Ausstellungsbesuch „Back in Athens“ 3: Grauzone (Mensch und Natur)

Altern (1) und Was vom Leben bleibt (2) sind die thematischen Einheiten, die ich bisher besprach. Nun nähere ich mich der „Grauen Zone“ österreichischer Künstler. Ein erklärtes gemeinsames Thema haben sie nicht, aber mir scheint, es ist das Verhältnis von Mensch und Natur, das sie alle drei beunruhigt und inspiriert.

Es sind drei Künstler: Michael Goldgruber, Jeremias Altmann und Andreas Tanzer.

Michael Goldgruber, Jg. 1965,

Michael Goldgruber ist, so lese ich (hier) „auf der Spur der Domestizierung und Vereinnahmung von Natur und der Medialisierung von Landschaftswahrnehmung. Dabei findet er Konstruktionen aus Stahl, Beton oder Holz vor, die als Blickdirektiven die Wahrnehmung von Landschaften steuern sowie Apparate und Architekturen, die der Kontrolle, dem Beherrschen und der Regulation von Naturkräften dienen, oder aber auch durch wirtschaftliche Nutzung veränderte Vegetation und Tektonik.“

Entrance (Eingang) heißt eine seiner Arbeiten, die er in Athen zeigt.

Ein Schock, ein Schmerz, ein Fragezeichen. Was heißt hier „Eingang“? Vielleicht doch eher ein Ausgang, der verstopft wurde mit einem Stöpsel, der sich lösen wird, so dass herausfluten wird mit zerstörerischer Kraft das Zurückgestaute?

Unbeherrschbar ist die Natur, egal welche Eingriffe du vornimmst, Menschlein, sie wird dich überwältigen. Das Klügste ist immer noch, sich demütig ein- und unterzuordnen den Gesetzen, die der großen Natur innewohnen.

 Jeremias Altmann und Andreas Tanzer

Diese beiden österreichischen  Künstler sind, wie ich bei meiner kleinen Recherche im Internet feststelle, sehr verschieden in ihrem Ausdruckswillen. Dennoch arbeiten sie seit ein paar Jahren in einem gemeinsamen Projekt zusammen, das sie „grey time“ nennen. Eine erste Präsentation fand 2019 im Kunsthistorischen Museum Wien statt, wo sie ein synchron gemaltes Diptychon Bruchteile präsentierten (bei Interesse hier nachzulesen). 

Von Andreas Tanzer ist die nachstehende Gravour, die eine Thematik andeutet, die er  in seinem sehr farbigen Hauptwerk ausarbeitet. Ich erkenne eine Berglandschaft, die von allerlei zerstörerischen Wesen heimgesucht wird – oder sind diese Wesen aufgeschreckte Naturgeister, die dem Zerstörungswerk des Menschen nichts als Kopflosigkeit und Chaos entgegenzusetzen wissen?

Jeremias Altmann ist  fasziniert von Maschinen und vom Verfall dessen, was der Mensch als industrielle Strukturen in die Welt gesetzt hat. Anders als die Natur verwandelt es sich nicht nach einem innewohnenden Plan, es folgt nicht den ehernen Gesetzen des Wachsens, sich Entfaltens, Verdorrens, Sterbens und sich Verwandelns in der Erde zu neuem Wachstum – nein! Es verfällt, es wird Schrott, aber es bleibt, es geht nicht weg. Es ist Ausdruck des Bemühens des Menschen, Haltbares, Unsterbliches zu schaffen, indem er der Erde das Leben austreibt.

Die folgenden beiden Arbeiten aus dem Gemeinschaftswerk Altmann-Tanzer sind die für mich interessantesten. Die beiden Künstler, deren Grundimpuls und Ausdruckswillen sehr verschieden ist, malen gleichzeitig an ihrem Werk. Und es ist erstaunlich, was dabei herauskommt: Es verbinden sich die erstarrten mechanischen Welten (Altmann) mit der Lebendigkeit der Naturprozesse (Tanzer). Überwältigt vom Licht geraten die Maschinenwelten in Bewegung, lösen sich aus ihrer Erstarrung wie eisige Gletscher aus Ersatzteilen und Schrott, beginnen zu fließen.

Diese Schein-Verlebendigung führt dazu, dass die tote industrielle Welt, als dessen Erbauer sich der Mensch rühmt,  sich des hilflosen Beschauers bemächtigt. Er wird ergriffen von dem Alptraum einer Welt, in der das einzig Lebendige das Licht ist, das die von totem Stoff ausgefüllte Erde bescheint.

 

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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7 Responses to Ausstellungsbesuch „Back in Athens“ 3: Grauzone (Mensch und Natur)

  1. Avatar von derdilettant derdilettant sagt:

    Die Transformation außer Betrieb gesetzter Maschinen in bildliche Darstellungen finde ich faszinierend. Für mich demonstrieren sie tatsächlich die Nachhaltigkeit entfunktionalisieeter Artefakte, sicher ursprünglich keineswegs geschaffen, um dem Menschen Unsterblichkeit zu verleihen, sondern um Annehmlichkeit in die Welt zu bringen. Ihr ästhetisches Potential zu heben nobilitiert ihren Wert. Ich persönlich habe mich vom Kulturpessimismus als geisteswissenschaftlicher DNA verabschiedet. Danke für die interessanten Ausstellungsberichte!

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      Danke für deine geistreiche Antwort! „Kulturpessimismus als geisteswissenschaftlicher DNA“ ist wohl eine vom herrschenden Geist der Ingenieurwissenschaften abgespaltetenes DNA … Geisteswissenschaft und Kunst nehmen also zur Kenntnis, was der fortschrittsfreudige Mensch als Kollateralschäden abgespalten hat, um es nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen. Ich erkenne und liebe durchaus auch das „ästhetische Potential“ „entfunktionalisierter Artefakte“ und bin wie du für die durch Ingenieur-Genie geschaffenen Annehmlichkeiten dankbar. Dennoch lässt sich nicht übersehen, dass Berge und Meere und Wälder Müllhaufen und Abfallgruben geworden sind, was für das Leben der Menschen und anderer Lebewesen nicht sehr bekömmlich ist.

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      • Avatar von derdilettant derdilettant sagt:

        Ich kann dir leider nicht ganz folgen, liebe Gerda. Natürlich herrscht der Geist der Ingenieurwissenschaften. Da bin ich ehrlich gesagt auch froh, denn weder Geisteswissenschaft noch Kunst erährt uns oder macht uns das Leben annehmlich. Das ist, wenn man so will, die Pflicht . Die Kür (Kultur und Kunst) kommt allsdann und gibt unserem Leben einen Sinn. Auch lebe ich hier in Deutschland nicht inmitten von Müllhaufen und Abfallgruben, sondern erfreue mich tagtäglich an der Natur. Vielleicht ist es in Griechenland anders. Immerhin suchen jedoch viele Touristen diese Land eigens auf, um sich dort zu erholen. Sicherlich war die Natur um 1800 „unberührter“. Aber wie viel mehr Menschen müssen sich seitdem den Planeten teilen! Um es abzukürzen: Ich sehe viele aktuelle Entwicklungen mit Sorge, aber dein negatives Weltbild teile ich nicht. Dafür weiß ich viel zu sehr zu schätzen, in welcher Welt ich lebe.

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      • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

        Müllhaufen und Abfallgruben sind hier auf wenige Orte beschränkt. der Rest ist schon einigermaßen sauber, Aber nicht das ist das Thema, sondern dass die Kehrseite von dem, was uns der technische Fortschritt tagtäglich bringt- und ich leugne ja gar nicht, dass auch ich seine Errungenschaften nutze und genieße – nicht weniger Aufmerksamkeit verdient als die Vorderseite. Dass der Meeresboden auch in großen Tiefen zur Müllhalde wurde, dass die Berge und Flüsse mit Trassen und Leitungssystemen für die Stromerzeugung erschlossen werden, dass die in der Atmosphäre schwebende Mikroplastik unsere Lungen belastet… Ich höre schon auf, du weißt es ja selbst, und so verstehe ich nicht, wo du mir nicht folgen kannst. Deine Argumentation (Pflicht gegen Kür) ähnelt doch sehr dem Brecht-Spruch: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“. Sicher, diese Künstler überbetonen den Aspekt der Zerstörung und bauen ein Drohszenarium auf, das vom heutigen Zustand der Erde etwa gleichweit entfernt ist wie die romantisch verklärten Landschaftsbilder mit Herden und Hirten, doch ihre Prophezeiungen kommen dem, was schon geschieht, ja ziemlich nahe.

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      • Avatar von derdilettant derdilettant sagt:

        Da bin ich ganz bei dir. Was meine Aversion öfter mal triggert ist diese (gerade in kulturgeistig affinen Kreisen) verbreitete Haltung, sich ausführlich in Lamentationen zu gefallen über die von dir genannten Missstände, während der Nutzen des ganzen stillschweigend „kassiert“, sprich: ignoriert wird, für selbstverständlich betrachtet wird. Ich richte mich wohlweislich nicht gegen Kritik, empfinde durchaus Empathie für sensible Naturen, die an all dem wirklich leiden. Meine Haltung zu dem Ganzen ist aber tief geprägt von dem Wissen, dass alles im Leben seinen Preis hat. Wenn billiges Wasser aus Plastikflaschen zu trinken bequem ist, muss ich doch wissen, dass ich damit die Umwelt belast usw. brauche ich nicht weiter ausführen. Zugleich empfinde ich öfter eine (stillschweigende) Glorifizierung früherer Zeiten, als alles noch „echt“ und nicht „entfremdet“, vielmehr „natürlich“ usw. war (was mir eine gesonders gefährliche Ideologie zu sein scheint) Ganz zu schweigen darüber, dass ich Menschen kenne, die den Frust über persönliche Missstände in Leiden über den Zustand der Welt verklausulieren. Aber genug davon. Deine Berichte über dein künstlerisches Leben sind immer anregend, extrem gut geschrieben und reflektiert. Danke dafür nochmal!

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      • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

        Danke dir, ich sehe das ähnlich, halte auch nichts vom Glorifizieren früherer Zeiten. Freilich wird auch unsere Zeit mal „früher“ gewesen sein, und was unsere Nachgeborenen sagen werden, weiß ich nicht. Danke dir auch für die freundliche Worte zum Schluss!

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  2. Avatar von Lopadistory Lopadistory sagt:

    Ja, unbeherrschbar ist die Natur …

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