112 Stufen, 28: Friedlich (Bertolt Brecht)

Reiner hat ein „Mitmachding“ initiiert. Es geht darum, jeden Tag einen Text zu einem Wort zu posten, das sich auf der Holsteiner Treppe in Wuppertal, verteilt auf 9 Absätze befindet. Es reizt mich, da mitzumachen, allerdings eher nicht mit eigenen Textproduktionen, sondern mit literarischen Assoziationen und Gedichten anderer. Ich bin gespannt, welche Texte, Gedichte, Geschichten jedes dieser Wörter in meiner Erinnerung aufleuchten lässt. All diese Erinnerungen an Gelesenes und im Gedächtnis Aufgehobenes sollen mir einen nachklingenden Teppich weben, den ich über die Stufen lege, um noch einmal hinaufzusteigen.

Muss ich erklären, wer Gisela May war? Kennst du womöglich ihre Stimme nicht mehr? Obgleich ich keine Sympathie für den „real existierenden Sozialismus“ der DDR hatte, liebte ich doch einige der großen Künstler, die am Schiffbauerdamm Brechts Werke aufführten. Ekkehard Schall und Gisela May waren die Magneten, die uns – Eingeladene der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Feier von Karl Marx 150. Geburtstag in Trier – vom SPD-Festredner Ernst Bloch weg in Richtung des Saales lockten, wo ein roter Katafalk und DDR-Symbole das „andere Deutschland“ signalisierten und sozialistische Kampflieder gesungen wurden. Das war im Jahr 1968, und natürlich wurde es nicht gern gesehen, dass wir der Konkurrenz einen Besuch abstatteten.

Ob Gisela May damals das Friedenslied sang? Gut möglich. Bertolt Brecht schrieb es 1951, Hanns Eisler, der 1949 auch die DDR-Hymne komponiert hatte („Auferstanden aus Ruinen…“) vertonte es. Damals tobte der Korea-Krieg (1950-53) und ich war elf. Auch im linkslastigen Milieu meiner Berliner und Frankfurter Zeit (60er und frühe 70er Jahre) war es populär  Die heutige „Linke“ warb nun erneut mit diesem Lied (hier). Ein wenig hilflos, kindlich und altbacken wirkt es angesichts des massiven Aufmarsches der neuen Kriegswilligen.

Friedenslied
(Bertolt Brecht; Hanns Eisler)

Friede auf unserer Erde!
Friede auf unserem Feld,
daß es auf immer gehöre
dem, der es gut bestellt.

Friede in unserem Lande!
Friede in unserer Stadt,
daß sie den gut behause,
der sie gebauet hat.

Friede in unserem Hause!
Friede im Haus nebenan!
Friede dem friedlichen Nachbarn,
daß Jedes gedeihen kann.

Friede dem Roten Platze
und dem Lincoln-Monument!
Und dem Brandenburger Tore
und der Fahne, die drauf brennt!

Friede den Kindern Koreas
und den Kumpels an Neiße und Ruhr!
Friede den New-Yorker Schoffören,
und den Kulis von Singapore!

Friede den deutschen Bauern
und den Bauern im großen Banat!
Friede den guten Gelehrten
eurer Stadt Leningrad!

Friede der Frau und dem Manne!
Friede dem Greis und dem Kind!
Friede der See und dem Lande!
Daß sie uns günstig sind.

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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1 Response to 112 Stufen, 28: Friedlich (Bertolt Brecht)

  1. und nichts hat es genutzt…

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