlich.
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Du hast Recht, Mitzi. Dora ist ein Einzelwesen und kann sich in Paare schlecht reindenken. Ich habe sie noch mal losgeschickt.
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Ein womöglich typischer, wenngleich ungünstiger Moment. Als ich für das Paar stimmte, dachte ich weniger an diese Diskussion mit meinem Mann als vielmehr die lustigen, friedvollen, tatkräftigen Erlebnisse, die aus uns ein Paar gemacht haben. Selbständige Personen sind wir dennoch.
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Ich habe mit Dora geredet, und sie ist bereit, noch einmal das Gespräch mit dem Paar zu suchen. Ich selbst lebe seit 50 Jahren in einer Paarbeziehung, und bin dennoch einigermaßen selbständig gheblieben. 🙂
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Das gefällt mir an Dora, bei aller Spontaneität großzügig mit einer zweiten Chance 😉
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Ja, sie ist nicht dickköpfig und eigentlich nie beleidigt.
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Den Satz „Ein Glück, dass wir kein Paar sind“ habe ich noch nicht sehr oft gelesen und musste sehr schmunzeln, insbesondere wegen des sprachlichen Paradox, ganz selbstverständlich von einem Wir auszugehen, vertraut und unisono sprechend, dass dann aber gar nicht unisono und schon gar nicht ein Paar ist, dieses Wir 🙂 Schön.
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Danke, Alexander, für deine feine Beobachtung.Es geht doch nichts über einen Sprachwitz-Versteher. 🙂
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