112 Stufen, 81: Tränen (Paul Verlaine)

Reiner hat ein „Mitmachding“ initiiert. Es geht darum, jeden Tag einen Text zu einem Wort zu posten, das sich auf der Holsteiner Treppe in Wuppertal, verteilt auf 9 Absätze befindet. Es reizt mich, da mitzumachen, allerdings eher nicht mit eigenen Textproduktionen, sondern mit literarischen Assoziationen und Gedichten anderer. Ich bin gespannt, welche Texte, Gedichte, Geschichten jedes dieser Wörter in meiner Erinnerung aufleuchten lässt. All diese Erinnerungen an Gelesenes und im Gedächtnis Aufgehobenes sollen mir einen nachklingenden Teppich weben, den ich über die Stufen lege, um noch einmal hinaufzusteigen.

Das Gedicht von Verlaine (1844 – 1896) habe ich während meiner Schulzeit auswendig gelernt – auf französisch. Wir hatten eine ältliche Französischlehrerin, unverheiratet, klein und mit einem komischen runden Dutt auf dem runden Kopf, der auf einem runden Leib aufsaß. Sie wurde von den Schülern mehr oder weniger liebevoll verspottet. Ich fühlte mit ihr, wenn sie ihr Lieblings-Gedicht rezitierte, und so wurde mir das Gedicht sehr lieb:

Paul Verlaine

Il pleure dans mon cœur

Il pleure dans mon cœur

Comme il pleut sur la ville ;

Quelle est cette langueur

Qui pénètre mon cœur ?

 

Ô bruit doux de la pluie

Par terre et sur les toits !

Pour un cœur qui s’ennuie,

Ô le chant de la pluie !

 

Il pleure sans raison

Dans ce cœur qui s’écœure.

Quoi ! nulle trahison ?…

Ce deuil est sans raison.

 

C’est bien la pire peine

De ne savoir pourquoi

Sans amour et sans haine

Mon cœur a tant de peine !

In der deutschen Übersetzung verliert es viel von seinem Charme, denn es lebt ja weitgehend von den Alliterationen, Wiederholungen und melodischen Lautübergängen. Die Übersetzungen, die ich im Netz fand, gefallen mir nicht. Also gebe ich hier meine eigene möglichst wortgenaue Übersetzung wieder, die auf das Reimschema verzichtet.

Paul Verlaine

Es weint in meinem Herzen

Es weint in meinem Herzen
wie es über der Stadt regnet
Was ist das für eine Trübsal
die mein Herz durchdringt?
Oh sanftes Geräusch des Regens,
auf der Erde und auf den Dächern!
Für ein Herz, dem jemand fehlt
O Gesang des Regens!
Es weint ohne Grund
in diesem Herzen, das angeekelt ist.
Was! Kein Verrat?…
Diese Trauer ist ohne Grund.
Das ist der größte Schmerz
Nicht zu wissen warum.
Ohne Liebe und ohne Hass.
Mein Herz hat so viel Schmerz.

 

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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3 Responses to 112 Stufen, 81: Tränen (Paul Verlaine)

  1. Ein sehr schönes Gedicht! Auch wenn die deutsche Übertragung nicht annähernd an den Originalton herankommt, finde ich, dass es wohl kaum besser möglich ist.

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  2. Ein Herz weint nie ohne Grund,
    nur ist der Kummer oftmals so tief und gut verborgen,
    daß keiner weiß, wo sein Ursprung liegt …

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