112 Stufen, 56: Kurzschluss (Heinz Ehrhardt und Bertold Brecht)

Reiner hat ein „Mitmachding“ initiiert. Es geht darum, jeden Tag einen Text zu einem Wort zu posten, das sich auf der Holsteiner Treppe in Wuppertal, verteilt auf 9 Absätze befindet. Es reizt mich, da mitzumachen, allerdings eher nicht mit eigenen Textproduktionen, sondern mit literarischen Assoziationen und Gedichten anderer. Ich bin gespannt, welche Texte, Gedichte, Geschichten jedes dieser Wörter in meiner Erinnerung aufleuchten lässt. All diese Erinnerungen an Gelesenes und im Gedächtnis Aufgehobenes sollen mir einen nachklingenden Teppich weben, den ich über die Stufen lege, um noch einmal hinaufzusteigen.

Immer noch steige ich brav die Holsteiner Treppe hoch, auch wenns manchmal schwerfällt. Und so lande ich nun auf der Stufe mit der Aufschrift „Kurzschluss“. Bei solcher Gelegenheit hauts dann sämtliche Sicherungen durch.

Kurzschluss ist sicher ein modernes Wort, nicht älter als der elektrische Strom, der uns auch andere neue Redensweisen beschert hat, zB „auf der Leitung stehen“. Oder betrifft das den Fernsprechapparat? Nun, egal. Ich rede ja nur drumrum, weil mir nichts Literarisches zu „Kurzschluss“ einfällt. Aber vielleicht darf es „Kurz vor Schluss“ sein? Dann könnte ich mit einem Blödel-Gedicht von Heinz Ehrhardt (1909 –1979) dienen.

Heinz Ehrhardt

Kurz vor Schluss

Schön ist der Wein, bevor er getrunken,
schön ist das Schiff, bevor es gesunken,
schön ist der Herbst, solange noch Mai ist,
schön ist der Leutnant, solang er aus Blei ist.
Schön ist das Glück, wenn man es nur fände!
Schön ist das Buch, denn gleich ist’s zu Ende.

Ein anderes Gedicht fällt mir ebenfalls ein, das auch von „kurz vorm Schluss“ handelt. Ich habe es schon öfter in diesem Blog erwähnt, denn es gehört zu meinen Lieblings-Brecht-Gedichten.

Ja das Meer ist blau, so blau
und das geht alles seinen Gang
und wenn die Chose aus ist
dann fängt’s von vorne an –

Der Matrosen-Tango aus „Happy End“  ist etwas länger als das Gedicht von Ehrhardt, aber was tuts? Wenn das Ende droht, ist es gut, die letzten Minuten auszukosten. Pardon, das ist schwarzer Humor, denn den ganzen Tag denke ich schon an die Atombombe, die  vor 80 Jahren auf die nichts ahnenden Menschen von Hiroschima abgeworfen wurde, und daran, dass sich die Herren und Damen der Politik neuerdings einen Scherz daraus machen, die Menschheit mit Atombomben-Einsatz-Drohungen zu erschrecken.

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Bertold Brecht

Matrosen-Tango 

Hallo, jetzt fahren wir nach Birma hinüber.
Whisky haben wir ja noch genügend dabei
und Zigarren rauchen wir, „Henry Clay“,
und die Mädels sind mir ja auch schon über
na, da sind wir eben jetzt so frei –
ja, da sind wir eben jetzt so frei!
Denn andere Zigarren, die rauchen wir nicht
und weiter wie Birma, reicht dem Kasten der Rauch nicht
und einen lieben Gott, den brauchen wir nicht
und einen Anstand, den brauchen wir auch nicht –
Na also, good-bye!
*
Und das segelt so hin – und das kommt auch mal an
und ein lieber Gott lässt sich nicht blicken
und dem lieben Gott, dem liegt vielleicht auch gar nichts daran
na und wenn, dann muss er sich drein schicken –
Na also, good-bye!
*
Mit „Mensch bei mir nicht!“ und „Na wat denn, mein Sohn!“
und „Fehlt’s wo, dann lass mich’s mal wissen!“
Und ’ne feinere Regung nicht um ’ne Million –
Da wird eben auf alles gepfiffen
*
Ja das Meer ist blau, so blau
und das geht alles seinen Gang
und wenn die Chose aus ist
dann fängt’s von vorne an –
Ja das Meer ist blau, so blau
und das geht ja auch noch lang!
Ja das Meer ist blau, so blau
das Meer ist blau.
x
Hallo, da könnten wir zum Beispiel mal ins Kino gehn,
das kostet Geld das hat doch kein Gewicht.
Ja graue Haare wachsen lassen wir uns nicht.
Leute wie wir, die müssen sich auch mal amüsieren.
Denn für sie, da gibt es keine Pflicht.
Zigarren unter fünf Cents, die rauchen wir nicht
und Schwarzbrot verträgt doch ihr Bauch nicht,
und für’s andere sorgen, das brauchen sie nicht
und mal in sich gehen, brauchen die auch nicht,
das hat sein Gewicht.
x
Und das lebt so dahin – und das stellt sowas an
und ein lieber Gott lässt sich nicht blicken,
und dem lieben Gott, dem liegt vielleicht auch gar nichts daran
und wenn, dann muss er sich drein schicken –
Na also, good-bye!
x
Mit „Mensch bei mir nicht!“ und „Na wat denn, mein Sohn!“
und „Fehlt’s wo, dann lass mich’s mal wissen!“
Und ’ne feinere Regung nicht um ’ne Million –
Da wird eben auf alles gepfiffen
x
Ja das Meer ist blau, so blau
und das geht alles seinen Gang
und wenn die Chose aus ist
dann fängt’s von vorne an –
Ja das Meer ist blau, so blau
und das geht ja auch noch lang!
Ja das Meer ist blau, so blau
das Meer ist blau.
x
Jetzt braucht da nur einmal ein Sturm zu kommen
na ja, da ist’s ja schon das Dock von Birma –
Halt du, das ist doch nur ’ne schwarze Wolkenwand
Mensch und die Wellen, ’s ist ja allerhand!
Mensch, das verschlingt uns ja die ganze Firma –
Ja, da sind wir jetzt glatt am Rand
ja, da sind wir eben jetzt am Rand!
Bald sinkt das Schiff zu Grund, das Meer geht drüber
Und die versunken sind, sieht nur der Hai im See –
Da hilft kein Whisky mehr und keine „Henry Clay“!
Wo’s jetzt hingeht, da geht kein Mädchen mehr mit rüber –
Ja, da heißt’s auf einmal jetzt, good-bye!
Ja, da heißt es eben jetzt, good-bye!
x
Und das Wasser, das steigt, und das Schiff, das versinkt
und ein rettender Strand lässt sich nicht blicken.
Nur ein Schiff, das nicht schwimmt, nur ein Strand, der nicht winkt,
na, da muss jeder sich dreinschicken –
na also, good-bye!
x
Da hört man auf einmal keine großen Reden mehr
da sind sie auf einmal alle ganz klein
da plappern sie plötzlich alle ein Vaterunser her
da will’s plötzlich keiner mehr gewesen sein!
denn jetzt ist’s vorbei.
x
Und jetzt will ich mal was sagen: Das kennen wir schon!
Da wird ein Leben lang das Maul aufgerissen
und steht so was dann vor Gottes Thron
dann wird in die Hosen geschissen.
x
Ja das Meer ist blau, so blau
und das geht alles seinen Gang
und wenn die Chose aus ist
dann fängt’s von vorne an –
Ja das Meer ist blau, so blau
und das geht auch nicht mehr lang!
Ja das Meer ist blau, so blau
das Meer ist blau.

Lotte Lenya interpretiert das Lied kongenial:

 

Nun bleibt mir nur noch der fromme Wunsch, dass die Damen und Herren Politker nicht in einer Kurzschluss-Handlung auf den Roten Knopf drücken!

Ja, das Meer ist blau, so blau…, Foto-Legebild-Collage

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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11 Responses to 112 Stufen, 56: Kurzschluss (Heinz Ehrhardt und Bertold Brecht)

  1. Das erste Gedicht von Heinz Ehrhardt schrieb ich gerade mit Freude in mein Tagebuch. Allerdings verkürzte ich – um des Rhythmus willen – 2 Worte ein wenig:
    1) „.. solang es noch Mai ist“. Aha, den Autokorrektor mußte ich gerade bei mir auch korrigieren.
    2) „..das Glück, wenn man’s nur fände“. Bei Dir steht: „..wenn man es nur fände“, – wenn ich nicht irre.

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  2. Berthold Brechts „schwarzen Humor“ mag ich aber nicht, da er den politischen „Ernst“ sogar noch verstärkt.

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  3. Da sitze ich uns schreibe so
    ins Internet ich setz es do,
    ich schreibe alle Tage
    (s ist manchem eine Plage!)…

    Doch mit einem Male
    kommt her der Elektriker
    damit ich nicht nur prahle:
    s’ist kein Dialektiker.

    Doch kurzerhand und -schluß
    präsentiert er den Kurzschluß.
    Mein Intenet, das ist perdu,
    ich sitzte da, denk nur: Nanü?

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  4. Dein Traumschiff paßt sehr gut in diese Umgebung.

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  5. Tja, der alte Brecht: ich lese das immer noch gerne. Liebe Grüße!

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  6. Ein wundervoller, toller Beitrag, liebe Gerda!
    Brechts Matrosentango kannte ich nicht und hier bei Dir finde ich ihn.
    Danke für alle Deine wundervollen Artikel!

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  7. Ich freue mich, dass Du auch den charmanten Heinz Erhardt auf Deine Treppe setzt. So blödelig finde ich ihn gar nicht.

    schön ist der Leutnant, solang er aus Blei ist.

    Das ist heute schon wieder subversiv. Und war es vielleicht auch damals.

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