„Deine Zeichnung stimmt nicht!“ sagt Dora, nachdem sie einen Blick auf mein Gekritzel geworfen hat. – „Ich weiß,“ wehre ich ab, „der Junge sitzt zu weit vorn und der Arm des anderen …“ – „Das meine ich nicht,“ flüstert mir Dora ins Ohr. – „Was denn?“ – „Du hast Miesepeter gezeichnet, dabei sind es nette Leute, die lachen und sich mögen.“
„Jetzt, wo du΄s sagst, Dora, sehe ich es auch,“ gebe ich leise zur Antwort. Tatsächlich sitzt da eine angenehme Tischgesellschaft. Zwei hübsche Frauen gehören noch dazu, die befinden sich dem Jungen gegenüber, der auf seinem Stuhl rumhängt. Ich habe sie weggelassen, weil ich sie kaum sehen konnte.
Die Leute haben schon zuende gegessen. Zwischen den Erwachsenen gehen Reden hin und her. Verstehen kann ich sie nicht, aber ich sehe sie lachen, auf eine Weise, die mir gefällt. Die beiden Jugendlichen, ich schätze sie auf 13 bis 15, hören nun zu, wenden sich auch einander zu, mischen sich aber nicht ins Gespräch, das vor allem von dem lässig auf dem Stuhl hängenden Mann in gestreiftem Polohemd, in Rückenansicht, bestritten wird. Er scheint nicht zur Familie zu gehören, dürfte ein Freund sein, dessen Geschichten und Ansichten die anderen interessieren.
All das bemerke ich jetzt. Vorher, als ich zeichnete, sah es für mich ganz anders aus: Mich reizte die Figur in Rückenansicht, dann fiel mir der Junge auf, der gelangweilt auf seinem Stuhl hing, den Arm hinter der Lehne herunterhängend. Der Junge daneben hob seinen Arm, streckte sich und gähnte. Mir schien, sie saßen nur da, weil sie mussten, während die Erwachsenen ihr Ding abzogen.
Nun ist die Skizze, wie sie ist. Ich versuche sie durch digitale Hilfsmittel zu interpretieren. Da sind die beiden Heranwachsenden in ihrer eigenen Welt, zum Rest der Szene haben sie keinen Bezug.
Da ist der ältere Mann im Polohemd, der nicht zur Familie gehört, ein „Niemand“ a la Odysseus vielleicht, der durch seine Erzählungen die Szene lässig beherrscht.
Da ist eine unsichtbare Beziehung zwischen diesem Mann und dem Jungen. Der Junge saugt auf, was er für sich und sein Leben brauchen kann.
Da ist das Gespräch zweier Menschen, das sich ernst bedeutsam heraushebt aus dem Klappern und Klirren, dem Getriebe und dem Stimmengewirr der Taverne.
Und da ist schließlich ein gleichförmig-gleichzeitiges Sichbefinden von Figuren im Raum; deren Text ich nicht kenne.
„Das, was wirklich interessant ist, hast du weggelassen,“ mault Dora. – „Und das wäre?“ frage ich neugierig. – „Na, ich und das Baby.- „Welches Baby?“ – „Hast du uns wirklich nicht gesehen? Die Mama ist hinter den Pfeilern ständig hin und her getanzt und hat ihr Baby gewiegt. Da dachte ich mir: die wird sicher müde sein, ich helf ihr ein bisschen beim Babywiegen.“
Schön. Aber die Mama mit dem Baby gibt allem erst einen familiären Sinn und Bezug.
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Das finde ich nicht, Gisela „Familieren Sinn“ gibt es auch bei Erwachsenen mit größeren Kindern, gibt es zwischen den Kindern, zwischen den Erwachsenen…..
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Ja stimmt. Aber in Deiner Geschichte gehört dies eigentlich dazu.
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Wunderbar, wenn die Leute lachen, heiter parlieren und sich mögen…ist ja zeichnerisch eine Art Vielmenschenportrait!
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Dora hat das Baby mitgewiegt, und Du hast es nivht bemerkt, Gerda 🙂
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Das erste verfremdete Bild gefällt mir ganz besonders…
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Danke dir, liebe Leela!
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