10. Raunacht: Der Eremit (auf dem Kopf stehend)

In der zehnten Raunacht und mithin für den Oktober zog ich den „Eremiten“. Dieser grau gewandete, weißbärtige Mann, der sich mit seiner Latüchte und seinem langen Stab ins Gebirge begeben hat, gilt als Sucher nach der inneren Wahrheit. Wer bin ich, weshalb bin ich in der Welt, woran glaube ich – derlei Fragen verlangen nach Antwort, und so mancher denkt: ich müsste diese Fragen mal bündeln, mich zurückziehen, von der Bühne verschwinden, nur mit mir selbst sein und alle äußeren Impulse abschalten. Dann fände ich endlich die Antworten.

Ja, auch ich denke oft an Rückzug. Und tu es doch nicht. Denn ich misstraue dem Konzept der Eremitentums. Drum freue ich mich, den Eremiten auf dem Kopf stehend gezogen zu haben. Für mich ist das Heilmittel „Eremit“ eine „Kopfgeburt“: die bequeme Vorstellung, dass es die Umwelteinflüsse seien, die mich hindern, zu mir selbst zu kommen.

Natürlich brauche ich Pausen, Rückzug, Meditation. Die aber sollen sich in den  Tageslauf eingliedern und nicht an seine Stelle treten. In den normalen Tätigkeiten und Menschenbegegnungen liegt der Stoff, an dem ich reife. Wer sich isoliert, bleibt in sich versponnen und verworren. Und was die Laterne angeht: Nein, sie kann durchaus nicht leisten, was die liebe Sonne uns tagtäglich spendet: strahlend helles Licht!

Und so nehme ich gerne die Herausforderung des auf dem Kopf stehenden Eremiten für den Oktober an: Nimm deine Fragen an dich selbst ernst, ja! Aber hole dir die Antworten aus der Mitwelt, von den Menschen und der Natur. Schau, wie die Früchte im Oktober reifen! Sie ziehen alle Kräfte der Sonne nach Innen, um sie zu verwandeln und als Saft und Farbe, als Nahrung und Kern für neues Wachstum zurückzugeben an die Welt.

Die neurografische Zeichnung entwickelte sich aus der oben gezeigten ersten Anlage zu dieser Endfassung.

 

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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14 Responses to 10. Raunacht: Der Eremit (auf dem Kopf stehend)

  1. Ich träumte einst auch vom Eremitendasein, doch das war einst und doch mir sehr verständlich.

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  2. Deinen grundsätzlichen Überlegungen zum Eremittentum stimme ich zu. Ja! Aus dem täglichen Leben heraus sollten die Erkenntnisse gewonnen werden, die uns wachsen lassen. Und zur Lösung unserer Probleme helfen. Liebe Grüße!

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  3. Ich denke ebenfalls oft, es wäre schön, allein zu sein. Und fürchte es gleichzeitig (wenn ich mir aber eine Auszeit in einem Kloster nähme, so müßte es eines der Schweiger sein!). Auch erinnere ich mich noch gut an die unruhigen Zeiten, da die Kinder kleiner waren. Waren sie einmal abwesend und das übliche Tagwerk weitgehend getan, so hatte ich doch die Muse, die ich wollte, wenn auch zeitlich begrenzt! – Und konnte dann nicht wirklich etwas damit anfangen, sondern wurde unruhig. Vermißte die Störgeräusche, die Störenfriede.

    Weshalb ich ebenfalls denke, dass ein Rückzug in die völlige EInsamkeit keine Lösung ist.

    Trotzdem las ich den Eremiten auf dem Kopf stehend anders: Dass wir, auf der Suche nach Erkenntnis, immer nur Schritte, besser Schrittchen gehen können, sie zur Gänze fassen zu wollen überfordert uns, gelingt nicht, führt nur in die Irre und Enge und völlige Verwirrung der klaren Gedanken. Läßt uns irgendwann eben kopfstehen.

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  4. Avatar von Unbekannt Anonymous sagt:

    Osho meinte einmal, es gäbe den Weg der Liebe und jenen der Meditation (wobei das eine das andere nicht ausschließt, nur die Richtung ist eine andere). „Half-techniques on the path of love and half-techniques on the path of meditation will create much confusion in you“

    Als ich dies vor langer, langer Zeit zum ersten Mal hörte, spürte ich intuitiv, dass mein Weg der Weg der Meditation ist. Es gefiel mir überhaupt nicht und ich versuchte auch nicht, es umzusetzen. Mein Name bedeutet: Sehnsucht nach Meditation. Auch das ignorierte ich und kreierte für mich Chaos und Schlamassel.

    Jetzt endlich bin ich für diesen Weg bereit. Auch meine gezogenen Tarotkarten deuten alle in diese Richtung. „Dream“ zog ich jetzt schon zum 3.mal. Deutlicher geht nicht.

    Nach allem was du schriebst, ist, denke ich, dein Weg der Weg der Liebe… Vielleicht steht der Eremit deshalb auch auf dem Kopf.

    Leela

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      Danke, Leela! Was angesagt ist. kann sicher jeder nur für sich selbst beurteilen. Der Satz von Osho stößt mich, so wie du ihn zitierst, zurück. Bist du sicher, ihn richtig verstanden zu haben? Meditation ohne Liebe ist völlig sinnlos und sogar gefährlich für mich.
      Tolstoi hat das Thema in einer Erzählung von einem sehr heiligen Eremiten sehr schön dargestellt.

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      • Avatar von Leela Leela sagt:

        Richtig zitiert ist der Satz in den Anführungszeichen. Meditation führt in Liebe, weil ein Leben in Meditation ein Leben in Liebe ist. Umgekehrt führt Liebe in Meditation wenn sie Liebe ist und nicht aus Angst vor dem Alleinsein besteht. Der Weg ist aber jeweils ein anderer. Das war jetzt meine Interpretation. Der Satz ist aus dem Zusammenhang gerissen und steht so auf der von mir gezogenen Compromise Karte. Es gibt ein kleines Buch von Osho: zwei Wege der Liebe. Das hatte ich damals gelesen.

        Jetzt aber genug zu diesem Thema. Habe eh schon bereut, dass ich es angeschnitten habe.

        Liebe Grüße, Leela

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      wieso bereut? Es ist doch gut, sich auf diese Weise auszutauschen. Und dein jetziger Komnentar macht mir den Satz auch verständlich. Danke dafür.

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      • Avatar von Leela Leela sagt:

        Vielleicht doch noch eine kleine weitere Erklärung: das Christentum und der Islam, hier insbesondere die Sufis gehen den Weg der Liebe. Buddha, Lao tsu und andere östliche Traditionen gehen den Weg der Meditation. Selbst Daskalos thematisierte das Problem (frei nach Leela) : wir haben hier im Christentum so einen wunderschönen Garten, in dem man alles finden kann. Viele aus dem Westen suchen jetzt im Osten. Aber die Tradition passt nicht. Die Gefahr verrückt zu werden ist groß.

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      danke, Leela, das verstehe ich jetzt sehr gut. Zwei Wege – und es ist nicht gut, sie zu vermischen. Daher habe ich, trotz großer Hochachtung vor buddhistischen oder Zen Praktiken, immer einen Bogen drum gemacht. Es ist ein ganz anderer Weg als der des Christentums, auch wenn die Meditation (Versenkung) für beide wichtig und das Ziel immer die Liebe ist.

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      • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

        Vielleicht noch: ich bin in keiner Kirche, gehöre keiner Glaubensgemeinschaft an. Keine der Kirchen zieht mich an. Und doch fühle ich mich dem Christentum als „mystischer Tatsache“ tief verbunden. Schwierig zu erklären.

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