Tagebuch der Lustbarkeiten: Architektur und Finitektur

Architektur ist ein aus griechischen Wurzeln (αρχή – Anfang, Grundlage, τέχνη Kunst, Handwerk) zusammengesetztes Wort und bedeutet etwa „Erste der Künste“.

Ganz oben in der Wertschätzung stehen die Bauten, die für religiöse Zwecke entwickelt wurden – von den anzubetenden Felsen und Steinformationen in der offenen Landschaft über die Tempel als „Haus“ der Gottheit, bis hin zu den Synagogen, Kirchen und Moscheen als Versammlungs- und Anbetungshäuser.

Die Siedlungen und Häuser, Werkstätten und Stallungen, die von Menschen für Menschengebrauch gebaut werden, finde ich jedoch nicht minder interessant. Faszinierend der Formenreichtum, in dem sich nicht nur praktische Bedürfnisse, Vorhandensein und Erschwinglichkeit von Materialien und kulturell geprägte Vorstellungen vom guten Leben spiegeln, sondern manchmal auch des Erbauers Selbst.

Alleinstehende Häuser bilden so  etwas wie den Kontrapunkt zur Melodie einer Landschaft.

Vorgestern auf meiner Wanderung erblickte ich zwei bemerkenswerte Häuser in der Weite der Landschaft, das eine über dem anderen: das obere in jeder Hinsicht perfekt, das andere … Aber sieh selbst.

Zwei Häuser in der Landschaft:

Das obere ist ein „klassisches“ altes Steinhaus, wunderbar ausgewogen in seinen Proportionen, sinnvoll in seinen Details. Erstaunlich ist die große Stützmauer, die es nun schon so lange davor schützt, in die Schlucht hinunter zu rutschen.Es ist bewohnt und bewirtschaftet, wie ich bei einem früheren Spaziergang feststellte.

Das untere Gebäude herangezoomt.

Was soll es darstellen? Ein Haus? einen Tempel welchen Gottes? Etliche weiße Kuppeln, den Kirchen und Moscheen nachempfunden, bilden das Dach, darüber erhebt sich anstatt eines Minaretts oder Glockenturms ein leiterartiger Bogen. Die Fassade wird durch eine Reihe von „Säulen“ gebildet, darüber befindet sich eine Aussichtsterrasse. Dominant ins Auge fällt die Fotovoltaik-Anlage, die das Anwesen wohl strommäßig autonom macht. Das muss es auch sein, sofern es bewohnt wird, denn dort, wo es steht, kann es nicht ans Stromnetz angeschlossen werden.  Das Gebäude scheint ausschließlich aus recyceltem Material zu bestehen. Sein Erbauer – was hat er sich gedacht? Welches ist seine message? 

Finitektur – die letzte der Künste.

 

 

 

 

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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10 Antworten zu Tagebuch der Lustbarkeiten: Architektur und Finitektur

  1. Gisela Benseler schreibt:

    Das ist ja interessant: Architektur heißt: die erste der Künste. Finitektur: die letzte der Künste. Das ist mir neu.

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  2. Gisela Benseler schreibt:

    Die Landschaft ist jedenfalls wunderbar. Das erste Gebäude paßt wunderbar in die Landschaft, prägt sie mit. Das zweite wirkt dagegen unscheinbar und angepaßt.

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  3. Gisela Benseler schreibt:

    Aus der Nähe betrachtet, ist es eher umgekehrt.

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  4. wildgans schreibt:

    Gibt es bei euch kein gestrenges Bauamt?

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  5. Ein ganz scheußlichges Haus…

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  6. derschwarzekater schreibt:

    Hm. Ich verstehe Dich so, dass Du das untere Haus nicht magst. Ich hingegen finde es mindestens reizvoll. Wenn es tatsächlich aus wiederverwendeten Materialien gebaut und energieautark ist, spricht das schon mal sehr für das Haus. Architektonisch ist es arg postmodern-ekletizistisch, ja, das stimmt. Aber etwas mehr Wagemut am Bau, etwas Überwindung rechter Winkel finde ich durchaus wünschenswert. Die Dachterrasse ist hübsch, und die Kuppeln wirken organisch. Ich bin ja leidenschaftlicher Bewunderer Gaudís. Gewiss, zu Gaudí verhält sich dieser Bau wie das Disney-Schneewittchenschloss zum Kölner Dom, und doch: Wenn jemand sich seine vier Wände kreativ an die Seele anpasst, statt nur nach Schema F zu bauen, mag ich das nicht verachten.

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    • gkazakou schreibt:

      Herzlichen Dank für deinen anregenden Kommentar, Ich habs ja offen gelassen, ob mir der Bau „gefällt“, und darauf verwiesen, dass Bauten auch immer Selbst-Ausdruck des Erbauers sind bzw sein können. Ich stimme dir daher zu, dass es eines erheblichen Wagemutes, – oder vielleicht doch eher einer Art Verrücktheit bedarf, um in eine solche Landschaft ein solches Bauwerk zu stellen. Passt das Haus in diese Landschaft? Passt der Mensch, der es erbaute, in dieses Land? Was will er hier? Sich abseits der Augen der Welt selbst realisieren?
      Bauten sind nie nur für den Bewohner, sondern immer auch für die Menschen, die drum herum wohnen, leben, tätig sind, relevant. Sie sind öffentlich, verändern den Raum. Sie sind sozial relevant. Der Olivenbauer, der Hirt von nebenan muss mit dem Bau leben, muss irgendeine Beziehung zu ihm aufnehmen. Ist der Bau für ihn „in Ordnung“, egal, anmaßend, irritierend, dumm, störend… Kommentiert er mit „Verrückte gibts überall auf der Welt“ (Gaudi, dessen Bauten ich in Barcelona anschaute, dürfte ihm unbekannt sein), „soll doch jeder machen, was er will“, „wieso erlaubt die Baubehörde das?“ ? Ich weiß es nicht.
      Mich irritiert der Bau, er reizt meinen Widerspruch, aber auch mein Interesse. Das andere Haus, das alte aus Stein, liebe ich. Es geht mir runter wie Honig. Was die Bewohner angeht – keine Ahnung, ob mir die einen oder die anderen mehr zusagen würden. Denn ich bin ja auch eine Reingeschneite, nicht von hier, ein Unikum. Eine „Ver-rückte“.

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      • derschwarzekater schreibt:

        Danke zurück für die anregende Erwiderung. Mir scheint, hier drückt sich der Widerstreit zwischen Individualität und sozialen Normen aus, der im Leben immer wieder auftaucht. Einerseits darf jeder Mensch nicht nur seine Eigenheit ausleben, sondern sollte das sogar (zuviele Menschen trauen es sich nie), andererseits darf und soll aber auch jede Gemeinschaft Regeln durchsetzen, die dem individuellen Streben Grenzen setzen. Konkret in diesem Beispiel passt ja nicht nur das Althergebrachte in die Landschaft – sonst gäbe es ja nie Veränderung, nie Kreativität. Das Haus ist sicher kein großer künstlerischer Wurf – allein schon der Zusammenprall zwischen den Vertikalen des Wohngeschosses und den Kuppeln der Dachterrasse ist unschön -, aber die Richtung finde ich durchaus sympathisch. Es ist halt ein schwieriger Balanceakt, die Normen zu verändern, ohne sie gleich zu brechen.
        Und was die Sache so ungerecht macht, ist, dass Talent so furchtbar ungleich verteilt ist. Darf denn nur ein Genie die Regeln ändern, während der Stümper sich bescheiden muss? Gestaltungswille und Gestaltungskönnen korrelieren nun mal leider nicht.

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