Reiner hat ein „Mitmachding“ initiiert. Es geht darum, jeden Tag einen Text zu einem Wort zu posten, das sich auf der Holsteiner Treppe in Wuppertal, verteilt auf 9 Absätze befindet. Es reizt mich, da mitzumachen, allerdings eher nicht mit eigenen Textproduktionen, sondern mit literarischen Assoziationen und Gedichten anderer. Ich bin gespannt, welche Texte, Gedichte, Geschichten jedes dieser Wörter in meiner Erinnerung aufleuchten lässt. All diese Erinnerungen an Gelesenes und im Gedächtnis Aufgehobenes sollen mir einen nachklingenden Teppich weben, den ich über die Stufen lege, um noch einmal hinaufzusteigen.
Das Gedicht von Verlaine (1844 – 1896) habe ich während meiner Schulzeit auswendig gelernt – auf französisch. Wir hatten eine ältliche Französischlehrerin, unverheiratet, klein und mit einem komischen runden Dutt auf dem runden Kopf, der auf einem runden Leib aufsaß. Sie wurde von den Schülern mehr oder weniger liebevoll verspottet. Ich fühlte mit ihr, wenn sie ihr Lieblings-Gedicht rezitierte, und so wurde mir das Gedicht sehr lieb:
Paul Verlaine
Il pleure dans mon cœur
Il pleure dans mon cœur
Comme il pleut sur la ville ;
Quelle est cette langueur
Qui pénètre mon cœur ?
Ô bruit doux de la pluie
Par terre et sur les toits !
Pour un cœur qui s’ennuie,
Ô le chant de la pluie !
Il pleure sans raison
Dans ce cœur qui s’écœure.
Quoi ! nulle trahison ?…
Ce deuil est sans raison.
C’est bien la pire peine
De ne savoir pourquoi
Sans amour et sans haine
Mon cœur a tant de peine !
In der deutschen Übersetzung verliert es viel von seinem Charme, denn es lebt ja weitgehend von den Alliterationen, Wiederholungen und melodischen Lautübergängen. Die Übersetzungen, die ich im Netz fand, gefallen mir nicht. Also gebe ich hier meine eigene möglichst wortgenaue Übersetzung wieder, die auf das Reimschema verzichtet.
Paul Verlaine
Es weint in meinem Herzen


Ein sehr schönes Gedicht! Auch wenn die deutsche Übertragung nicht annähernd an den Originalton herankommt, finde ich, dass es wohl kaum besser möglich ist.
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Ein Herz weint nie ohne Grund,
nur ist der Kummer oftmals so tief und gut verborgen,
daß keiner weiß, wo sein Ursprung liegt …
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Ich finde, Verlaine sagt hier etwas sehr Richtiges: dass es ein großer Schmerz ist, niemanden zu lieben oder zu hassen, sondern völlig leer zu sein. Einen größeren Schmerz gibt es nicht.
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