Reiner hat ein „Mitmachding“ initiiert. Es geht darum, jeden Tag einen Text zu einem Wort zu posten, das sich auf der Holsteiner Treppe in Wuppertal, verteilt auf 9 Absätze befindet. Es reizt mich, da mitzumachen, allerdings eher nicht mit eigenen Textproduktionen, sondern mit literarischen Assoziationen und Gedichten anderer. Ich bin gespannt, welche Texte, Gedichte, Geschichten jedes dieser Wörter in meiner Erinnerung aufleuchten lässt. All diese Erinnerungen an Gelesenes und im Gedächtnis Aufgehobenes sollen mir einen nachklingenden Teppich weben, den ich über die Stufen lege, um noch einmal hinaufzusteigen.
Die Zeile „himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt“ stellte sich sogleich in meinem Gedächtnis ein. Woher sie stammt und von wem? Na, von Johann Wolfgang natürlich! Wer sonst schrieb so prägnante Zeilen, die über die Jahrhunderte populär blieben und sogar Teil der Alltagssprache wurden? Klärchen, verliebt in den Grafen Egmont, singt es im gleichnamigen Trauerspiel („Egmont“), an dem Goethe in den Jahren 1775-1787 schrieb und das 1788 erstmals veröffentlicht, 1789 uraufgeführt wurde. Dass in dem Stück auch ein „Macchiavell“ vorkommt, verbindet diese Stufe schön mit der vorangegangenen – auch wenn der „echte“ Macchiavelli schon lange tot war, als der Niederländische Krieg tobte. Das Drama spielt um 1566–1568.
Clärchens Lied
Freudvoll
Und leidvoll,
Gedankenvoll sein,
Langen
Und bangen
In schwebender Pein,
Himmelhoch jauchzend,
Zum Tode betrübt;
Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.
Marcel Reich-Ranicki rühmt dieses Gedicht mit seinen dreiundzwanzig Worten als „das schönste, das vollkommenste erotische Gedicht in deutscher Sprache“. (zitiert nach Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007)
Weniger überzeugt ist Clärchens Mutter, die Clärchens Liebeslied schroff mit „Lass das Heiopopeio“ kommentiert. Als Bürgerin ist sie alles andere als begeistert über die Liaison ihrer Tochter mit dem Grafen. „Die Jugend und die schöne Liebe, alles hat sein Ende; und es kommt eine Zeit, wo man Gott dankt, wenn man irgendwo unterkriechen kann.“ Ach, immer diese prosaischen Mütter! Clärchen nimmt lieber vom Leben als von der Liebe Abschied. Ach, diese unerbittliche jugendliche Verliebtheit! Drum ist das Stück auch ein „Trauerspiel“.
Goethe hatte von Anfang an Musik integrieren wollen, es gab auch mehrere kompositorische Anläufe, aber erst Beethoven schrieb 1809 im Auftrag des Wiener Burgtheaters die bekannte Bühnenmusik.
