Unerwartete Wiederbegegnung mit mir selbst (Freie Universität 1967)

Als ich mein letztes „Frauenportrait“ betrachtete, kam es mir so vor, als steckte darin ein Bild von mir selbst, als ich 24 war und mich für den AStA der Freien Universität (FU) bewarb. Dafür war ein offizielles Foto angefertigt worden, das, so dachte ich, womöglich in irgendwelchen Archiven der FU noch vorhanden war. Also schaute ich im internet nach. Das Foto fand ich zwar nicht, aber eine Dokumentation über eine Zeit, die meine Berliner Jahre umfasst (1963-67).

Diese Wiederbegegnung mit mir selbst in jener politisch so aufgeregten Zeit hatte eine sehr belebende Wirkung auf mich. Wie anders war diese Zeit – und wie gleich!  Damals Vietnamkrieg, heute Ukrainekrieg, damals Kampf um Meinungsfreiheit, heute dito…  Ich selbst stand am Anfang meines Lebens und stehe nun am Ende….

Aber schau selbst, falls es dich interessiert, wie damals die Protestbewegung der Studenten an der FU, die so viele Veränderungen im gesellschaftlichen Leben der BRD bewirkte, gesehen wurde. In zwei Szenen ganz gegen Ende (als Mitglied des neu gewählten AStA, mit Mütze und natürlich rauchend, und dann beim Telefonieren im AStA-Büro, 20.16) bin ich höchstpersönlich zu sehen.

Panorama: Zehn Jahre Freie Universität Berlin – Bildung und Proteste


Übrigens hatte ich ganz vergessen, dass die Seminarkritiken, die das AStA-Organ „FU-Spiegel“ veröffentlichte, einer der Hauptkonfliktpunkte war. Ich hatte die erste dieser Kritiken verfasst und war auch bereit gewesen, mit meinem Namen dafür einzustehen, aber der damalige Chefredakteur hielt das für unklug. Und tatsächlich wäre ich wohl relegiert worden (sprich: von der Uni geflogen), hätte mein Name unter dem Artikel gestanden. Der Inhalt von Seminaren war, anders als von Vorlesungen, Privateigentum des Lehrenden und durfte nicht öffentlich diskutiert werden. Der Streit zwischen AStA und FU-Leitung eskalierte dann wegen einer anderen Seminarkritik, und ich gestehe, dass ich die furiose Reaktion eines der betroffenen Professoren (Ernst Fraenkel, 1898–1975) heute sogar nachfühlen kann. Er, Jude und SPD-nah und nach einem langen wechselhaften Leben nun von linken Studenten in die rechte Ecke gestellt, fühlte sich an die Rollkomandos der SA erinnert (Interview in der BZ).

Es braucht wohl ein langes Leben, um die politischen Dinge von allen Seiten betrachten zu können…

 

 

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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17 Responses to Unerwartete Wiederbegegnung mit mir selbst (Freie Universität 1967)

  1. Es war und ist ja Dein Weg, Gerda. Und keiner kann für andere den Weg gehen, noch weniger für alle.
    Aber daß diese Wiederbegegnung mit Dir selbst Dir wichtig ist, kann ich gut nachfühlen, glaube ich.
    Politisch gesehen …., da wage ich lieber nichts zu sagen.

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  2. Avatar von Leela Leela sagt:

    🙂 interessante Erinnerungen… die Notstandsgesetze und Berufsverbote folgten…

    In all diesen durchaus spannenden Wirren konnte man sich leicht verirren und Wege finden, die sich selten auftun. Ein ganz besonderes Fenster stand offen damals. So viele Möglichkeiten. Ratz, fatz war das Fenster wieder zu und die vielen Möglichkeiten wurden gewinnbringend kommerzionalisiert und verloren ihre Magie…

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      Es kam schon etliches in Bewegung damals, aber das System wurde natürlich nicht gesprengt. Wie denn auch, mit welcher Zielrichtung? „Sozialismus“ anstatt „Kapitalismus“? Das war ja immer die einzige für denkbar gehaltene Alternative. BRD oder DDR? „Geh doch rüber, wenn es dir hier nicht gefällt“, hieß es. Mir aber gefiel der „Sozialismus“ nie, er ist eine Anmaßung. Wie ich oben im Kommentar schrieb, war ich, um mich irgendwo einzubinden, der Humanistischen Studentenunion beigetreten, die damals in Berlin winzig klein war… Inhaltlich war sie die einzige Möglichkeit für mich, denn die Freiheit des Individuums war für mich das A und O (und ist es bis heute geblieben).

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      • Avatar von Leela Leela sagt:

        Politik hat mich damals nur ganz am Rande interessiert. Speziell die Revolutionsideen der RAF waren für mich nicht nachvollziehbar. Im aufblühenden Wohlstand eine Revolution? Wer außer ein paar verkopften Akademikern sollte denn das anvisieren? Natürlich beschäftigte mich auch der Vietnamkrieg und das Attentat auf Benno Ohnesorg, so wie so manches andere. Fasziniert haben mich aber die vielen anderen neuen Dinge: Communebildungen, Selbstversorgung, Happenings, Woodstock und die neue Musik… Vor allem aber die neue Spiritualität und neue Richtungen in der Psychotherapie. Vieles an all dem kam mir zwar ebenfalls illusorisch vor aber die Freiheit, diese neuen Ideen zu leben, war sehr kostbar für mich. Ich möchte sie nicht missen, diese Zeit der Freiheit und der tausend neuen Gedanken und Möglichkeiten…

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  3. Liebe Gerda,
    schon damals hattest Du eine Meinung und bist dafür aktiv eingestanden und ich verstehe genau was Du damit gemeint hast, daß man mit den langjährigen politischen Gescehnissen auch, ich sage es so, erweiterte Ansichten hat. Was für mich deutliche Wiederholungen darstellen, sind die Begriffe Regierungskonform und die Gefahr der Meinungsfreiheit mit deutlichen Einschränkungen und die Berichterstattung der damaligen Medien! Es wiederholt sich vieles mit Seitenwechsel und anderem Gewandt!
    Diese Dokumentation ist hochinteressant und ich habe Dich 2x mal gesehen, daß war für Dich sicher außergewöhnlich emotional!

    Ganz herzliche Grüße Antje

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      Danke, Antje, ja, du nennst die wichtigsten Punkte. Und es stimmt: diese Wiederbegegnung hat mich schon ein wenig aufgewühlt. Und gefreut habe ich mich, denn diese Zeit war noch schon ziemlich verschütt gegangen.

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  4. Es braucht wohl ein langes Leben, um die politischen Dinge von allen Seiten betrachten zu können.

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  5. Avatar von tontoeppe tontoeppe sagt:

    Das schau ich mir an, liebe Gerda. Du hast mich neugierig gemacht, zumal ich knapp 30 Jahre später dort studiert habe…

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  6. Avatar von sonnenspirit sonnenspirit sagt:

    Ich war erst 1977 dabei, in Berlin an der damaligen HdK. Da haben wir dann Anfang der achziger demonstriert gegen amerikanische Atomsprengköpfe, dann gab es eine lebendige Hausbesetzerszene und irgendwann wurde mir alles zuviel- und ich flüchtete-nach Indien! Ein Weg, alles mal wieder zurechtzurücken, ist das auch. Wie ich später erfuht, starben damals einige Freunde in Berlin an Aids, als ich schon weg war.Die Zeiten waren nicht ruhiger…Ich war nicht politisch aktiv, ich war süchtig, aber heute seit über dreissig Jahren stabil, und mich schmerzt es schon, wenn man mich in eine rechte Ecke stellen will.

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      Es ist sehr wunderlich, wie sich die Begriffe seither verdreht haben / und sind doch fast dieselben Probleme geblieben. Und wenn man sich selbst treu geblieben ist, kann man sich schon auch in der entgegengesetzten Ecke wiederfinden. Ich war und bin für offene freie Debatten (ohne persönliche Angriffe und Einschüchterungen), für Frieden und gegen Aufrüstung, gegen Blockdenken und für Verständigung, für ein Miteinander aller Menschen…Ich weiß, dass viele mit den neu gewonnenen Spielräumen nicht umgehen konnten, sich fanatisierten oder auch drogensüchtig wurden…
      Ich war übrigens damals nicht im SDS, sondern in der HSU (Humanistische Studentenunion), da mir die im Sozialismus mitgedachte „Umerziehung der Massen durch eine Avantgarde“ immer unerträglich war. Auch mochte ich die endlosen Marxismus-Debatten nicht. Immer ging es mir um mehr Eigenverantwortlichkeit jedes Menschen.

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  7. Avatar von Gazelle3 Gazelle3 sagt:

    Hin und wieder ist ein Rückblick notwendig. Dein persönlicher Rückblick. ein besonderer. Die Zukunft ist ungewiss und unsicher, sicher ist nur, dass jeden Tag die Sonne aufgeht, aber lange Schatten werfen. Wovon wenig gesprochen wird, vom Frieden, den die Welt, alle Menschen sich wünschen. Das fadenscheinige Gesülze und das Ablenkungsmanöver funktioniert wieder bestens. Wir bleiben wachsam.

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  8. Avatar von Myriade Myriade sagt:

    Wofür steht AStA? ST wird studentisch sein, aber die beiden As?

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  9. Avatar von ulfurgrai ulfurgrai sagt:

    Das war mir ein sehr lesens- und sehenswerter Beitrag, liebe Gerda, besonders der Panorama-Bericht. Leider habe ich nicht sehen können, in welchem Jahr er erstellt wurde. Jedenfalls ein instruktiver Beitrag zur Vorgeschichte dessen, was dann in die 68er-Bewegung mündete. Rudi Dutschke ist darin ja auch schon zu sehen.

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