Wenn ich sage, ich sei jetzt in Athen, so ist das nicht ganz richtig. Denn Maroussi, wo wir wohnen, ist eine eigene Stadt mit ca 100 000 Einwohnern. Unsere Wohnung liegt an der Grenze zu Melissia, einer anderen selbständigen Gemeinde, die wie Maroussi zu den „Nördlichen Vororten“ Athens gezählt wird.
Früher waren das rein landwirtschaftliche Gebiete, durchströmt von den beiden großen Flüssen Kifissos und Ilissos. Die Namen zeugen noch von der Vergangenheit: Maroussi, eigentlich Amaroussion, ist abgeleitet von der Amarysia Artemis (Artemis der Jägerin), zu deren Ehre im antiken Athmonon (heute Maroussi) periphere Olympische Spiele abgehalten wurden. (Die anderen Orte waren Delphi, Korinth und Nemea). Melissia ist vom Wort „melisses“ für Bienen abgeleitet.
Heute sind beide vollentwickelte Vorstädte. Sie gelten als privilegiert, denn sie liegen an den Ausläufern des Pendeli-Gebirges und damit deutlich höher als Athen, sind durchzogen von Wäldchen und haben ein angenehmes Klima.
In Melissia trank ich heute in einem der vielen Straßencafes meinen Espresso. Das Cafe bestand aus einem zur stark befahrenen Hauptstraße hin liegenden mit Glas geschützten Außenraum, in dem die meisten Plätze besetzt waren, und einem leeren, angenehm stillen Innenraum. Ich wählte einen Tisch in der Tiefe des Raumes, denn ich habe gerne eine Wand im Rücken und eine offene Sicht. Eine Erinnerung aus der Zeit, als unsereins noch in Höhlen wohnte, vermutlich.
Die Dekoration war stark amerikanisch inspiriert, vermutlich hat die Betreiberin entsprechende Erfahrung. Griechen sind bekanntlich ein Auswanderervolk, die Hälfte der Griechen lebt jenseits der Landesgrenzen, davon viele in Übersee (USA, Kanada, Australien), und es gibt ein ständiges Hin und Her.
J. M. Flaggs berühmtes Plakat aus dem Jahr 1917 „I Want YOU for US Army„, das im Ersten und Zweiten Weltkrieg für die US-Armee warb und sicher auch im Dritten seine Verwendung finden wird, hat längst Kult-Charakter. Das Plakat daneben „Nothing great ever came that easy“ hinterließ bei mir ein großes Fragezeichen. Was mag wohl mit „great“ gemeint sein, das niemals so leicht zu erreichen sei? MAGA? Und warum wurde das Wort Came – kam – graphisch hervorgehoben?
Von meinem Platz aus ließ ich den Blick wandern, bemerkte eine kleine wohl nie benutzte Bibliothek und einen vermutlich ebenfalls nie benutzten Kamin mit echten Holzscheiten, und sann nach über die Neon-befeuerte Aufforderung play und LET’S STAY IN BED. Dekor, eine hübsche Geste nur, weiter nichts. Man stelle sich vor, jemand würde die Aufforderung wörtlich nehmen und sich des bequemen orange-roten Sofas als Schlaf- und Spielstätte bemächtigen, die Bücher in Reichweite, und die Holzscheite im Kamin entzünden…





Der etwas simple, aber durchaus liebevolle Versuch eines American Saloons :-)))
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stimmt, mir hat es gut gefallen. Jedes dieser Cafés versucht halt, einen eigenen Stil zu finden.
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Ein bissel ungewöhnlich für ein Straßencafé in Griechenland
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dies ist Großstadt, liebe Bruni, da gibt es andere Entwicklungen als in der Provinz und auf den Inseln. Das typisch „Griechische“ ist da nicht so „in“.
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interessantes Lokal!
zuallererst wäre ich zu den Büchern gegangen und so ganz unbenutzt sieht es mir nicht aus, das Regal
vielleicht ist es ja auch so, wie früher im Café Affenhaus in Worms, wo man Bücher mitnehmen konnte oder welche dazustellen…
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ich habe auch gleich geguckt, was da im Regal stand, ließ es dann aber unberührt. In Athens Innenstadt gibt es etliche Cafés mit Büchern, die auch benutzt werden, auch Kleinstverlage mit Café, wo du sicher Dauergast wärst.
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