Vorgestern kamen die Kosmokomika, 28 Erzählungen von Italo Calvino in griechischer Übersetzung von Antaios Chryssostomides (Antaios Goldmund). Alexander Carmele hatte meine Erzählungen geistesverwandt mit diesen Calvino-Geschichten gefunden, was mir so schmeichelte, dass ich das Buch gleich bestellte. Zwei Seiten konnte ich schon lesen, und so erfuhr ich, dass ein Herr George (sic!) Darwin einst behauptete, der Mond habe sich früher sehr viel näher an der Erde befunden – was für deren Bewohner, darunter auch das erzählende Ich Kfbfk – beachtliche Folgen hatte.
Mit dieser kosmisch erweiterten Perspektive im Kopf reiste ich gestern abend Richtung Athen, um mein Wahlrecht auszuüben.
Heute vormittag steuerte ich die zuständige Grundschule an. Es war ein ziemlicher Betrieb, denn obgleich neuerdings auch Briefwahl möglich ist, scheinen die meisten Wahlberechtigten ihr heiliges Recht doch lieber persönlich auszuüben. Ich begrüße das. Vor ein paar Jahren wurde leider das ebenso heilige persönliche Wahlbüchlein, in dem alle Wahlbeteiligungen durch die Wahlhelfer mit Stempel und Unterschrift dokumentiert wurden, abgeschafft und durch ein zentrales elektronisches Wahlregister ersetzt. Ersetzt wurde auch die Wahlpflicht durch das Wahlrecht. Und nun also die persönliche Wahl durch die Briefwahl? Das ist wie die Ersetzung des Bargelds durch die elektronische Währung. Da bin ich ganz altmodisch und sage: Nein, danke. Ich bin ein Wesen aus Fleisch und Blut, und die zu Wählenden ebenfalls. Schlimm genug, dass ich sie nicht persönlich befragen kann, bevor ich mein Kreuz setze.
Ich warte also geduldig in der Schlange vor der offenen Tür zum Klassenzimmer, durch die ich die Wahlhelfer* beobachten kann, wie sie die Listen kontrollieren und die Wahlurne bewachen. Auch den Kinderzeichnungen neben dem Eingang gönne ich einen Blick.
Dann bin ich an der Reihe: Ich lege meinen Personalausweis vor, mein Name wird auf der Liste gesucht, gefunden (lächelnde Nachfrage: „Vater Hans? Sind Sie aus Deutschland?“) und mithilfe eines Lineals durchgestrichen. Dann händigt man mir einen Stapel Wahlzettel aus, die ein anderer Wahlhelfer* inzwischen zusammengesucht hat. Es sind 36! Und auf jedem Wahlzettel steht eine lange Kolonne von Namen!
Einen Teil des Stapels stecke ich nach getätigter Wahl ein. Vielleicht nutze ich die Rückseiten wie bei früheren Wahlen für Zeichnungen. Hier eine Pinocchio-Zeichnung, die den Geist der Wahlversprechen ganz gut illustriert.

Sechsunddreißig Gruppierungen also mit je vierzig bis fünfundvierzig Bewerbern, denen du deine vier Kreuze geben kannst. Donnerwetter! Zugegeben, das Ziel, einen Posten im Europaparlament zu ergattern, lohnt den Versuch. Außerdem kann man, ob rechts, mittig oder links, endlich mal seine hehren Ziele verkünden und Präsenz zeigen. Ich ziehe blind einen Zettel heraus, verwerfe das Ergebnis aber und wähle doch lieber sehenden Auges.
Das wars. War es das? Mal schauen, was uns die Kinder zum Wahltag zu sagen haben. Da ist der Panagiotis, der ein gestreiftes Katzenwesen mit vier kräftigen Beinen unter strahlender Sonne aufmarschieren lässt. Das Wesen heißt ΧΩΧΑΡΟΥΠΑΚΙ (Chocharupaki)**, nicht Kfbfk wie das von Calvino. Χω-χα (cho-cha. ho-ha) ist starkes Lachen, -aki ist eine Verkleinerungsform wie -chen, -lein. Also offenbar ein nettes Lachwesen.
Chocharupaki heißt auch das Wesen, das Mary gezeichnet hat, aber irgendwie sieht es doch trotz seiner vier kräftigen Beine anders aus als das vom Panagiotis. Ein helles Auge blickt aus rotem bestirntem Gesicht („bestirnt“ Stern/Stirn). Ein bisschen kätzisch ist sie freilich auch mit ihren gelben Öhrlein und dem Schnurrbart
Offenbar haben alle diese kleinen Künstler eine unterschiedliche Auffassung davon, wer oder was dieser Chocharupaki ist. Für Emmanuela ist es klar erkennbar eine Regenbogenkatze. Die weist mit forderndem Blick und Regenbogenschwanz auf einen Baum, der …, ja, was? Trägt der einen Babybaum in der Hand? Und warum versteckt sich ein anderer Regenbogen hinter ihm?
Auch Stefania hält es mit den Regenbogenfarben, und so bin ich versucht anzunehmen, dass die Lehrerin/der Lehrer den Kindern von einem Regenbogen erzählt hat, der als Katze Chochasupaki oder auch Chocharupaki daherkommt. Diese Malerin lässt die Erde zum Ball werden. Die Beine des Katzenwesens machen einen Regen-Bogen,und rechts und links davon wachsen Blümelein auf der gekrümmten Oberfläche der Erde, die Gewitterwolkenfarbe hat, während eine Sonne vom wolkenlosen Himmel strahlt.
Rührend zart mit rotem Näschen und roten Öhrlein schwebt der Chachorupaki von Wassilis Angelos daher. Sein Schwanz gleicht eher einem Flügel (der Zweitname Angelos bedeutet Engel). Seine winzigen Füßlein berühren nicht die Erde mit den zwei blassen Blümchen.
Das rätselhafteste Bild hat Angelos beigesteuert. Ich gebe zu, ich bin einigermaßen verliebt darein, zumal es mich ein bisschen an den Herrn Kfbfk von Italo Calvino erinnert, der über Zeiten zu erzählen weiß, als das Weltall noch gar nicht entstanden war. Und wie das dann alles gekommen ist bis heute, bis zum Wahltag des Jahres 2024.
*“Der Tag eines Wahlhelfers“ ist übrigens eine fabelhafte Erzählung von Calvino, jedem ans Herz zu legen. Da erzählt er, wie es beim Wählen im katholischen Pflegeheim zugeht.
**Das Chocharupaki ist offenbar ein Kindern der 2. Grundschulklasse bekanntes Wesen. Ich schaute im Internet nach, fand dort noch viele Abbildungen und auch ein bebildertes Lesebuch dazu.








Die Erzählungen von Italo Calvino sind fast alle fabelhaft. 🌈
Ich war auch vorhin wählen. So kompliziert wars noch nie zuvor *lach*
LG vom Lu
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Das fand ich auch, lieber Finbar, aber bei Gerda war es scheinbar noch viel komplizierter. Und trotzdem hatte sie Zeit, sich die Kinderbilderchen anzusehen.
Ich hatte zwei Wahlzettel, die ich vor der Wahl schon ausgefüllt hatte und die ich nur noch eintüten mußte, aber dann bekam ich ja noch die Unterlagen für die Europawahl und als ich abgeben wollte, fiel mir ein, ich hatte vergessen, mein Kreuzchen zu machen.
Damit brachte ich die ganze feingestrickte Ordnung durcheinander, denn ich wollte ja unbedingt und nichts Ungültiges einwerfen.
Ich mußte also wieder in die Schlange, aber ganz nach vorne, damit ich möglichst schnell wieder an den abschließenden Tisch kommen konnte.
Leider war die Dame, vor die ich mich stellen mußte, so lächerlich drauf wie ich u. wir lachten ein Weilchen, bis es weitergehen konnte.
Am Ende hab ich es dann tatsächlich doch noch geschafft.
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Nö, schwierig war es bei mir eigentlich nicht. Es gab zwar viel Auswahl,aber wenn man sich entschlossen hat und weiß, was man sucht, gehts einfach. Ich machte nicht mal Kreuzchen, muss man ja nicht, dann ist der Zettel auch gültig.
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*lächel* was für eine feine Wahlgeschichte 🙂
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Was für schöne, hoffnungsvolle Bilder. Danke! Die haben mich fröhlich gestimmt!
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ich glaube, mein Kommi ist wieder im spam, liebe Gerda
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