Impulswerkstatt Bild No.1: Verhüllung und Nacktheit

Dies ist mein zweiter Beitrag zum ersten Bild von Myriades Impulswerkstatt.

Die Gefühle, die dieses leere Gewand in mir an- und aufregt, liebe Myriade, sind zwiespältig. Einerseits verspricht die Kutte Geborgenheit und Schutz. In dieser Hinsicht ähnelt sie der Burka der afganischen Frauen. Zugleich betont sie einen in der christlichen Kirche sehr weit verbreiteten Zug: nämlich Frömmigkeit und gottgefälliges Leben mit Rückzug, Asktentum und Leibfeindlichkeit zu verwechseln. Nackt ist böse. Die Vertreibung aus dem Paradies fällt im Alten Testament zusammen mit dem Moment, als der Mensch erkannte,  dass er nackt war,  Seither ist er angehalten, sich zu verhüllen.

Wie anders empfand das antike Griechenland!  Wie schwelgten seine Bildhauer in der Darstellung der Nacktheit, die gleichbedeutend war mit der Gottähnlichkeit des Menschen. Auch die Götter und Göttinnen waren ja durchaus nackt, sei es die uralte der Erde verwandte Fruchtbarkeitsgottheit, sei es die verführerische Aphrodite – die aus dem Schaum Geborene.

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Gleiches gilt für die männlichen Gottheiten, Krieger und Athleten: sie waren nackt.  Gymnos – nackt – waren die Ringer und Speerwerfer und die jungen und älteren Herren, die sich in den antiken Gymnasien tummelten.

(Abb.: Gott Hermes mit Dionysos als Kind, spätantike Skulptur  von Praxiteles, 390 v. Chr. – um 320 v. Chr.)

Das änderte sich mit dem Aufkommen des Christentums. Nackt war nun gleichbedeutend mit heidnisch. Die Heiden („Nationalen“) wurden verfolgt, ihre Tempel zerstört. Doch die weibliche Nacktheit hat sich in der Kunst trotz der stets lauernden Tugendwächter erhalten. Bildnisse von nackten Frauen sind Legion. (Du kennst vielleicht das Bonmot, Frauen kämen nur nackt ins MoMa. M.a.W: Die Bilder von Künstlerinnen kommen, im Gegensatz zu den gemalten Schönen, eher selten ins New Yorker Museum of Modern Art.)

Nacktheit ist nun der Sexualität zugeordnet. Die unmittelbare Berührung von Haut zu Haut ist außerhalb der Sexualität auf geringste eher symbolische Gesten reduziert und ansonsten verpönt. Inzwischen gilt sie sogar als infektuös. Wer in der Öffentlichkeit Hand in Hand geht, ist verdächtig, wer sich unbekleidet umarmt, ist ein ruhestörendes Ärgernis.

Bleibt also nur der Raum der Kunst. Ich habe eine kleine bronzene Skulptur (der Künstler ist in Griechenland sehr bekannt, leider vergaß ich den Namen).  Es handelt sich um eine geradezu klassische Beziehungsdarstellung:  Der Mann als Hülle, als Thron, als Beschützer der zarteren Frau.

Man kann die weibliche Figur herausnehmen.  Zurück bleibt dann eine leere Hülle mit einem halben Männergesicht.

In gewisser Weise ist es eine Erweiterung der Frau in der Mutterrolle, die den Sohn hält – so wie er immer wieder als Maria mit dem Kind. Der Mann als ewiges Kind, geschützt und genährt durch die Mutter. Damit sie dieser Rolle genügen kann, steht Joseph bereit, ihr seinerseits Schutz zu bieten.

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Mittelalterliche Holzschnitzerei, gesehen in Lübeck, St. Annen-Museum.

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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12 Antworten zu Impulswerkstatt Bild No.1: Verhüllung und Nacktheit

  1. lachmitmaren schreibt:

    Ein spannender Beitrag mit vielen Aspekten, die ich interessant und wichtig finde! Bei der Burka bin ich auch sehr zwiespältig. Einerseits sehe ich durchaus auch den Schutzaspekt. Andererseits macht es mich jedesmal richtig wütend, wenn ich in echt oder auf Bildern Frauen in – wohlmöglich auch noch schwarzen – Burkas sehe. Es weckt in mir das Gefühl, als wolle man ihnen suggerieren, sie müssten sich für ihr bloßes Dasein schämen. Niemand dürfe sie sehen. Denn wenn sie sich zeigen würden, wäre das „sündig“. Der von dir bereits benannte Aspekt der biblischen Eva sozusagen auf die Spitze getrieben … .

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    • gkazakou schreibt:

      Ja, ich sehe es auch so. Die Burka als mitgeschlepptes Gefängnis. Sogar das Gitter tragen sie vor dem Gesicht mit sich herum. Die Kutte ist ein selbst gewähltes Gewand, das freilich auch zum schrecklichen Gefängnis der Seele werden kann. Kennst du Tolstois erschütternde Novelle „Vater Sergius“?

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      • lachmitmaren schreibt:

        Alles, was zum Fanatismus verleitet, kann wohl auch zu einem schrecklichen Gefängnis für die Seele werden. Religionen scheinen dafür besonders anfällig zu sein. Ich kenne die Novelle nicht, aber das Wort „erschütternd“ lässt mich annehmen, dass es dort auch um Fanatismus gehen könnte?

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    • gkazakou schreibt:

      Es geht um einen jungen Mann, der immer „der Beste“ sein will. Er wird zur militärischen Karriere hinerzogen, ist sehr erfolgreich, aber es drängt ihn immer höher. Die wirkliche Spitze kann er nicht erreichen, weil dafür sein Adelstitel nicht reicht. Da beschließt er, in die höheren Kreise einzuheiraten, und zu seinem nicht geringen Glück findet er eine passende Frau. Am Tag vor der Hochzeit gesteht sie ihm, was alle außer ihm bereits wussten: sie war die Geliebte des jungen Zaren gewesen und sollte nun ehrenhaft verheiratet werden. Er ist zutiefst in seinem Selbstwertgefühl verletzt, da er angenommen hatte, um seiner selbst willen ausgewählt worden zu sein, verlässt das höfische Leben und beschließt, Mönch zu werden….. Nun lies aber bitte selbst, Tolstoi ist ein Meistererzähler.

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  2. Myriade schreibt:

    Eine interessante kulturgeschichtliche Betrachtung über Frauenrollen, ein unendliches Thema zu allen Zeiten. Beim Thema „Burka“ werde ich auch aggressiv. Wenn dieses Ding dem Schutz der Frauen dienen soll, könnte man ja genauso gut die Männer anketten, wenn sie denn in diesem Weltbild solche unkontrollierten Monster sind, dass sie beim Anblick einer Frau sofort vergewaltigend über sie herfallen. Im Grunde ist das Männerbild dieser Kultur mindestens genauso furchtbar, wie das Frauenbild.
    Deine Skulptur, liebe Gerda, gefällt mir sehr gut. Eigentlich mag ich dieses Frauenbild nicht wirklich, aber andererseits und überhaupt und so … jedenfalls gefällt mir die Skulptur sehr und bevor ich mich in widersprüchliche Frauenbilder verwickle, grüße ich herzlich und danke für den Beitrag zur Impulswerkstatt !

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  3. ele21 schreibt:

    Eine sehr „Sinn- volle“ Skulptur: das Feine, Zarte, Innere ≈ Weibliche: gehalten vom Gröberen, Starken, Außenbegrenzende≈ Männlichen. So sind Menschen gebaut.
    Danke fürs Zeigen❣️

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  4. Danke für Deinen wundervoll erhellenden Beitrag zum Thema nackt und hüllenlos sein oder züchtig versteckt in Tüchern, Umhängen und anderen Kleidungsstücken.
    In FKK-Zeiten aufgewachsen, zeltend mit den Eltern an jedem Wochenende auf dem *Gelände* mit Gleichgesinnten, zählte Nacktsein für mich immer zur natürlichsten Sache der Welt.
    Jede Freundin und jeden Freund schleppte ich mit dorthin und es war ok.
    Deine Skulptur ist wunderschön und doch verblüfft mich der Mann des Paares als Thron schon sehr, liebe Gerda.

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    • gkazakou schreibt:

      Wwir waren als Kinder auch nackt am Strand – denn es war schwer, Badeanzüge zu besorgen. Unsere Mutter häkelte uns welche, als wir größer wurden. .FKK gabs leider nicht. „Thron“ habe ich den Mann genannt. eigentlich ist er ja nur eine breite schützende Gestalt, auf der die feine Frau Platz genommen hat. Mir gefällt Eles Interpretation (über deiner) sehr gut: das Weibliche und Männliche als Archetypen. Jeder Mensch hat beides.

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      • Oh ja, jeder hat auch Teile des Anderen!

        Gehäkelte Badeanzüge, Gerda. Ich staune. Deine Mutter war eine praktische Frau 🚺
        Ich hatte keinen. Dann einen ersten Bikini und ich gefiel mir darin 😉

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