Tagebuch der Lustbarkeiten: August Macke (über das Leichte und das Schwere)

Gestern vor dem Schlafengehen griff ich mir nach dem Zufallsprinzip ein Buch aus dem Regal. Das tue ich oft, denn ich lese kaum noch ganze Bücher, sondern nur kurze Abschnitte, um drüber nachzudenken, bevor ich einschlafe.

Diesmal traf es das Bändchen „August Macke, Die Tunisreise“ im Dumont Verlag, 3. Auflage 1982. Ich freute mich über den Fang. Denn ich habe mir die schwere Aufgabe gestellt, heitere, leichte, lichtvolle Bilder zu malen, sobald ich die Malerei wieder aufnehme. Und welche Malerei wäre heiterer und liebenswürdiger als August Mackes Tunis-Aquarelle, die er auf der gemeinsamen Reise mit Paul Klee und George Moillet im ersten Kriegsjahr 1914 malte?

Ich las mich dann doch fest. Von Mackes „Gedanken zu Formen der Kunst und des Lebens“ habe ich mir angemerkt:

„Wissenschaft fragt, warum etwas so ist. Kunst fragt nie warum, sie sagt, es ist so oder so, oder hört euch doch nur an, wie es ist. Und wie ist es? Ist es schön, ist es lieblich, ist es tragisch? Ist die Welt etwa nur schön, lieblich, tragisch? Nein, sie ist lebendig.“.

„Wenn man fragt, ‚Wie muss man heute künstlerisch sich ausdrücken?‘, so kann man das selbstverständlich eigentlich überhaupt nicht beantworten.“

„Als Reaktion auf die Ereignisse, die uns umgeben, scheint mir die Entstehung eines Kunstwerkes genauso vor sich zu gehen, wie das Öffnen und Schließen der Blumen durch den Sonnenstrahl. Am-liebsten-Haben ist Unsinn.

Schauen der Pflanzen und Tiere ist: ihr Geheimnis fühlen. Hören des Donners ist: sein Geheimnis fühlen. Die Sprache der Formen verstehen heißt : dem Geheimnis näher zu sein, leben.“

Das sind einfache Gedanken. Kunsthistoriker und Kunsttheoretiker werden ihre Mühe haben damit – was wieder mal beweist, dass nichts schwerer ist, als das Einfache zu begreifen. Umso erfreulicher fand ich dann den Text zu Mackes Leben und Werk von Günter Busch, ursprünglich als Rede zur Eröffnung einer Macke-Ausstellung im Jahre 1948 gehalten.

Natürlich kann ich sie hier nicht wiedergeben. Ich möchte aber doch die Anekdote erwähnen, mit der Busch seinen Vortrag beginnt:

„Es wird erzählt, dass Richard Wagner in einem Münchner Künstlergespräch mit der ihm eigenen Beredsamkeit für die Umkehrung des bekannten Sprichworts vom ernsten Leben und der heitren Kunst eingetreten sei. Heiter müsse das Leben sein – ernst aber die Kunst. Da habe zu allgemeiner Verwunderung ein bisher Schweigender, ein Maler, das Wort genommen. Entschieden habe er dem Musiker wiedersprochen: Nie und nimmer dürfe man die alte Ordnung verkehren und der Kunst den allein ihr zukommenden Glanz des Heitern absprechen wollen.“ (Der Maler hieß Hans von Marees, der es selbst nicht schaffte, seinem Ideal einer heiteren Kunst nahezukommen.)

Günter Busch gibt dann zu erwägen, ob den deutschen Künstlern nicht allzu oft „dunkle Tiefe und düsterer Ernst als ausschlaggebendes Merkmal wirklicher Kunst gelten (….) Wenn dann aber einer gekommen ist, der sich von diesem Vorurteil hat freihalten und freimachen können – dann ist fast immer etwas Besonderes draus geworden, mag auch die Gnade seiner Heiterkeit ihm bei uns manchmal den Vorwurf der Leichtfertigkeit eingetragen haben – man denke an Mozart.“

Die Leichtigkeit, mit der dieser „junge Mann“ nicht nur die reine Farbe, sondern auch die Architektur des Raums handhabte, ist nicht wieder erreicht worden. Er selbst war wenig später tot – einer der vielen Toten des Ersten Weltkriegs. Sein engster Malerfreund und Geistesverwandte Franz Marc folgte ihm ein paar Monate später in den Tod. Die Heiterkeit erlag dem Grauen. Und doch wirkt sie fort und berührt mich jetzt, in einer Zeit, wo das Grauen an allen Fronten wieder aufgestanden ist und nach seinen Opfern ausspäht.

Möge durch alle Dunkelheiten fortwirken und bei vielen wahr werden August Mackes Satz:

„Bei mir ist Arbeiten ein Durchfreuen der Natur“.

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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15 Responses to Tagebuch der Lustbarkeiten: August Macke (über das Leichte und das Schwere)

  1. Wo du das schreibst: Mein Onkel , offenbar Künstler, fiel 1943. Kurz vorher vertraute er meinem zukünftigen Vater im Fronturlaub an , dass er mit großer Sicherheit nicht mehr heimkommen wird.

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  2. Avatar von finbarsgift finbarsgift sagt:

    Ein Lieblingskünstler von mir, schon seit meiner Kindheit … unvergessen.
    Feiner Eintrag 🌟 herzlichen Dank!
    Liebe Abendgrüße vom Lu

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  3. Die Gemälde von August Macke gefallen mir sehr, Gerda.🌞

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  4. Avatar von Peter Klopp Peter Klopp sagt:

    Der Bericht über August Macke hat mir sehr gefallen. Sein schlichtes, aber beeindruckendes, farbenfrohes Bild Helles Haus ist ein Wegzeiger für die moderne Kunst, die sich oft im Abstrakten verliert.

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  5. Die Worte von August Macke sind beeindruckend.“…dem Geheimnis näher sein, leben“.

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  6. Ist das Leben schwer, ist die Kunst leicht. 😊💞 Ist das Leben leicht, ist die Kunst „schwer“, schaut tiefer.💙🌌💫

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  7. Avatar von wildgans wildgans sagt:

    Hört sich alles schön durchfreut an, und ich bin gespannt, wann du deine Malerei wieder aufnimmst!

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  8. So traurig, daß er so früh und so unnütz sterben mußte…
    In Lindau habe ich eine Ausstellung mit wundervollen Bildern von ihm gesehen und immer wieder begeistern sie mich. Diese wärmenden Farben, die Schlichtheit, die ich seinen Bildern wohnt

    Einen wunderschönen Satz hast Du geschrieben, Gerda:
    Nichts ist schwerer als das Einfache zu begreifen!

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