Berlin Episode 6: Neue Nationalgalerie: Mies van der Rohe, Rosa Luxemburg, Gerhard Richter, Birkenau und Heyde

Die Neue Nationalgalerie beherbergt eine Menge Kunst, die ich gern anschaue. Also entschieden wir uns, sie zu besuchen. Ich hatte freilich keine Ahnung, dass ich dort eine Sonderausstellung mit Werken Gerhard Richters vorfinden würde. (Hier kannst du bei Bedarf nachlesen, was es damit auf sich hat.)

Mies van der Rohe zeichnet für den Museumsbau verantwortlich, der 1967 vollendet wurde. Es ist das Testament eines der bedeutendsten Architekten des „Modernismus“,  und der Besuch lohnt sich für Architekturinteressierte schon deshalb. Mies van der Rohe, dessen Leben 1886 in Aachen begann und 1969 in Chicago endete, prägte wie kaumein anderer die Architektur des 20. Jahrhunderts. Während er seinen künstlerischen Auffassungen treu blieb, passte er sich politisch geschmeidig den Zeitläuften an. Politisch engagierte Kunst lehnte er ab. Das hinderte ihn nicht, das Revolutionsdenkmal für die ermordeten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zu schaffen (1926 von Wilkelm Pieck eingeweiht), es hinderte ihn nicht, 1934 den Aufruf der Kulturschaffenden zur Unterstützung Adolf Hitlers im Völkischen Beobachter zu unterzeichnen, auch nicht, Nazi-Deutschland 1934 auf der Weltausstellung in Brüssel zu vertreten…  Sein künstlerischer Einfluss machte sich ab 1938 in den USA geltend, 1944 wurde er US-Staatsbürger. 

Um zur Neuen Nationalgalerie zu gelangen, überquert man den Landwehrkanal. Ich stand eine Weile dort auf der Brücke und sah dem Wasser nach, das träge drunter hindurchströmte (kein Foto). In diesen Kanal (nicht an dieser Stelle) wurde im Januar 1919 die Leiche von Rosa Luxemburg geworfen. Ein Jahrhundert später, 2019 im Mai, fischte man sie heraus. Nichts verjährt wirklich.

Die Überraschung dann: Gerhard Richter. Ich taste mich heran. Erst ein Totenschädel, in seiner weichzeichnenden fotorealistischen Art gemalt.

Dann: Vier riesige Tafeln mit wogenden Farben, feurig und vielschichtig wie herbstliches Laub. Birkenau.

MirkommenGeichtszeilen in den Sinn. Die Blätter fallen, fallen wie von weit …. (Rilke, Herbst)

Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen… (Trakl, Groddeck)

Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt
Das vergossne Blut sich, mondne Kühle… (Trakle, Groddeck)



Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel. (Trakl, Groddeck)

Ist das nun „politisch engagierte Kunst“? Durch den Titel „Birkenau“ öffnet der Geist sich dem Grauenhaften, das sich mit diesem einst schönen Wort verbindet. Und dies Grauenhafte verbindet sich mit all den anderen Stätten des Grauens, die das 20. Jahrhundert zu schaffen und zu erleiden in der Lage war (und was das 21.Jahrhundert auch nicht verlernt hat), und ich fühle ihn, den „gewaltigen Schmerz, die ungeborenen Enkel„, Trakls Klage von 1914, in Erinnerung an die Schlacht von Grodeck, Ostgalizien, heute Ukraine.

Weiter gehe ich, bewundere die Vielfalt seiner Techniken (hier Hinterglasbilder)

bleibe dann wie angewurzelt vor einem weichgezeichnet fotorealistschen Bild stehen. Ein Mann wird verhaftet.

Es ist die Verhaftung von Dr. Werner Heyde, und nichts triggert mich so sehr wie dieser Name, seit ich als 17Jährige, 1959 aus den Zeitungen erfuhr, dass sich ein Dr. Heyde wegen eines Nachbarschaftssteits ausweisen sollte und schließlich „gestellt“ wurde. Dieser Mann hatte sich mit quasi-offizieller Deckung unter dem Pseudonym Dr. Fritz Sawade als „nervenärztlicher Gutachter“ in den Nachkriegsjahren eine goldene Nase verdient. Bis zu seiner Verhaftung 1959 erstellte er rund 7.000 Gutachten für verschiedenste Behörden und Institutionen. 

Na und? fragst du. Du kennst den Mann wohl nicht. Wiki: „Werner Heyde – Pseudonym Fritz Sawade – (* 25. April 1902 in Forst/Lausitz; † 13. Februar 1964 in Butzbach/Hessen) ….Als Leiter der medizinischen Abteilung der Tarnorganisation „Zentraldienststelle T4“ und erster T4-Obergutachter während der Zeit des Nationalsozialismus war er für die Ermordung von Zehntausenden Menschen mit Behinderungen bzw. psychischen Erkrankungen aus Psychiatrien und Pflegeheimen sowie Konzentrationslagerhäftlingen verantwortlich.“

 

 

 

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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18 Responses to Berlin Episode 6: Neue Nationalgalerie: Mies van der Rohe, Rosa Luxemburg, Gerhard Richter, Birkenau und Heyde

  1. Was mich noch im Nachhinein so richtig wütend macht, ist, dass diese Verbrecher sich ihrem Urteil und Strafe in dieser Welt durch Selbstmord entziehen konnten.

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  2. Danke fürs Zeigen besonders des eindrucksvollen Bildes von der Verhaftung des Werner Heyde. Das lässt in mir Gedanken meiner späten Jugend aufleben, als man damit rechnen musste, solchen Naziverbrechern in Amt und Würden zu begegnen.

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  3. Avatar von Ulli Ulli sagt:

    Sag mal, liebe Gerda, hast du all diese Zeilen abrufbar im Kopf? Wenn, dann kann ich das nur bewundern.

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  4. Avatar von Peter Klopp Peter Klopp sagt:

    Dein Berlin Besuch hat sich als eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration entpuppt. Ich sehe dich schon voller künstlerischen Ideen in deine Wahlheimat zurückkehren, liebe Gerda. Hoffentlich ist iin der Zwischenzeit etwas Regen gefallen.

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  5. Ja, völlig richtig, Gerda!
    Die Situation im zusammengebrochenen Deutschland war unübersichtlich, gefährlich und prekär, und hat so den Nazis die Gelegenheit gegeben, sich ihre Verstecknischen zu suchen. Haben die Verantwortlichen dann, angesichts dem durch Tod und Gefangenschaft eklatanten Fachkräftemangels auf allen Ebenen zu leichtfertig Ex-Nazis wieder in berufliche und gesellschaftliche Positionen gebracht? Als Nach geborene neige ich zu dieser Annahme. Verstehe ich aber die besondere Nachkriegssituation richtig?
    Auch nach dem Fall der DDR haben durchaus frühere Parteigänger der SED schnell wieder wichtige Positionen in Wirtschaft und Gesellschaft erhalten. Sie waren qualifiziert, aus Westdeutschland hingegen wollten viele Familien, vor allem, wenn sie Kinder hatten, nicht in die Ex-DDR. Es war lange Zeit ein absoluter „Krampf“, zB. einen westdeutschen Elektroingenieur zu finden, der dich bereit erklärt hätte, in m Osten zu arbeiten. Wer hätte dann die Unternehmen und die staatlichen Institutionen um – und aufbauen sollen?

    Die Hilflosigkeit des deutschen Rechtsstaates

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  6. Die Schrecken enden nie, liebe Gerda. Entsetzlich, das alles zu wissen und hilflos dazustehen… Zu Ende ist es eigentlich nie
    Was tut der Mensch dem Menschen an und wie kann er Todesurteile unterschreiben, wenn er weiß, wieviel Leid er damit anrichten wird. Ich verstehe die Menschen nicht.

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  7. Eine Wut auf all die Verbrecher kenne ich nur zu gut.
    Doch was bringt mir das?
    Das Geschehnis in Neu-D. 2012 ging mir sehr nach. Der Druck der Strasse, der wohl nie nachlies, führte dann zum Urteil. Begriffen haben die Mörder damals nichts.
    Auch zur NS-Zeit gab es eine Frau, die mit Spritzen das Leid der „Probanten“ beendete und ausgerechnet als Haus-Ärztin viele Jahre in der Nachkriegszeit tätig war. Völliges Unverständnis ringsum, daß man die gute Hausärztin belangte.

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