Griechisches Alphabet des freien Denkens: Ξ,ξ wie ΞΕΝΟΣ (der Fremde)

1024px-xi_uc_lc-svg  (im lateinischen Alphabet wiedergegeben als X wie in Hexe, Xerxes….) ist der 14. Buchstabe des griechischen Alphabets. Im Phönizischen gab es einen S-K-Laut, von dem das griechische ks abgeleitet wurde.64px-phoenicianx-01-svgEs sah aus wie die Mittelgräte eines Fisches.504488424 Ξιφίας (Xiphias) = Schwertfisch.

Das X in der mathematischen Gleichung bezeichnet das Unbekannte.  Als unsichtbare Strahlen entdeckt wurden, die die bis dato unsichtbaren Knochen im lebendigen Organismus sichtbar machten, nannte man sie X-Rays (Röntgen-Strahlen).

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Für den Neugierigen ist X das Unbekannte, noch zu Erforschende. Für den Ängstlichen, der sich nur im Altbekannten sicher fühlt, ist  X  das Fremde, Gefährliche, zu Vermeidende. Der Bedachtsame aber wägt ab.

X ist eine Variable. Das heißt, es kann jede denkbare Größe annehmen. Welche, das müssen wir halt herausfinden, indem wir es befragen. Das X ist ein Fremder, ein Ξένος.

Die Befragung des Fremden war in alten Zeiten die wichtigste Quelle für neue Kenntnisse. Man erfuhr, was in der großen weiten Welt geschah, man ließ sich von Bergen und Meeren und fremden Städten mit fremden Sitten erzählen, man erkundigte sich nach Wegen und Transportmitteln, Waren und Preisen und nach den Materialien, aus denen der Mantel des Fremden gewebt war, man fragte ihn auch nach den Göttern, die er anbetete und wozu sie nützlich waren. So lernte man. Und wenn man selbst reisen musste, konnte man hoffen, irgendwo freundlich aufgenommen und nicht totgeschlagen zu werden.

Wehe dem, der einen fremden Reisenden beraubte oder tötete oder ihm sonstwie Unrecht zufügte! Auf Verstöße gegen die heilige Gastfreundschaft standen schwerste Strafen. Die Götter selbst verhängten sie. Am bekanntesten ist wohl der Mythos von Tantalos, dem Urvater des unglückseligen Geschlechts der Atriden. Er hatte das Gastrecht gleich doppelt missbraucht: Als Gast der Götter hatte er Dinge aus deren Besitz entwendet, und als Gastgeber setzte er den Göttern seinen eigenen geschlachteten Sohn als Speise vor, um ihre Allwissenheit zu testen. Diese Art der „Befragung“ erzürnte die göttlichen Gäste allerdings sehr. Nicht jede Methode ist erlaubt, um das X, das Unbekannte, zu ergründen (heutige Stichworte: Menschenversuche, Vivisektion, Folter).  Die Götter erweckten das Kind wieder zum Leben. Es war Pelops, der Gründervater der Pelops-Insel (Peloponnes).

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Tantalos, der mit üblen Methoden seine Wissbegier befriedigen wollte, wurde schwer bestraft: In alle Ewigkeit wird er hungern und dursten, obgleich um ihn herum alles reichlich vorhanden ist: Wasser und Früchte scheinen in Reichweite zu sein, doch kaum streckt er seine Hand aus, entziehen sie sich seinem Zugriff. Das sind die sprichwörtlichen Tantalos-Qualen. tantalos-aggeio-4aiGut und den Göttern genehm ist, dem X, dem Unbekannten, seine Geheimnisse mit lauteren Mitteln und in freundschaftlichem Gespräch abzulauschen. Wenn du dem Ξένος deine Tür öffnest, wird er seine Erfahrungen mit dir teilen. Verschließt du ihm deine Tür, kannst du nichts dazu lernen. Denk nur! Da kommt so viel Geistesnahrung in deine Reichweite, aber du kannst nicht davon kosten. Angst, Hochmut, Engstirnigkeit, Geiz verschließen dir die Quellen, aus denen du schöpfen könntest. Du bleibst, wie du bist, anstatt dich im lebendigen Austausch mit dem Unbekannten zu bereichern. Schade. Du verlierst, wo du gewinnen könntest.

img_2682https://gerdakazakou.com/2015/07/22/lebe-deinen-mythos/

Du allzu Wissbegierige/r aber, auch du hüte dich, damit deine Begier, dir das unbekannte X gefügig zu machen, nicht zur Hybris wird! Versuche die Götter nicht! Sie könnten dir zürnen und an die Stelle von Wohlstand, Wachstum und Frieden treten Dürre, Hunger, Krankheit und Not.

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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11 Antworten zu Griechisches Alphabet des freien Denkens: Ξ,ξ wie ΞΕΝΟΣ (der Fremde)

  1. Ulli schreibt:

    Ich habe es noch nie gesagt, aber jetzt: wie schön die griechischen Buchstaben und erst die phönizischen sind, es scheint, als ob sie mir direkt aus dem Leben heraus entgegenkommen, natürlich auch, weil du sie erklärst und bebilderst- mag ich sehr!
    Genauso wie deine Gedanken zum Fremden, was ja nun immer und überall gilt, denn fremd ist man sich ja bei der ersten Begegnung sowieso, auch unter sogenannten „Seinesgleichen“ und dann noch ein bisschen fremder, wenn die/der andere eine unbekannte Sprache spricht und noch fremder, wenn er/sie von einem anderen Kontinent kommt- Begegnung braucht immer beide Seiten, dann kann sich das Fremde schnell in etwas Bereicherndes verwandeln. gegenseitige Neugier dafür ist die Voraussetzung, Neugier entspringt dem offenen Herzen.
    Und nun gilt es wieder einmal all dein Wissen über die Unbekannte und Variable zu verdauen. Stimmt, die Variable habe ich jetzt reingemischt.
    Liebe Gerda, ich habe jetzt deinen Kommentar zu therapeutischer Hilfe kopiert und zu meinem morgigen Artikel H = Hilfe hinzugefügt, so schwingt doch unsere Schaukel wieder ganz schön. Ich hatte dich auch im Kommentarstrang gefragt, ist aber wahrscheinlich untergegangen, macht ja nix, oder?!
    Nun hab einen gemütlichen und friedlichen Abend
    herzlichst
    Ulli

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    • gkazakou schreibt:

      Liebe Ulli, das mit der Unbekannten, die eine Variable ist, ist mir schon wichtig. Das stammt zwar aus der Mathematik, aber ich meine es natürlich im übertragenen Sinne. Nie kann man wissen, was hinter einem X steckt, bevor man es „befragt hat“.

      Hier geht ein Dauergewitter nieder, den Computer habe ich schon aus dem Netz genommen. Mein Tag war heute anstrengend, ich glaub, ich setz mich ans Feuer und tu nix mehr. Hier ist es ja auch schon Viertel vor zwölf.
      Morgen ist mein liebster christlicher Feiertag: Taufe und Epiphanias (Erscheinung Christi). Da wird überall das Wasser gesegnet. Gute Nacht! Gerda

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  2. kunstschaffende schreibt:

    Gegenseitigkeit, ist für mich das Schlüsselwort. So kann das Gleichgewicht gehalten werden. Jedes Ungleichgewicht ist auf Dauer Zündstoff. Zu große Armut fördert die Kriminalität und zu große Religionsdominanz wandelt sich in Ideologie. Das soll nur ein Beispiel dafür sein, wenn sich Dinge in eine Richtung bewegen. Auch wenn es auch nicht gerne gehört wird auch Überfremdung ist ein Ungleichgewicht!
    In den Städten gibt es genug Beispiele mit Parallel Gesellschaften, die übrigens gar kein Interesse und keine Neugierde an dem Land haben in dem sie sich niedergelassen haben. Frankreich ist ein Beispiel dafür.
    Ich bin sehr gespannt, wohin uns die großen Völkerwanderungen bringen und wie wir Alle damit Leben müssen.
    Dabei denke ich an die größere Nahrungsbeschaffung, mehr Energieversorgung, mehr Autos und mehr Umweltbelastung durch Müll usw.
    Aber gut, es wird sich schon ein Weg finden, man muss ja schließlich positiv denken!😉

    Liebe gute Nacht Grüße

    Babsi

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    • gkazakou schreibt:

      Ich wollte noch hinzufügen, dass auch ich meine, dass menschliche Beziehungen, aber auch zwischen Mensch und Erde, Völkern und Völkern etc nur gut funktionieren, wenn es einen Ausgleich zwischen Geben und Nehmen gibt. Damit man die „Völkerwanderung“ richtig einordnet, sollte man schauen, ob sie vielleicht Folge eines gestörten Gleichgewichts zwischen Nehmen und Geben ist. Hab einen schönen Tag! Gerda

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      • kunstschaffende schreibt:

        Aufjedenfall Gerda und vielleicht sollte man auch noch hinzufügen, dass es in vielen Völkern Despoten
        gibt, die ihr eigenes Volk peinigen, verhungern lassen und ermorden!
        Und wieder sind wir bei der Gier!
        Kein schönes Thema und danke Dir, dass ich bei Dir meine Gedanken in Worte fassen darf, ohne gleich als Pesimistin, Schwarzseherin und Spaßkillerin hingestellt zu werden. Und noch schlimmer, als Rassistin und Rechtsextremistin!
        Mir geht es um den Wandel, der für alle Menschen lebenswert sein muss und dafür braucht es doch auch die Weitsichtigkeit!

        Ganz herzliche Grüße

        Babsi

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    • gkazakou schreibt:

      Da siehste mal, wie sehr wir von der Sorge beherrscht werden, in ein falsches Schubfach gesteckt zu werden. Gestern las ich bei Ulli, sie möchte keineswegs für blauäugig angesehen werden, und heute bei dir, du möchtest nicht in einer Schublade landen, auf der Rassistin steht. Ach ja. da landet man schnell. Ich werde von eifrigen Linken oft in die rechte Ecke gestellt, und von Griechen in die deutsche Ecke und von Traditionalisten in die feministische, und manche denken wohl auch, die Gerda, die spinnt und wird am Ende noch christlich.
      Die meisten Menschen suchen Parteigänger oder – wenn der andere sich entzieht – Gegner. Nur gemeinsam nachdenken, Argumente austauschen, sehen, in welchen Punkten man übereinstimmt, in welchen nicht, und wo man in der Praxis zusammenarbeiten kann – das wollen die meisten nicht. Da geht dann oft – krach! – eineTür zu, und das Fenster wird auch gleich noch geschlossen.
      Ein Beispiel: Als ich nach der Trump-Wahl sagte: da fällt mir ein Stein vom Herzen, weil die Kalt-kriegerin Clinton nicht gewählt wurde, schauten mich alle verständnislos an und viele hielten das für einen Scherz. Dabei war es mir bitterernst damit. Denn ich hoffe, dass dieser unmögliche Trump vielleicht dazu beiträgt, dass kein Krieg mit Russland angezettelt wird. Und „kein Krieg“ ist für mich weit wichtiger als alles andere. Es ist zwar noch kein Frieden, aber immerhin ein Zustand, in dem ich und die anderen Menschen leben können.

      Ich zucke jetzt mit den Achseln, wenn man mich in eine Schublade stopft. Wer meine Argumente nicht hören will, soll es lassen. Meinetwegen. Von den Menschen, die mich gut kennen, erhoffe ich, dass sie mich dennoch schätzen und irgendwann vielleicht auch verstehen.
      So. das war jetzt ein richtiger Herzenserguss. Liebe Grüße dir! Gerda

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  3. gkazakou schreibt:

    Ich stimme dir in manchem zu: alles mit Maß! Ich nenne es Besonnenheit. Über dem Eingang des Apollon-Heiligtums Das stand übrigens außer dem bekannten „Erkenne dich selbst“ (rechts) das weniger bekannte „Alles mit Maß“ auf der linken Seite. Ich betone extra, dass das X jeden Wert annehmen kann. Man weiß erst, was sich dahinter verbirgt, wenn man es „befragt“ hat. Das stimmt für Menschen wie für Länder und Städte, auch für Natur wissenschaftliche Forschung (zB Röntgenstrahlen, Kernspaltung, Antibiotika…) . Alles und jeder ist fremd, bevor man es sich bekannt gemacht hat.

    Gefällt 1 Person

  4. gkazakou schreibt:

    Hat dies auf MitmachBlog rebloggt und kommentierte:

    Fremdartig? X – der Fremde. Ausnahmsweise von meinem Blog reblogged, weil es so schön passt.

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  5. Pingback: X = das Unbekannte |

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