Reiner hat ein „Mitmachding“ initiiert. Es geht darum, jeden Tag einen Text zu einem Wort zu posten, das sich auf der Holsteiner Treppe in Wuppertal, verteilt auf 9 Absätze befindet. Es reizt mich, da mitzumachen, allerdings eher nicht mit eigenen Textproduktionen, sondern mit literarischen Assoziationen und Gedichten anderer. Ich bin gespannt, welche Texte, Gedichte, Geschichten jedes dieser Wörter in meiner Erinnerung aufleuchten lässt. All diese Erinnerungen an Gelesenes und im Gedächtnis Aufgehobenes sollen mir einen nachklingenden Teppich weben, den ich über die Stufen lege, um noch einmal hinaufzusteigen.
Verliebtsein ist fast wie das Zahnweh des verhinderten Dichters Balduin Bählamm, nur schöner
Wilhelm Busch:
Und aus ist’s mit der Weltgeschichte,
Vergessen sind die Kursberichte,
Die Steuern und das Einmaleins.
Kurz, jede Form gewohnten Seins,
Die sonst real erscheint und wichtig,
Wird plötzlich wesenlos und nichtig.
Joseph Freiherr von Eichendorff hat den Zustand der Verliebtheit wunderbar in Worte gefasst: die Welt ist ganz und gar verzaubert, wenn das Herz verliebt ist, und nichts, nichts anderes als das geliebte Du kann Anspruch auf Aufmerksamkeit erheben.
Joseph Freiherr von Eichendorff (1788-1857)
Glück
„Wie jauchzt meine Seele
Und singet in sich!
Kaum, dass ich’s verhehle
So glücklich bin ich.
Rings Menschen sich drehen
Und sprechen gescheut,
Ich kann nichts verstehen,
So fröhlich zerstreut. –
Zu eng wird das Zimmer,
Wie glänzet das Feld,
Die Täler voll Schimmer,
Weit herrlich die Welt!
Gepresst bricht die Freude
Durch Riegel und Schloss,
Fort über die Heide!
Ach, hätt ich ein Ross! –
Und frag ich und sinn ich,
Wie so mir geschehn?: –
Mein Liebchen herzinnig,
Das soll ich heut sehn.“
Dieses Gedicht führt zurück auf die erste Stufe der Holsteiner Treppe: „Glück“. Das war Goethe der glücklich Verliebte (hier). Aber halt! Ich werde doch nicht etwa wieder zum Anfang zurückkehren? Was wartet denn auf der nächsten Stufe auf mich?


So ein süßes Scherbenmännchen. Es tanzt direkt hinein ins Glück und ich wette, wenn das Glück verblasst, tanzt es frohgemut neuem Glück entgegen…
Leela
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Dem Anfang, auch dem wiederkehrenden, wohnt ein Zauber inne. Dem freudigen Anfang, dem Verliebtsein in ein Gegenüber besonders. Warum also nicht zum Anfang zurück, immer neu?
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Weil den Anfang ja die Fortsetzung folgt. Und so wäre es eine Wiederholung.
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Etwas anfangen, ein Bild etwa, einen Beruf, ein Hobby, sich neu verlieben, all das kann man wieder mit gleichen Ängsten und gleicher Freude erneut. Eine pure Wiederholung wird es nicht sein. Nicht mal, wenn man dasselbe Bild nochmals, etwa aus anderer Perspektive, sehen will, den selben Menschen meint….
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Ich halte inzwischen mehr vom Fortsetzen eines durchlebten Anfangs, als immer erneut anzufangen. Man lernt mehr, wenn man die Konsequenzen der eigenen Handlungen aushalten muss. das erneute Malen ist kein Anfang, sondern Fortsetzung. Nb, kennst du das Gedicht „die Stadt“ von Kavafis?
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Hi Gerda
Eine schöne Wahl der beiden Gedichte. Danke.
The Fab Four of Cley
🙂 🙂 🙂 🙂
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Wie fein und herzlich hat er sein Glück beschrieben, der Freiherr von Eichendorff!
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