Eine Rosenblüten-Biografie (und Novalis)

„Heute möchte ich mich zurückbesinnen auf mein Leben als Rosenblüte, denn ich fühle, dass es mit mir bald zu Ende geht. Ein Blick in den Himmel verspricht nichts Gutes. Nicht für mich jedenfalls, denn mein weitgeöffnetes schwach gewordenes Blütenkleid wird dem starken Regen nicht standhalten können. Der Aprikosenbaum über mir bietet keinen Schutz mehr, seine Blätter sind gefallen, sie liegen neben mir auf der Erde und vermodern

Als ich jung war, umwebte mich des Nachts das bleiche Licht des zunehmenden Mondes und am Tage lockte die Sonne mit ihrem Strahlen und ihrer wärmenden Kraft. So wuchs ich heran.

Vor zwei Wochen dann – der Mond hatte sich fast gerundet – war ich in schönster Bereitschaft, mich dem Himmelslicht zu öffnen.

O ja, ich war bereit, und ich öffnete mich wie die Rosenblüten vor mir sich geöffnet haben

und wie die nach mir sich öffnen werden.

Der Regen hat aufgehört.  Ich atme noch einmal ins Licht. Noch ein Weilchen halte ich mein Kleid um mich. Bis zum Schwarzmond vielleicht.

Ich habe nur einen harten mit Dornen besetzten Stab als Stütze, ich, die Rose.“

„Du bist schön“, sage ich zur Rose, „Schönheit ist, was dich ausmacht, immer, auch jetzt. Mit deiner Schönheit bist zu mir eine Stütze, du, die Rose.“

Und damit auch die Dichtung zu Ehren kommt, lese ich der vergehenden Rosenschönheit das Märchen von Hyazinth und Rosenblüt vor, das Novalis in seinen „Lehrlingen zu Sais“ erzählt.

»Wohl«, sagen Mutigere, »laßt unser Geschlecht einen langsamen, wohldurchdachten Zerstörungskrieg mit dieser Natur führen. Mit schleichenden Giften müssen wir ihr beizukommen suchen…

Hier stutze ich. Nein, das ist kein Märchen. Das ist wohl weiter unten im Text.

Ein muntrer Gespiele, dem Rosen und Winden die Schläfe zierten, kam herbeigesprungen, und sah ihn in sich gesenkt sitzen. »Du Grübler«, rief er, »bist auf ganz verkehrtem Wege. So wirst du keine großen Fortschritte machen…Ein Märchen will ich dir erzählen, horche wohl.

Aha, ja, hier geht es offenbar los. Also dann!

Vor langen Zeiten lebte weit gegen Abend ein blutjunger Mensch. Er war sehr gut, aber auch über die Maßen wunderlich. Er grämte sich unaufhörlich um nichts und wieder nichts, ging immer still für sich hin, setzte sich einsam, wenn die andern spielten und fröhlich waren, und hing seltsamen Dingen nach. Höhlen und Wälder waren sein liebster Aufenthalt, und dann sprach er immerfort mit Tieren und Vögeln, mit Bäumen und Felsen, natürlich kein vernünftiges Wort, lauter närrisches Zeug zum Totlachen. …

Wenn du Lust hast, liest du auch die Geschichte, in der von der Liebe zwischen Hyazinth und Rosenblüt erzählt wird und wie es einer langen Irrfahrt bedarf, um…. Zum Glück gibt es ja das Projekt Gutenberg mit dem Volltext der Dichtung : https://www.projekt-gutenberg.org/novalis/sais/sais.html

 

 

 

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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11 Antworten zu Eine Rosenblüten-Biografie (und Novalis)

  1. Lopadistory schreibt:

    Bezaubernd in den Rosenmund gelegt …

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  2. Mitzi Irsaj schreibt:

    Wunderschön zu lesen. Und zu betrachten. Blüten in ihrer Vergänglichkeit…ein feines Bild. Immer wieder.

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    • gkazakou schreibt:

      Danke Mitzi. Auch du weißt von Vergänglichkeit einiges zu erzählen – und legst daher wohl viel Wert darauf, dass alles seine „gewohnte Ordnung und Normalität“ hat

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      • Mitzi Irsaj schreibt:

        Ja, an der hänge ich schon recht. Mal sehen was das neue Jahr bringt. Veränderungen dürfen es ruhig sein, aber etwas weniger „Unordnung“ wäre doch wünschenswert.

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    • gkazakou schreibt:

      Unordnung = aufgezwungene, mit dem eigenen Leben nicht vereinbare Ordnungen..Genau. All diese äußerlich gesetzten Regeln bringen Chaos im Lebensgefühl der realen Menschen hervor. Ordnung muss von Innen aufgebaut werden.

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  3. Gisela Benseler schreibt:

    Danke vor allem für das Zeigen und gedankliche Begleiten Deiner wunderbaren Rosenblüte, Gerda!🌹

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  4. Verwandlerin schreibt:

    Bei Novalis muss ich immer an die Blaue Blume, die die Romantiker suchten, denken.

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  5. und noch in ihrem allerletzten Kleid ist sie wunderschön, die Rose
    * Ich liege in Vogelfedern, hoch ins Leere gewiegt.
    Mir schwindelt. Ich schlafe nicht ein.
    Meine Hand
    greift nach einem Halt und findet
    nur eine Rose als Stütze *

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