Ausstellungsbesuch im Benaki-Piräusstraße: „Anima“ von Jannis Varelas

Anderes hatte ich erwartet, als ich mich auf die Socken machte, um eine Ausstellung mit dem verheißungsvollen Titel „Anima“ anzuschauen. Der Maler Jannis  Varelas (Jg 1977) war mir unbekannt, was aber gar nichts bedeutet. Immerhin wurden Arbeiten des noch jungen Künstlers in großen Einzelausstellungen bereits früher hier in Athen, aber auch in Wien, Stockholm, Helsinki, NY, Cleveland gezeigt. Sein Leben, so erfuhr ich, teilt er zwischen Wien und Los Angeles.

Die laufende Ausstellung findet im großen modernen Bau der Benaki-Stiftung in der Piräus-Straße statt. Ein illustres Ambiente. Gefördert wurde sie durch die Benaki-Stiftung, die dafür auch einige der kostbaren Exponate ihrer Volkskunst-Abteilung zur Verfügung stellte, und die Onassis-Stiftung. Das heißt: dieser Mann ist „in“.

„Anima“, der Titel, verweist auf C.G. Jung. Nach meinem Verständnis ist Anima der im Manne vorhandene „weibliche“ Seelenanteil, der sich nicht in den primären (männlichen) Geschlechtseigenschaften manifestiert. „Animus“ ist entsprechend der „männliche“ Seelenanteil von Frauen, der sich nicht in ihren primären (weiblichen) Geschlechtseigenschaften manifestiert.

Eine gut entwickelte „Anima“, so heißt es, sei für kreative, sensible, musikalische, kommunikative Männer charakteristisch. Ein gut entwickelter „Animus“ zeichnet Frauen aus, die selbstbewusst, zielgerichtet, geistig interessiert, autonom dem Leben gegenüber stehen.

Anima und Animus sind also die kompensatorischen Seelen-Anteile von Mann und Frau, die hinzukommen müssen, damit ein Mensch „ganz“ wird.

Übersichten und Einzelwerke (eigene Fotos)

In dieser Ausstellung aber: Was wird da gezeigt? ganze Menschen? oder Menschen, die sich mit ihrer jeweiligen Geschlechtlichkeit vergebens abmühen, zutiefst verwirrt, verstümmelt, travestiert? Das fragte ich mich, als ich mir einen ersten Überblick über den Saal verschafft hatte. Nein, verärgert war ich nicht, auch nicht enttäuscht, sondern fasziniert. Ich fühlte, dass in diesen großformatigen kruden Gemälden eine Gegenwartsthematik aufgegriffen wird, die zwar wenig mit C G Jung, dafür aber um so mehr mit der modernen Genderproblematik zu tun hat, die heute so viele Jugendliche in Unruhe versetzt: Wieviele Geschlechter gibt es, und welches habe ich? Was spielt sich in der Seele eines Mannes (oder einer Ausstellungsbesucherin) ab, wenn Genitale verstümmelt werden und riesige Plastikbusen Weiblichkeit simulieren? Ist das nun der Hermaphrodit, der „ganze Mensch“, oder handelt es sich um eines der fürchterlichsten Missverständnisse, von denen unsere Zeit heimgesucht wird: dass der Travestit oder der geschlechtlich nicht Definierte der vollkommene Mensch sei.

Details

Für die Gemälde hat der Künstler Fotos von Nachbarn und Freunden verwendet, die er in seinem Atelier posieren ließ. In der Ausstellung ist eine Installation mit bewegten Bildern zu sehen. Hier ein paar „stills“

Die Ausstellung hinterließ mir starke Eindrücke, gerade auch im Vergleich mit zwei anderen, die ich vorgestern beschrieb: die anonymisierten Menschen von Giorgos Avgeros und die Nymphen-Bräute von Panos Kokkalis (https://gerdakazakou.com/2019/11/07/galeriebummel-in-athen-a-akrithakis-g-avgeros-p-kokkalis/).

Charakteristisch scheint mir, dass das zentrale Thema dieser griechischen Künstler, wie schon im Altertum, so auch heute wieder und immer noch ist: Ο ΑΝΘΡΩΠΟΣ / „der Mensch“.

 

 

 

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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8 Antworten zu Ausstellungsbesuch im Benaki-Piräusstraße: „Anima“ von Jannis Varelas

  1. Chrinolo schreibt:

    Danke für diesen interessanten Beitrag und die Fotos. Mich hätte diese Ausstellung sicher auch sehr beeindruckt und so manchen Gedanken zum Thema aufgeworfen … doch dein Bericht tut es nun auch.

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  2. bluebrightly schreibt:

    This work seems intense and difficult to look at – I am left wondering how much is an honest inquiry and how much is done for shock value – and good for you for sticking with it and remaining openminded. I agree that bringing Jungian concepts into the work may not really be fair – to Jung or to the artist. 🙂

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    • gkazakou schreibt:

      So true, Lynn.Your questions are mine. To bring Jung into the work was the artists idea – not mine. Or maybe the idea of the organizers of the exhibition who wanted to give a special note to it.

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  3. www.wortbehagen.de.index.php schreibt:

    hm, ich bin verblüfft, liebe Gerda.
    Unter dem Namen Anima hatte ich anderes erwartet. Interessant ist es schon, das ist unstreitig, aber schon läßt mein Interesse nach und ich finde die Steinskulpturen, die mir sehr gefallen.
    Auch seine Fotos sind nicht unintereressant, aber er ist als Maler wirklich *in*? hm

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    • gkazakou schreibt:

      Tja, so sieht es aus, liebe Bruni. Jedenfalls auf dem Athener Pflaster gibt es nichts Exquisiteres, wenn man ausstellen möchte. Erinnert ja sehr an die „Neuen Wilden“, nun gar nicht mehr so neu, aber immer noch „in“, zB Baselitz, der mit seinen kruden Gemälden Millionen abschäffelt und überall ausgestellt und angekauft wird.

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  4. www.wortbehagen.de.index.php schreibt:

    Baselitz hatte eine geniale Idee, in der bestimmt auch jede Menge Provokation steckte, als er damit begann, aber seine Palette ist breit gefächert. Vermutlich gibt es von Jannis Varelas ja auch noch viel mehr als das, was wir hier sehen können.
    Doch ich denke, daß auch hier eine große Portion Provokation steckt.

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    • gkazakou schreibt:

      Ja sicher. Sogar bei dieser Ausstelllung zeigte er ja, außer den großen Gemälden, Keramikfiguren, Steinköpfe, Schwarz-Weiß-Foto-Installlation und etliche andere Installlationen, die ich nicht fotografiert habe. Da steckt viel Energie drin. Obs dann gefälllt, ist wieder eine andere Frage.

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