112 Stufen, 57: Hass (R. Huch, H. Heine)

Reiner hat ein „Mitmachding“ initiiert. Es geht darum, jeden Tag einen Text zu einem Wort zu posten, das sich auf der Holsteiner Treppe in Wuppertal, verteilt auf 9 Absätze befindet. Es reizt mich, da mitzumachen, allerdings eher nicht mit eigenen Textproduktionen, sondern mit literarischen Assoziationen und Gedichten anderer. Ich bin gespannt, welche Texte, Gedichte, Geschichten jedes dieser Wörter in meiner Erinnerung aufleuchten lässt. All diese Erinnerungen an Gelesenes und im Gedächtnis Aufgehobenes sollen mir einen nachklingenden Teppich weben, den ich über die Stufen lege, um noch einmal hinaufzusteigen.

Schwer zu entziffern, als versuchten Regen und Sonne es auszulöschen, steht das Wort „Hass“ auf der heutigen Stufe der Holsteiner Treppe. Sofort fällt mir wieder das Gedicht von Ricarda Huch ein – „Mein Herz, mein Löwe“ -, das ich schon auf der Stufe „Vergeben“ zitiert und kommentiert habe (hier).

Ricarda Huch

Mein Herz, mein Löwe

Mein Herz, mein Löwe, hält seine Beute fest,
Sein Geliebtes fest in den Fängen,
Aber Gehaßtes gibt es auch,
Das er niemals entläßt
Bis zum letzten Hauch,
was immer die Jahre verhängen.
Es gibt Namen, die beflecken
Die Lippen, die sie nennen,
Die Erde mag sie nicht decken,
Die Flamme mag sie nicht brennen.
Der Engel, gesandt, den Verbrecher
Mit der Gnade von Gott zu betauen,
Wendet sich ab voll Grauen
Und wird zum zischenden Rächer.
Und hätte Gott selbst so viel Huld,
zu waschen die blutrote Schuld,
Bis der Schandfleck verblaßte –
Mein Herz wird hassen, was es haßte,
Mein Herz hält fest seine Beute,
Daß keiner dran künstle und deute,
Daß kein Lügner schminke das Böse,
Verfluchtes vom Fluche löse.

Fällt mit sonst nichts zum Hass ein?

Hm, das finstere Doppelgestirn „Hass und Hetze“ leuchtet ja anscheinend wieder über Deutschland – jedenfalls kommt man zu diesem Eindruck, wenn man die Verlautbarungen der Regierungsverantwortlichen und ihrer Medien verfolgt. Sollte es wahr sein, was der hämische Heinrich Heine über „uns Germanen“ sagt? Ich will es nicht glauben, denn ich, ebenfalls eine Deutsche, habe so gar keine Neigung zum Hassen. Andererseits, wenn ich die Kriegshetze und den Russenhass in Betracht ziehe, der sich neuerdings in Deutschland ausbreitet ….Sollte doch was dran sein?

Was Heines geliebte Franzosen anbetrifft, so bin ich mir wiederum nicht sicher, ob sie nicht mindestens ebenso viel Talent zum Hassen haben wie „wir Germanen„. Jedenfalls begegnete mir der Hass in der Nachkriegszeit jenseits der deutschen Grenzen häufig, nicht weil ich irgendetwas verschuldet hätte, sondern weil ich eine Deutsche war. Beispielsweise weigerte sich der französische Koch auf dem Handelsschiff, das mich 1963 nach Algerien brachte, mir Essen zu geben, weil Deutsche seinen besten Freund erschossen hatten. Dass „die Franzosen“ Algerier massakrierten, beunruhigte ihn hingegen nicht. In Norwegen, Holland, Israel hatte ich in den Jahren zwischen 1959-67 ähnliche Erlebnisse, in Griechenland aber nie, obgleich Griechen Schreckliches durch die deutsche Besatzung erlitten haben. „Aber du bist doch nicht schuld!“ sagten sie fast verständnislos, wenn ich bei Erzählungen über deutsche Gräuel in Tränen ausbrach.

Mögen alle Kollektivzurechnungen, egal in welche Richtung und mit welchen persönlichen Erlebnissen begründet, der Vergangenheit angehören!

Heinrich Heine

Diesseits und jenseits des Rheins

Sanftes Rasen, wildes Kosen,
Tändeln mit den glühnden Rosen,
Holde Lüge, süßer Dunst,
Die Veredlung roher Brunst,
Kurz, der Liebe heitre Kunst –
Da seid Meister ihr, Franzosen!

Aber wir verstehn uns baß,
Wir Germanen, auf den Haß.
Aus Gemütes Tiefen quillt er,
Deutscher Haß! Doch riesig schwillt er,
Und mit seinem Gifte füllt er
Schier das Heidelberger Faß.

Das rote Herz und die goldene Sonne stammen von Bruni, die anderen Schnipsel kamen mir von Jürgen Küster, Susanne B u.a. zu.

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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10 Responses to 112 Stufen, 57: Hass (R. Huch, H. Heine)

  1. Avatar von wildgans wildgans sagt:

    Dein Satz betreffs der Kollektivzurechnungen ist sehr, sehr wichtig!

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  2. Mögen das rote Herz und die goldene Sonne auf der Brust Deiner Figur allen Haß verbrennen, den es irgendwo gibt.
    Ich kann mit diesem Wort nichts anfangen sowie mir dieser Zuordnung zu uns Deutschen. Ich finde so etwas bei uns nicht. ♥️🌞🍀👫🌿🌈

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  3. Das mit dem Haß ist so ein Ding. Tatsächlich faßt das Heidelberger Faß einige Hektoliter, aber ich fürchte, das reichte schon zu Heines Zeiten nicht aus und was da noch hinterherkam und aktuell kommt geht auch nicht mehr auf Teufels eigene Kuhhaut. Und man kann ihn so schön pflegen! Er ist leicht zu halten, braucht nur regelmäßige Fütterung und gedeiht ganz wunderbar. Noch der schlechteste Pfleger, dem die Kakerlaken selbst eingehen, vermag ihn großzuziehen.
    Es gibt freilich auch die andere Seite. Die Schuld, die man selbst einsammelt, und die ererbte. Offiziell ist die Sippenhaft ja abgeschafft, aber bildet das die Wirklichkeit ab? Ich fürchte, nein. Als mich ein erboster Albaner anfuhr, „ihr Deutschen habt schließlich unser Land zerstört, unsere Häuser, Kirchen,“ konnte ich nur schulterzuckend erwidern: „Nein, mein Vater war in Rußland!“ Aber das macht es nicht besser, und Verständnis für ihre Lage (die Albaner sollten zurück in ihr Land, während damals gerade viele Syrer ankamen, in deren Land ein wüster Bürgerkrieg tobte, obwohl, wie der Albaner in diesem Fall auch noch als Argument gebrauchte, „wir doch Europäer, Christen sind!“) half ihm ja nicht weiter.
    Ich meine schon, dass es das gibt, auch wenn man grade so tut, als wäre das alles graue Vorzeit, diese Schuld der Väter. Sie bezieht sich auch auf andere Dinge, wie sie z.B. die letzte Generation anprangert. Mal sehen, was deren Kinder, allerletzte Generation demnach, ihnen vorwerfen werden.
    Die Frage ist nur, ist Schuld, die man mitträgt, schon ausreichend, um gehaßt zu werden? Denn schließlich, wie es ja auch deutlich wurde: Es war nicht die eigene Tat, man konnte sie folglich auch nicht verhindern.
    Man kann sich nur gegen neue Schandtaten zur Wehr setzen! Da hilft Haß nicht weiter, jedenfalls dann nicht, wenn man bereit ist, das, was falsch ist und war anzuerkennen und tunlichst etwas zum Besseren beizutragen.

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      „Sippenhaft“ ist immer noch wirksam, ja – leider, sage ich. Ich selbst akzeptiere sie nicht mehr, nachdem ich sehr lange drunter gelitten habe. Was den Albaner angeht: die deutsche Besatzung in Albanien hat natürlich auch viele Schäden angerichtet, insbesondere durch zwangsweise Evakuierung der Küstenzone (man befürchtete eine alliierte Landung) und beim Rückzug der Truppen, wo viele Brücken zerstört wurden. Aber gewütet hat die Wehrmacht nicht in Albanien. Die Führungsschicht der Albaner hat mit den Deutschen kollaboriert, insbesondere auch in Jugoslawien, wo das Kosovo Albanien zugeschlagen wurde. Die Albaner haben im Windschatten und mit Billigung der deutschen Wehrmacht schwere Verbrechen an den Serben begangen. – Zusammenstöße mit den Deutschen gabs vor allem in Südalbanien, das mehrheitlich von Griechen bewohnt wurde (Nord-Epirus), die Griechen waren stark im kommunistischen Widerstand organisiert und schafften es, der italienischen Besatzung Stand zu halten. … Die Mehrheit der Albaner ist übrigens moslemisch, nicht christlich, aber die Religionszugehörigkeit spielt in Albanien nur eine geringe Rolle.

      Das nur zur Richtigstellung. Dass ein heutiger Albaner wegen der deutschen Besatzung (die der italienischen folgte) Vorteile bei der Asylbewilligung rausschlagen will, kann ich zwar subjektiv verstehen, ist aber nicht zu rechtfertigen.

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  4. Dieser Datz von Dir, liebe Gerda, ist der wichtigste im Text für mich:

    Mögen alle Kollektivzurechnungen, egal in welche Richtung und mit welchen persönlichen Erlebnissen begründet, der Vergangenheit angehören!

    und keiner, der lange nach dieser Zeit gboren wurde, sollte sich heute noch deswegen schuldig fühlen müssen!

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      Ich finde es wichtig, dass man alles, was zur Geschichte des eigenen Volkes gehört, akzeptiert, man kann nicht das eine nehmen und das andere lassen. Man kann sich nicht der großen Denker und Komponisten rühmen und die Verbrechen ausklammern. Aber persönlich schuldig sollte man sich nicht fühlen. Jeder hat nur die Schuld seiner eigenen Taten und Unterlassungen zu tragen. Hassen sollte man eh nur Verhaltensweisen, Systeme, Vorurteile…, aber nicht Menschen oder andere Lebewesen.

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  5. Wie Du die Völker (bzw. deren Vertreter) aufzählst, die „uns“ verziehen haben – oder eben nicht -, muss ich natürlich an die Russen denken. Russlandreisende berichten immer wieder, dass die Russen ihnen offen, neugierig und ohne Hass begegnen. Zum Beispiel gerade gestern auf den NachDenkSeiten:

    https://www.nachdenkseiten.de/?p=137264

    Dass die deutsche Politik dieses großherzige Vergeben arrogant in den Wind schlägt, dass erfüllt mich mit ohnmächtigem Zorn. Und, ja, auch etwas Hass, fürchte ich.

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