Was zuletzt geschah:
Danai und Hawi sind dabei, die Höhle zu betreten, in der sich außer den Schafen auch Domna, Clara und Trud befinden – was sie nicht wissen.
Domna:
Ich höre Stimmen, die kenn ich,
ihr lieben Hunde, lasst sie herein!
Danai es ist, o, das freut mich,
wer mag der andere sein?
Danai:
Du Domna bist hier? o das freut mich
ich habe den Hawi bei mir
Geh, Hawi, die Domna ists, trau dich
Ich kenn auch die andern bei ihr.
Siehst du dort nah bei der Herde
denn dort ist es kuschlig und warm
liegt die fragende Trud auf der Erde
sie hält das Kind Clara im Arm.
Hawi:
Ich glaube, sie schlafen und träumen,
die alte Frau wiegte das Kind
Sie treiben in himmlischen Räumen
wo die lieben Engelein sind.
Domna
Wo bist du, Hawi, ich möchte dich sehen
Würdest du bitte zu mir dich herdrehen?
Hawi
Frau Domna, hier bin ich,
ich hoffe du siehst mich
bin schwarz von Gesicht
so sieht man mich nicht
wenn die Nacht runterfällt
und schwarz wird die Welt.
Domna
Komm näher zu mir, ich seh nicht mit Augen
mit den Fingern nur seh ich, und auch mit dem Herzen
Denn weil für das Sehen die Augen nicht taugen
lernten die Finger zu lesen die Schmerzen
Der Menschen durch Tasten in ihrem Gesicht.
Sie spüren die Wunden, die dem Auge verborgen.
sie fühlen Gedanken und Trauer und Sorgen
und finden die Worte zu manchem Gedicht.
Hawi:
Du kannst mich nicht sehen? Du bist vielleicht blind?
Bei uns gibts so Leute, die ebenso sind.
Die gehen herum mit dem Stab und sie betteln
mit denen soll niemals man einen Streit zetteln.
Die Mama sagt mir, ich krieg große Not
wenn ich Blinden nicht helfe und teile mein Brot.
Domna befühlt Hawis Gesicht
Ich seh dich, ein Kind, das nicht weiß, ob zu Hause
die Mutter noch lebt, ob sie leidet und weint.
Das peinigt dich immer und macht keine Pause.
Du willst mit ihr eins sein: mit der Mutter vereint.
Doch es riss dich von dannen, du musstest sie lassen
in der Ferne zurück, in dem brennenden Haus
davon brennt dein Herz, denn du kannst sie nicht fassen.
du kannst sie nicht halten, es treibt dich hinaus.
Nun wirst in der Fremde du Freunde dir finden
wirst wachsen und lernen, wie΄s anderswo ist
du wirst dich vielleicht mit dem Land hier verbinden
und am Ende fast meinen, dass du einheimisch bist.
Doch dein Herz bleibt verwurzelt im Land deiner Ahnen
das gibt dir die Kraft, das gibt dir den Halt.
und einst, nun erwachsen, auf verworrenen Bahnen
kehrst du zurück, und stoppst die Gewalt.
Danai wird dich lehren, was immer du brauchst,
Sie kennt ja die Wege, von hier und von dort,
Sie zeigt dir, wie du in die Welt hier eintauchst,
und zugleich in dem Herzen bewahrst dir den Ort
Der immer dich ruft, und nach dir verlangt.
Denn er liebt dich und will, dass du seiner gedenkst
als die Heimat, der sich dein Leben verdankt.
zu der du dereinst die Schritte dann lenkst
Voll Wissen der Welt, voll Weisheit und Kraft
zu heilen die Wunden, zu helfen dem Land.
Nun ruhe dich aus. Der Schlaf dir verschafft
Vergessen und Traum, er erlöst den Verstand.
Danai:
Hab Dank, liebe Domna, ich sag: Gute Nacht
wir schlafen hier ruhig, von den Hunden bewacht.
Schlaf auch, lieber Hawi, hier an meiner Brust
Dann kommen auch Träume, voll Hoffnung und Lust.
Domna (spricht leise und beschwörend)
Listen more often to things rather than beings.
Hear the fire’s voice,
Hear the voice of water.
In the wind hear the sobbing of the trees,
It is our forefathers breathing.
The dead are not gone forever.
They are in the paling shadows,
And in the darkening shadows.
The dead are not beneath the ground,
They are in the rustling tree,
In the murmuring wood,
In the flowing water,
In the still water,
In the lonely place, in the crowd:
The dead are not dead.
Listen more often to things rather than beings.
Hear the fire’s voice,
Hear the voice of water.
In the wind hear the sobbing of the trees.
It is the breathing of our forefathers,
Who are not gone, not beneath the ground,
Not dead.
The dead are not gone for ever.
They are in a woman’s breast,
A child’s crying, a glowing ember.
The dead are not beneath the earth,
They are in the flickering fire,
In the weeping plant, the groaning rock,
The wooded place, the home.
The dead are not dead.
Listen more often to things rather than beings.
Hear the fire’s voice,
Hear the voice of water.
In the wind hear the sobbing of the trees.
It is the breath of our forefathers
(Birago Diop, senegalesischer Dichter. Ungenannter Übersetzer)*
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*Anmerkung
In deutscher Übersetzung wurde das Gedicht, das Domna auf Englisch rezitiert (denn in Hawis nordost-afrikanischer Heimat ist Englisch die Verkehrssprache) Anfang der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts veröffentlicht in „Schwarzer Orpheus“ – Moderne Dichtung afrikanischer Völker beider Hemisphären. Ausgewählt und übertragen in Janheinz Jahn, Carl Hanser Verlag.
Janheinz Jahn war seit 1950 mit dem Dichter und späteren Präsidenten des Senegal Léopold Sédar Senghor befreundet. Seine bemerkenswerte Leistung, der deutschen Leserschaft afrikanische Dichtung nahezubringen, wird leider durch die eher dürftige Qualität der Übersetzungen vermindert.
Das Gedicht lautet im französischen Original:
Les morts ne sont pas morts
Les morts ne sont pas morts
Ecoute plus souvent
Les choses que les êtres,
La voix du feu s’entend
Entends la voix de l’eau
Ecoute dans le vent
Le buisson en sanglot :
C’est le souffle des ancêtres.
Ceux qui sont morts ne sont jamais partis
Ils sont dans l’ombre qui s’éclaire
Et dans l’ombre qui s’épaissit,
Les morts ne sont pas sous la terre
Ils sont dans l’arbre qui frémit,
Ils sont dans le bois qui gémit,
Ils sont dans l’eau qui coule,
Ils sont dans l’eau qui dort,
Ils sont dans la case, ils sont dans la foule
Les morts ne sont pas morts.
Ceux qui sont morts ne sont jamais partis,
Ils sont dans le sein de la femme,
Ils sont dans l’enfant qui vagit,
Et dans le tison qui s’enflamme,
Les morts ne sont jamais sous terre,
Ils sont dans le feu qui s’éteint,
Ils sont dans le rocher qui geint,
Ils sont dans les herbes qui pleurent,
Ils sont dans la forêt, ils sont dans la demeure,
Les morts ne sont pas morts.
Ecoute plus souvent
Les choses que les êtres,
La voix du feu s’entend
Entends la voix de l’eau
Ecoute dans le vent
Le buisson en sanglot :
C’est le souffle des ancêtres.
Le souffle des ancêtres morts
Qui ne sont pas partis,
Qui ne sont pas sous terre,
Qui ne sont pas morts
Ecoute plus souvent
Les choses que les êtres,
La voix du feu s’entend
Entends la voix de l’eau
Ecoute dans le vent
Le buisson en sanglot :
C’est le souffle des ancêtres
Il redit chaque jour le pacte
Le grand pacte qui lie,
Qui lie à la loi notre sort;
Aux actes des souffles plus forts,
Le sort de nos morts qui ne sont pas morts;
Le lord pacte qui nous lie aux acte
Des souffles qui se meuvent.
Dans le lit et sur les rives du fleuve,
Dans plusieurs souffles qui se meuvent
Dans le rocher qui geint et dans l’herbe qui pleure
Des souffles qui demeurent
Dans l’ombre qui s’éclaire on s’épaissit,
Dans l’arbre qui frémit, dans le bois qui gémit,
Et dans l’eau qui coule et dans l’eau qui dort,
Des souffles plus forts, qui ont pris
Le souffle des morts qui ne sont pas morts,
Des morts qui ne sont pas partis,
Des morts qui ne sont plus sous terre.
Ecoute plus souvent
Les choses que les êtres…
Birago DIOP
[Les contes d’Amadou Koumba]
Inder Übertragung von Janheinz Jahn:
Erlausche nur geschwind
die Wesen in den Dingen
Hör sie im Feuer singen,
Hör sie im Wasser mahnen
Und lausche in den Wind:
Der Seufzer im Gebüsch
Das ist der Hauch der Ahnen.
Die gestorben sind, sind niemals fort,
Sie sind im Schatten der sich erhellt,
Und im Schatten der tiefer ins Dunkle fällt.
Sie sind in dem Baum der dröhnt
Und sind in dem Baum der stöhnt,
Sie sind in dem Wasser das sich ergießt
Wie im Wasser das schlafend die Augen
schließt,
Sie sind in der Hütte, sie sind im Boot:
Die Toten sind nicht tot.
Erlausche nur geschwind
die Wesen in den Dingen
Hör sie im Feuer singen,
Hör sie im Wasser mahnen
Und lausche in den Wind:
Der Seufzer im Gebüsch
Das ist der Hauch der Ahnen.
Die gestorben sind, sind niemals fort,
Sie sind in den Brüsten des Weibes,
Sie sind in dem Kind ihres Leibes,
Sie sind in dem Streit der sich regt.
Sie sind nicht unter der Erde:
Sie sind in dem Brand der sich legt,
Sie sind in den Gräsern die weinen,
Sie sind in den Felsen die greinen,
Sie sind im Wald, in der Wohnung, im Brot:
Die Toten sind nicht tot.
Sie mahnen uns täglich an den Bund,
An den großen Pakt der uns bindet,
Der unser Los dem Gesetz verknüpft,
Den Taten der stärksten Wesen,
Dem Los unserer Toten die nicht gestorben:
Der Pakt der uns bindet ans Leben.
Das schwere Gesetz das uns knüpft an die
Taten
Des Hauchs der sich legt im Flussbett,
am Ufer,
Des Hauches der Rufer, Der weint in den
Gräsern, im Felsen sich regt.
Erlausche nur geschwind
die Wesen in den Dingen
Hör sie im Feuer singen,
Hör sie im Wasser mahnen
Und lausche in den Wind:
Der Seufzer im Gebüsch
Das ist der Hauch der Ahnen.
Ich ahne schon nach dem wenigen, das ich bisher las und sah, Gerda, daß ich hier unbedingt ein „Like“ hinsetzen muß.☺️
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Nun las ich dies in 3 Sprachen erklingende „Wiegenlied“(?), diese Beschwörungsformel(?), dies Ritual(?). Es wiegt und hüllt uns ein in Rhythmus und Sprache. Für Hawi sehr tròstlich und für viele Naturvölker wohl auch.
Ich würde gern auf die Wesenhaften hinweisen, die das Naturgeschehen lenken und dem Willen des Schöpfers unterstehen.
Über dem Wesenhaften ist aber das Seelische und Geistige des Menschen. Und der Menschengeist strebt zum Lichte und will von daher mithelfen, Licht ins Mythisch-Dunkle zu tragen und somit Bewußtheit und Freiheit. Das ist in uns angelegt, wie ein Ahnen, ein Sehnen, ein Streben.⭐
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Danke für deinen schönen nachdenklichen Kommentar, Gisela.
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Danke, Gerda.☺️
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Wie sich die Mütterlichkeit von Danai gegenüber dem afrikanischen Kind Hawi entwickelt, ist wunderbar und sehr berührend, vorbildlich!💐
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Danke, Gisela. Sie hat ja selbst ein Kind auf der Flucht verloren und richtet nun ihre mütterliche Kraft auf dieses mutterlose Kind, das im selben Teil Afrikas zur Welt kam wie sie selbst.
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☺️
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Domnas Worte für Hawi sind eine gut durchdachte Weissagung, die ganz viel berührt und seinen Weg zeigt. Kein einfacher, aber ich wünsche ihm solche Begleiter wie er sie gerade hat. Fein auch das Lied bzw Gedicht.
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Danke, Mitzi. Als ich die zwei Afrikaner erfand, ahnte ich nicht, wieviel Potential darinsteckt und wie verschieden sich ihre Entwicklung zeigt, bei ähnlicher Ausgangssituation, abhängig vom Lebensalter, Charakter und dem menschlichen Umfeld.
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Das ist vielleicht mit das schöne für dich als Schöpferin dieses Theaters….die Figuren können dich selbst überraschen.
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🙂 Genau! Du kennst das sicher auch bei deinen Figuren. Sie sind ziemlich erfindungsreich und jagen den Autor manchmal ganz schön ins Bockshorn.
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