Doch uns ist gegeben auf keiner Stätte zu ruhn

Friedrich Hölderlin, Hyperion oder der Eremit in Griechenland, selbst an einen längst vergessenen Befreiungskampf erinnernd – wer erinnert sich noch?

Und doch, Hyperions Schicksalslied bleibt unvergessen.

Die Genien freilich sind nicht mehr und das lebendige Wasser ist erstarrt. Von Stufe zu Stufe stürzen nur mehr Relikte, Artefakte ins Ungewisse hinab.

Wer weiß, vielleicht irre ich mich auch. Vielleicht wandeln sie wie immer im ewigen Licht, und wir schauen sie nur nicht mehr.

Ihr wandelt droben im Licht
Auf weichem Boden, selige Genien!
Glänzende Götterlüfte
Rühren euch leicht,
Wie die Finger der Künstlerin
Heilige Saiten.

Schicksallos, wie der schlafende
   Säugling, atmen die Himmlischen;
     Keusch bewahrt
       In bescheidener Knospe,
        Blühet ewig
          Ihnen der Geist,
           Und die seligen Augen
             Blicken in stiller
              Ewiger Klarheit.

Doch uns ist gegeben,
   Auf keiner Stätte zu ruhn,
     Es schwinden, es fallen
       Die leidenden Menschen
         Blindlings von einer
           Stunde zur andern,
            Wie Wasser von Klippe
              Zu Klippe geworfen,
               Jahr lang ins Ungewisse hinab.

Friedrich Hölderlin, Hyperions Schicksalslied, aus: „Hyperion oder der Eremit in Griechenland“, 2. Band, erschienen 1799.

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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11 Responses to Doch uns ist gegeben auf keiner Stätte zu ruhn

  1. Im Bild ist auch etwas Figürliches drin 🙂
    Ganz recht schaut jemand eine Treppe herunter, in was? Eine Gruft?

    Gefällt 3 Personen

  2. Blindlings von einer Stunde zur andern …
    seufz!
    Danke für den Text und das wunderbare Bild!

    Gefällt 2 Personen

  3. Ich sehe eine weiße Gestalt, rechts weiter oben! Ein wunderschönes Werk, mit einer tollen Farbgebung und Struktur!

    Gefällt 2 Personen

  4. Avatar von Bruni | Wortbehagen bruni8wortbehagen sagt:

    wundervoll, seine Worte
    Die oben haben das Licht
    und unten lebt das Ungewisse …

    Dein Gemälde passt gut dazu, liebe Gerda

    Liebe Grüße von Bruni

    Gefällt 1 Person

  5. Avatar von Ulli Ulli sagt:

    Stufe um Stufe steigen wir und falle wir, eine hinauf, zwei hinab, manchmal ist es Gewissheit und dann ist es doch wieder Ungewissheit…
    herzliche Nachtgrüße,
    jetzt wünsche ich dir und mir schöne Träume
    Ulli

    Gefällt 2 Personen

  6. Das sind alles wunderbare Themen… DANKESCHÖN für die Betrachtungen über Hölderlins Götterbild… OK

    Gefällt 1 Person

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