Reiner hat ein „Mitmachding“ initiiert. Es geht darum, jeden Tag einen Text zu einem Wort zu posten, das sich auf der Holsteiner Treppe in Wuppertal, verteilt auf 9 Absätze befindet. Es reizt mich, da mitzumachen, allerdings eher nicht mit eigenen Textproduktionen, sondern mit literarischen Assoziationen und Gedichten anderer. Ich bin gespannt, welche Texte, Gedichte, Geschichten jedes dieser Wörter in meiner Erinnerung aufleuchten lässt. All diese Erinnerungen an Gelesenes und im Gedächtnis Aufgehobenes sollen mir einen nachklingenden Teppich weben, den ich über die Stufen lege, um noch einmal hinaufzusteigen.
Nachdem ich mich auf dem zweiten Treppenabsatz etwas ausgeruht und zurückgeschaut habe, wende ich mich gestärkt der dritten Stufenfolge zu. Doch o weh! Was haben wir da? „Bösartig“. Und da dachte ich schon, mit 30 aggressiv die negativen Assoziationen hinter mir gelassen zu haben.

Der Mensch ist gar nicht gut, drum hau ihn auf den Hut, und ist er auf den Hut gehaut, dann wird er vielleicht gut (Bertold Brecht)
Meine erste Assoziation ist mal wieder Goethes Faust mit der berühmt-berüchtigten Selbstbeschreibung des Mephisto:
Ich bin ein Teil von jener Kraft,
die stets das Böse will und stets das Gute schafft.
Doch sogleich geht mein Denken weiter zu der Kraft, die stets behauptet, das Gute zu wollen, aber leider gerade dadurch das Böse schafft: die USA. Mit seiner Rede an die Nation vom Januar 2002 beschwor Präsident George W Bush eine „Achse des Bösen“ und versprach, sie zu zerschlagen. Dabei bezog er sich einerseits auf den Anschlag vom 11/9 2001 und benannte andererseits einige „bösartige“ Staaten, die den Terrorismus fördern und Massenvernichtungswaffen produzieren.
Mit leichten Retuschen wird dieselbe Rede auch heute gehalten. Die Argumentation ist dieselbe geblieben: Wir sind die Guten, die die Schurkenstatten (rogue states), welche (wie der Irak, der Iran, Nord-Korea) ihre Bürger unterdrücken, den Terrorismus exportieren und Massenvernichtungsmittel produzieren, bestrafen werden.
Die Rede im Wortlaut:
“Our second goal is to prevent regimes that sponsor terror from threatening America or our friends and allies with weapons of mass destruction. Some of these regimes have been pretty quiet since September the 11th. But we know their true nature.”
“North Korea is a regime arming with missiles and weapons of mass destruction, while starving its citizens.”
“Iran aggressively pursues these weapons and exports terror, while an unelected few repress the Iranian people’s hope for freedom.”
“Iraq continues to flaunt its hostility toward America and to support terror. The Iraqi regime has plotted to develop anthrax, and nerve gas, and nuclear weapons for over a decade. This is a regime that has already used poison gas to murder thousands of its own citizens – leaving the bodies of mothers huddled over their dead children. This is a regime that agreed to international inspections – then kicked out the inspectors. This is a regime that has something to hide from the civilized world.”
“States like these, and their terrorist allies, constitute an axis of evil, arming to threaten the peace of the world.”
In deutscher Übersetzung:
„Unser zweites Ziel ist es, Regimes, die den Terrorismus unterstützen, davon abzuhalten, Amerika oder unsere Freunde und Verbündeten mit Massenvernichtungswaffen zu bedrohen. Einige dieser Regimes haben sich seit dem 11. September recht ruhig verhalten. Aber wir kennen ihre wahre Natur.“
„Das Regime in Nordkorea rüstet mit Raketen und Massenvernichtungswaffen auf, während es seine Bürger verhungern lässt.“
„Iran strebt aggressiv nach diesen Waffen und exportiert Terror, während einige wenige, die niemand gewählt hat, die Hoffnung des iranischen Volkes auf Freiheit unterdrücken.“
„Der Irak stellt weiterhin seine Feindseligkeit gegenüber Amerika offen zur Schau und unterstützt den Terrorismus. Schon seit über einem Jahrzehnt versucht das irakische Regime insgeheim, Milzbranderreger, Nervengas und Atomwaffen zu entwickeln. Dieses Regime hat bereits Giftgas eingesetzt, um tausende seiner eigenen Bürger zu ermorden – und ließ danach Leichen von Müttern zurück, zusammengekauert über ihren toten Kindern. Dieses Regime hat in internationale Inspektionen eingewilligt – und dann die Inspektoren hinausgeworfen. Dieses Regime hat etwas vor der zivilisierten Welt zu verbergen.“
„Staaten wie diese, und die mit ihnen verbündeten Terroristen, bilden eine Achse des Bösen, die aufrüstet, um den Frieden der Welt zu bedrohen.“
Es ist offenkundig, dass die genannten Staaten keine „Achse“ bildeten („Achse“ wurde zuerst auf das Kriegsbündnis Deutschland-Italien-Japan im WWII angewendet) und überhaupt wenig miteinander gemein haben. Der schreckliche achtährige „Erste Golfkrieg“ zwischen Irak und Iran (1980-88) war kaum vorbei. Nord-Korea hatte und hat keinerlei Beziehungen zu Irak und Iran. Von „Achse“ kann mithin keine Rede sein. Das einzige, was alle drei Staaten miteinander gemein haben, ist: sie waren bzw sind den USA und ihren Vasallen ein Dorn im Auge. Dieses Kriterium macht jeden Staat potentiell zu einem „bösen“ Staat.
Wie wir wissen, hat es nach dieser Rede noch so manchen anderen Staat erwischt (Afganistan, Syrien, Lybien), andere stehen schon in der Warteschleife (Russland, China).
Natürlich stimmt dasselbe Gut-Böse-Denken auch für die Gegenseite. So ist für den Iran klar, wer die Verkörperung des Bösen und wer seine Helfershelfer sind.
Zum Abschluss mein Drabble zur Relativität von Gut und Böse (hier):

Der eine findet es ergötzlich
Der andre aber höchst entsetzlich
Was doch dasselbe ist vor Gott.
Der Wurm im Apfel lebte glücklich
Der Bauer findet dies nicht schicklich:
„Was willst du Wurm in dem Kompott?“
Die Küche ist ein Ort des Grauens
Fürn Hahn, der voll des Urvertrauens
Dem Schlächter folgte auf den Block.
Die Oma aber hofft auch heute
Dass die von ihr geliebten Leute
Sie loben für den leckren Gock.
Wie soll ich nur dies Rätsel lösen
Dass von den Guten und den Bösen
Ein jeder Recht hat, wie er meint –
und einer lacht, der andere weint?

Meinst Du, liebe Gerda, wir würden das Rätsel Gut und Böse lösen können?
Es ist vermutlich schon gut, wenn das Böse nicht überhand nimmt…
Berthold Brechts Worte:
Der Mensch ist gar nicht gut, drum hau ihn auf den Hut, und ist er auf den Hut gehaut, dann wird er vielleicht gut
Hören sich zwar kindlich an, aber eigentlich sind es gar nicht, denn so ist es tatsächlich …
LikeGefällt 1 Person
wo du recht hast …. Ich meine, Gut und Böse halten sich immer das Gleichgewicht, denn das eine ist ja der Schatten/dasLicht des anderen.
LikeGefällt 1 Person
Zum Thema Ausrottung des Bösen hat Michael-Schmidt Salomon (seines Zeichen Dr. phil. und freier Schriftsteller) einmal getitelt: Gerächt ist nicht gerecht.
(Mehr dazu in seinem lesenwerten Buch „Jenseits von Gut und Böse“ ISBN 978-3-492-27338-1)
LikeLike
Dankefürden Tipp, lieber Werner!
LikeGefällt 1 Person