Gestern hatte ich in Athen zu tun, besah mir auch zwei Ausstellungen, die an meinem Wege lagen. Die erste führte mich in die Galerie Skoufa: „Observatory“ von Takis Zerdevas, einem Veteran der Fotografie und Neuen Medien. Imposante Großfotografien von leeren Räumen gab es zu sehen – hervorragend gearbeitete Oberflächen – ich strich drüber hin, dann sie schienen mir fast … gemalt zu sein. Nein, nur Fotos – und in die Fotos eingearbeitet waren Videos. Zum Beispiel dieses:
Das Hotel-Schild blinkte und wechselte die Farben, wie es eben Hotelschilder oft tun, um auf sich aufmerksam zu machen. „Raffiniert gemacht“, dachte ich und besah mir auch die anderen Bilder, die auf demselben Prinzip beruhten: riesengroße Fotografie und darin ein bis zwei Monitore mit Video. Auf den Monitoren lief „das Leben“ ab – wechselndes Personal in gleich bleibenden Räumen wie bei meinen letzten Bildern – doch technisch anders, „moderner“.
Im ersten Beispiel seilt sich eine junge Frau ab, im zweiten zeigt der Monitor eine wildwüste Nachtszene, im dritten wechseln Figuren aus altmodischen Fotos zwischen den Monitoren hin und her, beim vierten versinkt ein weibliches Portrait langsam im Nebel. Gut gemacht, sehr gut gemacht, ausgezeichnet gemacht.
Allerlei Gedanken gingen mir durch den Kopf, während ich zur Stiftung Theoharakis weiterwanderte, um eine Großausstellung „Das Menschenbild in der griechischen Malerei des 20. Jahrhunderts“ anzuschauen. Und während ich vom vierten Stockwerk (vor dem 1. Weltkrieg) zum dritten (Zwischenkriegsjahre) hinunterging, begriff ich, was mich die ganze Zeit beschäftigt hatte. Die Menschen waren in den leeren fotografischen Räumen „eingekastelt“und führten in ihren beleuchteten Kästen ein Scheinleben mit immer sich wiederholenden Bewegungen. Das war denn doch ganz anders als das, was ich mit meiner geistigen Erweiterung der Gegenwart um das Denken und Tun früher lebender Menschen im Sinne hatte.
Dies Gefühl des Eingeschachteltseins von Individuen in ihrer Zeit, ihrem Ort stellte sich nun in den Ausstellungsräumen mit den alten Gemälden wieder ein: Gesichter, diesmal gemalt, blickten mich aus goldenen Rahmen in einem ansonsten leeren Raum an. Jeder für sich. Jeder in seiner Zeit-Raum-Kapsel. Und ich dachte an Ule Rolfs Kommentar zur Putte: „Schade, dass du sie im Großraumbüro in einen Rahmen gesperrt hast; es hätte mich interessiert, was sie dort so treibt, wenn sie über mehr Freiheit verfügte“.
Hier drei Beispiele: das erste gehört zur Ausstellung von Takis Zerdevas: ein Video-Still von dem 4. oben abgebildeten Werk, 2020. Die zwei folgenden sind von mir entfärbte Gemälde von Spyros Papaloukas (1892-1957, Portrait eines jungen Mannes 1917) und Iannis Moralis (1916-2009, Selbstportrait 1951).
Und noch drei Beispiele, diesmal von unveränderten Frauenportraits (das mittlere auch von einer Frau gemalt): Odysseas Fokas (1857-1948, Portrait einer Frau) – Thaleia Flora Karavia (1971-1960, Deutsche in einem Innenraum) – Savvas Haratsides (1925-1994, Totenbild für ein junges Mädchen).
In der Etage mit Werken von Nachkriegskünstlern – würde sich da die Sichtweise geändert haben? Ja und nein. Mir schien, dass das Gefangensein im Kasten nun bewusst zum Thema gemacht wurde. Es gibt Werke, die es zu durchbrechen suchen, andere bestätigen es als den Seinszustand des modernen Individuums. Das erste Werk – ein Gemälde und davor der Abguss einer ausgestreckten Figur – ist von Chronis Botsoglou (Jg 1941, „Der Sturz“, 1992). Die nackte Figur (Selbstbild) steht vor ihrem versteinerten Abbild, das einem Grabmal ähnelt. Das zweite Werk ist von Giorgos Rorris (Jg 1963, „Mann in einem Innenraum“, 1998). Immer malt Rorris mit einer fantastischen Akribie Menschen-Modelle in solchen Kastenräumen. Das dritte Werk – eine große Holzkonstruktion mit einem zentralen schwarz-weißen Gemälde und jeweils fünf kleinen farbigen Tafeln in den Seitenleisten – ist von Xenophon Bitsikas (Jg 1963, Der Migrant, 2002). Hier ist der Kasten selbst zum Ausdrucksmittel geworden. Das zentrale Bild ist leicht verschwommen, klar und farbig sind dagegen die Seitentafeln-Erinnerungsbilder. Dazwischen die verunsicherte, aus ihren Bezügen und „Einschachtelungen“ herausgelöste Figur des Migranten, die sich aufzulösen droht, gerahmt und gehalten von ihren Erinnerungen.
- Botsoglu, Der Sturz
- Rorris Mann im Innenraum
- Bitsikas, der Migrant
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Höchst interessant ! Danke für Fotos und Betrachtungen
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Gern, Myriade. Es fiel mir diesmal gar nicht leicht, mich durch das viele Material hinduchzuarbeiten und so etwas wie eine Struktur zu entdecken. Einfacher ist es, man hangelt sich an Namen, Daten und Malstilen entlang.
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Das ist natürlich einfacher, aber nicht unbedingt genauso interessant
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Ein Bild ist wie eine Seite in einem Buch. Auf der Buchseite sind die Akteure in den Zeilen gefangen, wir können „weiterblättern“, um den Rest der Geschichte erfahren oder wir können sie „sterben“ lassen, indem wir das Buch oder die Seite zuschlagen.
Ein Bild können wir nicht weiterblättern: alles ist gefangen und spricht nicht direkt mit uns. Auch die dort dargestellten Räume sind ja nur Erweiterungen des Gefängnisses, und selbst, wenn der „Gemalte“ aus dem Rahmen fällt, scheinbar aus dem Bild fällt, bleibt er in ihm gefangen.
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danke für deine Gedanken, Werner. Der Frage, ob und wwie man das Gefängnis der Bilder doch ein wenig öffnen kann, will ich heute in meinem zweiten Resüme des Ausstellungsbesuchs nachgehen.
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Die Fotografien mit den eingebauten Monitoren würde ich auch gerne sehen! Eine phantastische Idee. Auch ohne Bewegungen sind es stilvolle großartige Bilder, die ja zum Teil auch Montagen sind!
Tja und sonst … jede und jeder in ihrem und seinem Rahmen …
liebe Grüße am Abend,
Ulli
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Danke, Ulli, ich hab aus Platzgründen nur 5 Bilder gezeigt, auch keins von denen, wo ich die Videos in verschiedenen Stills fotografiert habe. Alle waren sehr eindrucksvoll. Dennoch taten sie mir auch weh – so technisch perfekt, so ästhetisch ansprechend, so menschlich kalt, Aber genau dieser Gegensatz ist ja für unsere Zeit ziemlich charakteristisch.
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Ich sehe die Bilder ja leider nicht in ihrer wirklichen Größe und Wirkung. Die ersten beiden empfinde ich auch als kühl und perfekt an, bei denen aber, wo Bilder aus anderen Zeiten mit hinein montiert wurden, sehe ich den Kontrast von der perfekten, kühlen Jetztzeit zu der mehr „anheimelnden“ Zeit. Wobei ich nicht sagen kann, ob es damals wirklich so anheimelnd gewesen ist.
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Ich würde die Bilder gern größer zeigen – wie ich es früher auch machte. Aber ich habe kaum noch Speicherplatz, leider. Nun verkleinere ich sogar die früheren Stück um Stück.
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Warum richtest du dir denn nicht einen neuen Blog ein, das ist weniger Arbeit als alles zu verkleinern?! Deswegen ist der alte Blog ja nicht weg, du kannst ihn weiterhin verlinken etc. – ich habe das ja auch vor mir! Aber erst nach dem Umzug, werde ich mich darum kümmern.
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Rorris Manns Bild wirkt hopperartig.
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sein Malstil ist doch sehr anders, finde ich. ich kenne ihn übrigens persönlich, nahm bei ihm mal Unterricht in Öllmalerei. Er ist ein wunderbar bescheidener, zugleich vom Material, von Objekten besessener Mensch. Wie man einen angefaulten Apfel zu malen habe – sich hineinriechen, hineinkriechen förmlich….
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ich kann es mir wunderbar vorstellen, liebe Gerda, und durch den Geruch des Apfels seinem Abbild Seele einhauchen … ihm ganz nahe kommen
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Da muss ich hin!! Danke für diesen Kulturtipp!!
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zwei Tipps. 😉
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Das finde ich wieder bewundernswert, daß Du so verschiedene Ausstellungsobjekte, an verschiedenen Orten gesehen, unter einem Grundthema subsumierst: Eingekastelt. Plausibel, aber man muß erst mal drauf kommen. Und irgendwie traurig.
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wenn ich durch Massen von Bildern wandere, liebe Hella, muss ich irgendeinen Gesichtspunkt finden. Am liebsten natürlich einen, der sich aus meiner eigenen Arbeit ergibt – wie aktuell „Räume und ihre wechselnden Bewohner“. Nur so kann ich das Gesehene irgendwie für mich einordnen und nutzen und zugleich meine eigenen Ideen schärfer formulieren. Es wäre einfacher für mich, glaube ich, mich im deutschen Kunstraum zu verorten. Nicht umsonst habe ich mir Dürer und nicht Theofilos vorgenommen.
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Thank you for reporting back to us! Where I live, the natural world is spectacular but art galleries are scarce. 🙂 Zerdevas‘ work does look very well made. I would be skeptical about the technique because it could easily be just too clever, like so much art is these days. I would have to see for myself and pay attention to my own reaction like you did. With your interest in expanding the depiction of people in spaces across time (that’s probably not quite the right way to say it), this must have been a good exhibit to see right now.
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You are right, dear Lynn. The exhibition was quite interesting for me. If you have a focus you will find whereever you go stuff to feed it.
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Exactly!
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Klasse, deine Beschäftigung auch mit modernen, aktuellen Kunstdingen!
Ich habe mich grad freiwillig eingekastelt, tut mir gut. Wird wieder anders.
Danke fürs Mitnehmen in meine Sehnsuchtswelten…
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ich lebe auch sehr eingekastelt momentan, liebe Sonja, aber ab und an mache ich einen Ausflug in die große weite Welt, Futter holen.
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mache es dir heute zu Hause richtig gemütlich, Klaus
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Ein Bild unter vielen eindrucksvollen:
Giorgos Rorris Mann in einem Innenraum
Ein Diamant unter all den wertvollen Edelsteinen in meinen Augen, wobei ich zwischen ihm und dem Migraten lange hin- und hersah, liebe Gerda, aber diesem Mann im hinteren Teil des leeren Raumes dann doch den Vorzug gab, weil er mich anzieht und ich ihm nahekommen möchte.
Das geschieht mir bei den anderen nicht.
Sind wir nicht alle in einem Kasten, einem Rahmen, mal größer, mal kleiner? Brauchen wir nicht auch unsere Kästen/Rahmen zum wohlfühlen?
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Danke Bruni. Zu deinem „brauchen wir…“ hat auch Ulli wichtige Fragen gestellt – zum Bedürfnis nach Abgrenzen und dem Geimensamen..
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Du bringst es noch einmal auf den Punkt, Gerda, und die Bilder dieser beiden Ausstellungen unterstreichen es: zu allen Zeiten sind wir Menschen eingekastelt in die jeweiligen Rahmen der Zeit. Sich aus den Rahmen zu befreien, kostet viel, viel mehr Energie, als sich einfach darein zu fügen. Bringt aber auch viel mehr Leben und Freude, heute. Es gab auch Zeiten, da war das Verlassen des Rahmens mit Lebensgefahr verbunden. Für Flüchtende noch heute.
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danke, Ule. Deine Sicht ist mir ein wenig zu apodiktisch. Klar hat jede Zeit ihre Vorgaben, und es ist nicht ohne weiteres möglich, sie zu ignorieren. Die Vorgaben sind aber kein Monoblock, eher sehe ich sie als ein feines Gespinst, das von außen nach innen wächst und dann von innen nach außen als MUSS projiziert wird.
Meines Erachtens geht es weder heute noch ging es früher um ein „Verlassen“ des Rahmens, sondern darum, ihn flexibel zu halten oder zu machen, so dass er dem Wachstum jedes Einzelnen nicht entgegensteht. Die Situation von Flüchtenden ist eine Sonderform, die, finde ich, in dem Bild des Migranten sehr gut wiedergegeben wird: (Eigentich müssten diese Bemerkungen beim folgenden Eintrag stehen).
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Deine weniger apodiktische Interpretation gilt für unsere Tage. Die Vorstellung von flexiblen Rahmen gefällt mir, wie sie sich je nach individuellen Bedürfnissen mal hier, mal dort ausbeulen.
Das Bild des Geflüchteten finde ich auch sehr einfühlend und Verständnis fördernd.
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