112 Stufen, Wappnen (Martin Luther)

Reiner hat ein „Mitmachding“ initiiert. Es geht darum, jeden Tag einen Text zu einem Wort zu posten, das sich auf der Holsteiner Treppe in Wuppertal, verteilt auf 9 Absätze befindet. Es reizt mich, da mitzumachen, allerdings eher nicht mit eigenen Textproduktionen, sondern mit literarischen Assoziationen und Gedichten anderer. Ich bin gespannt, welche Texte, Gedichte, Geschichten jedes dieser Wörter in meiner Erinnerung aufleuchten lässt. All diese Erinnerungen an Gelesenes und im Gedächtnis Aufgehobenes sollen mir einen nachklingenden Teppich weben, den ich über die Stufen lege, um noch einmal hinaufzusteigen.

Ich bin evangelisch-lutherisch getauft, und obgleich ich schon längst aus der Kirche ausgetreten bin, fühle ich mich dem lutherischen Geist immer noch stark verbunden. Luthers Sprachgewalt und sein „Hier stehe ich und kann nicht anders, Gott helfe mir“ haben noch dieselbe starke Wirkung auf mich, und besonders das Lied „Ein feste Burg“ ist engstens mit meiner Kindheit verbunden insofern, als Mutter und Großmutter und natürlich auch wir Kinder dieses Lied von Herzen mitsangen, wenn die Gemeinde es, unterstützt von der Barockorgel unserer schönen alten Kirche, anstimmte.

Marin Luther

Ein feste Burg

Ein feste Burg ist unser Gott,
ein gute Wehr und Waffen.
Er hilft uns frei aus aller Not,
die uns jetzt hat betroffen.
Der alt böse Feind
mit Ernst er’s jetzt meint,
groß Macht und viel List
sein grausam Rüstung ist,
auf Erd ist nicht seinsgleichen.

Mit unsrer Macht ist nichts getan,
wir sind gar bald verloren;
es streit’ für uns der rechte Mann,
den Gott hat selbst erkoren.
Fragst du, wer der ist?
Er heißt Jesus Christ,
der Herr Zebaoth,
und ist kein andrer Gott,
das Feld muss er behalten.

Und wenn die Welt voll Teufel wär
und wollt uns gar verschlingen,
so fürchten wir uns nicht so sehr,
es soll uns doch gelingen.
Der Fürst dieser Welt,
wie sau’r er sich stellt,
tut er uns doch nicht;
das macht, er ist gericht’:
ein Wörtlein kann ihn fällen.

Das Wort sie sollen lassen stahn
und kein’ Dank dazu haben;
er ist bei uns wohl auf dem Plan
mit seinem Geist und Gaben.
Nehmen sie den Leib,
Gut, Ehr, Kind und Weib:
lass fahren dahin,
sie haben’s kein’ Gewinn,
das Reich muss uns doch bleiben.

***

Zur Wirkungsgeschichte des Liedes wusste ich nicht viel, ich las es eben bei Wikipedia nach: Heinrich Heine bezeichnete es als „Marseiller Hymne der Reformation“, Friedrich Engels als „Marseillaise der Bauernkriege“. Auch während der sog. Befreiungskriege gegen die napoleonische Besatzung wurde es als Kampflied benutzt, zB beim Wartburgfest 1817. Während des 1. Weltkriegs wurde es dann vollends national-militaristisch umgedeutet: Das von allen Seiten bedrohte Deutschland wappnete sich gegen die Welt mit „Vertrauen auf Gott und den Kaiser“.

Doch wie dem auch sei: Auch wenn die Welt voll Teufel wäre, lasse ich mir das Lied nicht rauben.

 

 

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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5 Responses to 112 Stufen, Wappnen (Martin Luther)

  1. Avatar von Unbekannt Anonymous sagt:

    Dein letzter Satz hierzu ist spitze, meint Sonja

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  2. Liebe Gerda, das geht mir ebenso. Ich bin in der Lutherstadt Wittenberg geboren, evangelisch getauft und konfirmiert. Weil ich hoffte, dass es nützt, bin ich in zweiter Ehe sogar in der gleichen Kirche getraut worden. Hat nicht geholfen! Als ich im 6. Monat schwanger war, holte die Stasi meinen Mann und er hat seinen Sohn erst in der Haftanstalt kennengelernt; kam erst zurück, als dieser ihm schon zeigen konnte, wo die Eier sind. Meine Kinder sind nicht getauft usw. Gläubig bin ich auch nicht mehr…

    Grüße von Gerel

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  3. Wer kennt dieses Lieb nicht, Gerda! Ich habe es nie vergessen.

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