112 Stufen 33: Beschimpfen (Arthur Schopenhauer)

Reiner hat ein „Mitmachding“ initiiert. Es geht darum, jeden Tag einen Text zu einem Wort zu posten, das sich auf der Holsteiner Treppe in Wuppertal, verteilt auf 9 Absätze befindet. Es reizt mich, da mitzumachen, allerdings eher nicht mit eigenen Textproduktionen, sondern mit literarischen Assoziationen und Gedichten anderer. Ich bin gespannt, welche Texte, Gedichte, Geschichten jedes dieser Wörter in meiner Erinnerung aufleuchten lässt. All diese Erinnerungen an Gelesenes und im Gedächtnis Aufgehobenes sollen mir einen nachklingenden Teppich weben, den ich über die Stufen lege, um noch einmal hinaufzusteigen.

Warum beginnt jemand zu schimpfen und seinen Gesprächspartner zu beleidigen? Darüber belehrt uns Schopenhauer, selbst ein Meister-Beleidiger, und er gibt gute Tipps, wie man seinen Gegner durch Beleidigungen und Beschimpfungen außer Gefecht setzt. Beispiel gefällig? Schopenhauer nannte seinen Kollegen Hegel einen Unsinnschmierer, seine auf den Kopf gestellte Welt…  eine philosophische Hanswurstiade. Für ihn war die Hegelsche Philosophie der hohlste, der sinnleerste Wortkram , an welchem jemals Strohköpfe ihr Genüge gehabt, ein Wischiwaschi, das ans Tollhaus erinnert. Ich vermute mal, dass die, die je einen Satz von Hegel gelesen und nicht verstanden haben, nun zustimmend mit dem Kopf nicken. Denn jeder fühlt sich gern bestätigt, besonders auch in seinem Vorurteil.

Worum also geht es in Schopenhauers Büchlein „Die Kunst zu beleidigen“? (Beck-Verlag)

„Wenn man merkt, daß der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird, so werde man persönlich, beleidigend, grob. Das Persönlichwerden besteht darin, daß man von dem Gegenstand des Streitens (weil man da verlornes Spiel hat) abgeht auf den Streitenden und seine Person irgend wie angreift: man könnte es nennen argumentum ad personam, zum Unterschied vom argumentum ad hominem: dieses geht vom rein objektiven Gegenstand ab, um sich an das zu halten, was der Gegner darüber gesagt oder zugegeben hat. Beim Persönlichwerden aber verläßt man den Gegenstand ganz, und richtet seinen Angriff auf die Person des Gegners: man wird also kränkend, hämisch, beleidigend, grob. Es ist eine Appellation von den Kräften des Geistes an die des Leibes, oder an die Tierheit“.

O ja, man kennt das! Denn bis heute ist „diese Regel … sehr beliebt, weil jeder zur Ausführung tauglich ist, und (sie) wird daher häufig angewandt“. Wer hat es nicht schon selbst erlitten oder auch getan?  „Eine Grobheit besiegt jedes Argument und eklipsiert allen Geist“.

Gibt es Gegenmaßnahmen, durch die man Beschimpfungen durch Rüpel, die einem geistig nicht gewachsen sind, vermeiden kann und nicht selbst zum Rüpel wird?

Das sicherste Mittel empfahl Aristoteles, der sich seinerzeit über die Sophisten auf der Athener Agora aufregte (zu denen übrigens auch Sokrates gehörte):  Lass dich nicht mit beliebigen Dummquasslern auf Debatten ein, sondern wähle deine Gesprächspartner sorgfältig aus. Die heutige Agora sind die social media, und das Beschimpfen ist hier schon wegen der gebotenen Kürze, die es kaum erlaubt, ein Argument zu entwickeln, allgegenwärtig. Die Regierenden bemühen die Justiz, um die empfundene Schmäh in klingende Münze zu verwandeln („Schwachkopf“-Urteil), der einfache Bürger kann die Kommentarfunktion außer Kraft setzen oder sich gleich ganz in Schweigen hüllen ….

Aber ach, das ist auch keine gute Lösung! Denn ab und zu hat man doch das Bedürfnis, seine Weisheiten oder meinetwegen auch nur seine Ansichten unters Volk zu bringen, und dann wird man beleidigt und muss zurückschlagen, da man sonst seinen guten Ruf verliert. Und endet in einer Schlammschlacht, wo der zuerst aufgibt, der, wenngleich womöglich argumentativ überlegen, die schwächeren Nerven hat.

Wahrheit, Kenntnis, Verstand, Geist, Witz müssen einpacken und sind aus dem Felde geschlagen von der göttlichen Grobheit“.

 

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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10 Responses to 112 Stufen 33: Beschimpfen (Arthur Schopenhauer)

  1. Avatar von Myriade Myriade sagt:

    Sehr wahr, liebe Gerda. Ich denke da an einen ganz besonderen Rüpel, dem nur durch Schweigen Einhalt zu gebieten ist, was nicht immer leicht ist ….

    Der ganze Beitrag gefällt mir überhaupt sehr !

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  2. Avatar von m.mama m.mama sagt:

    Beleidigung zur Kunst zu erheben und Attacken auf die Person zu empfehlen, wenn man in der Sache falsch liegt – das Büchlein müsste heute eigentlich ein Bestseller sein, aber gerade jene, die diese Vorgehensweise sehr gerne beherzigen, bevorzugen es auch, keine ganzen Bücher mehr zu lesen, sondern vertrauen auf Kurzzusammenfassungen von KI oder überhaupt auf Schlagworte daraus irgendwo im Internet 🤔

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  3. Und wenn man so dünne Haut hat wie ich, verträgt man das nicht. Intelligent zurückschlagen konnte ich vielleicht, als ich jung war…

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  4. Wenn Schopenhauer selbst ein Meister-Beleidiger war, war er demzufolge öfters unterlegen.
    Das scheint nicht zu passen, Gerda.

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      so sieht es aus. Wahrscheinlich genoss er das Beleidigen und konnte es nicht lassen, nachdem er seine Wirkung auf die Menschen so gut verstanden hatte. Heine war ein anderer Zeitgenosse, der das Beleidigen zu hoher Perfektion entwickelte, weshalb er von Herzen gehasst (und geliebt) wurde.

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  5. Pingback: Hugos Erstaunen – Kopf und Gestalt

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