Kein „schrecklicher Kalender“ mehr

Heute machte ich – der Abend sank schon – einen großen Spaziergang. Ich ging von zu Hause weg, entschlossen, all die Misere der letzten Zeit, die mir das Herz zusammenschnürt, hinter mir zu lassen. Schnell ging ich die Steigung hoch, immer höher wollte ich hinauf, schnell.  Mir ging die Puste aus, aber die Gedanken wollten nicht weichen. Wie ein aufgeschreckter Mückenschwarm tanzten sie in meinem gemarterten Gehirn. „Schluss jetzt!“ sagte ich, und Schluss wars.

Nun verlasse ich die Straße und gehe auf weichen Wegen, feuchtes Gras unter den Sohlen. Große Pilze stehen darin. Der leicht modrige Geruch nach faulendem Laub nimmt zu, als ich in die dunkle Senke hinabsteige. Hierher reichen die Sonnenstrahlen nicht, selbst im Sommer bleibt es feucht und schattig, sumpfig der Boden. Die gegenüberliegende Seite der Schlucht ist von Zypressenwäldern bedeckt.

Zwischen den Zypressen nimmt die Dunkelheit zu, wird zur Schwärze, aber weiter unten, dem Meere zu, lichtet sich die Landschaft wieder. Alte Ölbäume auf den terrassierten Hängen, Klee, ein uralter Brunnen. Ich finde einen Pfad, der von Terrasse zu Terrasse abwärts führt. Dann aber geht es nicht weiter. Ich höre ein Hupen, ein klappriges landwirtschaftliches Auto wird sichtbar auf dem Feldweg unter mir, hält. Nein, hier sei kein Durchkommen, ich müsse zurück, den oberen Weg nehmen, er würde mich dort aufladen, ruft das Bäuerchen. Danke, rufe ich zurück, danke, aber ich schaffe es schon allein.

Und wandere, nun schon im Dunkel, den Weg zurück. Immer leichter wird mein Gemüt. Der Sichelmond steht über den schwarzen Zypressen, Jupiter und Venus rahmen ihn.  Alle Sorgen fallen von mir ab. Mag geschehen was will.

Da tritt jemand zu mir. Ich erkenne ihn gleich: es ist Will.i. Ich habe ihn schon lange erwartet, denn das Jahr neigt sich dem Ende zu. Seine Stimme ist leicht brüchig, als er zu reden beginnt.

Was wir bereden – darüber schreibe ich dann morgen.

Will.i erscheint wieder als der Alte aus Herculaneum,das im Jahr 79 unterging

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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25 Antworten zu Kein „schrecklicher Kalender“ mehr

  1. So schön Gerda, ja wir müssen wieder die Leichtigkeit des seins finden! Vielleicht kann Dir Will.i. den Weg zeigen! Ich bin schon gespannt darauf, wie es weiter geht!
    Herzliche Grüße zur Nacht!
    Babsi

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  2. Gisela Benseler schreibt:

    Oh Gerda! Dem Himmel sei Dank!🌑🌙

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  3. Gisela Benseler schreibt:

    Gerda, das mußte ich einfach mit anderen „teilen“.🙏❤

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  4. Gisela Benseler schreibt:

    Aber diese innere, wortlose Stille, das ist das Wichtigste. Der Himmel behüte Dich auch weiterhin!

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  5. Peter Klopp schreibt:

    Tolle Aufnahmen, die deine Stimmung gut widerspiegeln! Einfach herrlich!

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  6. Da bin ich froh, denn ich habe mich schon gefragt, wie du das ohne ernsthaften seelischen Schaden bis zum 24. durchhalten willst.

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    • gkazakou schreibt:

      Herzlichen Dank, Andrea! Dasselbe hab ich mich schon am dritten Tag gefragt. Es war ein interessantes Experiment über die seelische Wirkung, wenn man sich bewusst den schlimmen Nachrichten zuwendet. Andere schaffen das, ich aber kann mich nicht genug schützen. Liebe Grüße!

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  7. Arno von Rosen schreibt:

    Ich bin froh, dass dein Herzwieder leichter ist und dankbar für die schönen Worte und Bilder liebe Gerda!

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  8. susannefe2014 schreibt:

    Zypresse heißt mit dem botanischen Namen ‚Cupressus sempervirens‘ – Zypresse immer lebend. Die Fotos sind sehr schön und die Beschreibung von dem Spaziergang mit den verschiedenen Erlebnisstufen. Die Zypressen stehen oft auf Friedhöfen. Das Symbol des ewigen Lebens ist verbunden mit dem Sterben. Etwas stirbt in der Welt und wir verbinden uns mit den Zypressen.

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    • gkazakou schreibt:

      Danke, ganz herzlichen Dank, Susanne! Die Zypressen sprechen immer zu mir, ich habe viel über sie geschrieben und nachgedacht, Sie akzentuieren unsere Olivenwelt auf besondere Art. Sie sind gar nicht so schwarz, wie sie meist wahrgenommen werden (und wie sie gestern ja auch waren), sondern bei entsprechendem Sonnenstand sehr lichtvoll-golden. Und die Singvögel lieben es, von ihrer Spitze herunterzusingen. .Ihre runden Früchte sind wie Miniatur-Weltkugeln. Und mit ihrer senkrechten Gestalt geben sie uns Menschen die aufrechte Haltung vor, zwischen Himmel und Erde.

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      • susannefe2014 schreibt:

        Das stimmt, die gerade aufrechte Haltung kommt noch dazu, eine direkte Verbindung zwischen Himmel und Erde. An Miniatur-Weltkugeln bei den Früchten habe ich noch nicht gedacht, ein schönes Bild. Danke Gerda.

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  9. rotewelt schreibt:

    Die beiden ersten Fotos lassen mich an Bilder von Max Ernst denken, aber ein wenig auch an Böcklin. Puh, liebe Gerda, ich gratuliere dir für deine Entscheidung, dich der Angst nicht mehr auszusetzen und dass du es mit der anstrengenden Wanderung durch die schöne Natur offenbar geschafft hast!

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  10. Friedrich schreibt:

    Liebe Gerda, kürzlich hast Du über Hoffnung und Verzweiflung geschrieben, zwei Pole oder zwei Seiten des ewigen Zyklus, des Da-Seins. Und so (wie vielleicht auch Du) fühle ich mich pendelnd, mal der einen, mal der anderen Seite zugewandt, und wie beim Wippen als Kind ist es schön und kribbelig im Bauch, wenn der Umkehrpunkt passiert ist und die andere Richtung wieder Fahrt aufnimmt. Ich denke, auch die „nur guten Nachrichten“ würden uns bald schal werden ohne den Blick in den Abgrund… Danke dafür, daß Du Deine Gedanken und Gefühle und Dein Wissen teilst – für mich immer wieder anregend.

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    • gkazakou schreibt:

      Danke, Friedrich, für deine immer so wohlwollende, verständnisvolle Resonnanz. Ich gebe dir recht mit deiner Wahrnehmung, dass wir zwischen Polen hin und her schaukeln, mit Huch und Juchz. Ich erinnere mich, dass ich diesen Durchgang durch den Punkt, an dem die Richtung sich ändert, schon früh mit großer Aufmerksamkeit verfolgte. Noch mehr in die Höhe da würde ich hinabstürzen. Also ist der einesteils enttäuschende Rückschwung auch beruhigend. Er gibt zugleich die Energie für den nächsten Aufschwung.
      Immer schon mochte ich es, selbst Tempo und Höhenflug zu bestimmen. Angestoßen zu werden von anderen – nein, das mochte ich nicht, da fühlte ich mich ausgeliefert, da fehlte mir das Vertrauen. Höchsten die Mutter hätte es gedurft.
      Im Erwachsenenleben ist uns die physische Schaukel meist versagt (ich setze mich freilich dann und wann heimlich auf eine und schaukele ein bisschen), dafür setzen uns die Schaukelbewegungen heftig zu, die uns über die Medien als Weltereignisse anstoßen. Nun bin ich an einem Punkt angelangt, wo ich den Auf- und Abschwung meiner Seelenstimmung nicht länger von den hoffnungsvollen oder schrecklichen Nachrichten“abhängig machen möchte. Aber natürlich werde ich sie weiter verfolgen.

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  11. Ich freue mich, daß Du einen Weg gefunden hast,
    der Dein Herz wieder leichter machte, liebe Gerda!
    Es war wichtig…

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  12. Myriade schreibt:

    Das freut mich sehr für dich. Es sind ja nicht nur die Nachrichten und Neuigkeiten auch so manche Begleitung bei deren Auslegung und Einordnung ist weder dem eigenen Frieden noch dem Frieden mit der umgebenden Welt förderlich . Einen schönen Abend wünsche ich dir

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  13. Johanna schreibt:

    Da fühlte die Natur sich so nah an und der Himmel so gross und weit… was für ein befreiendes Erlebnis 💫🌙

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  14. nandalya schreibt:

    Liebe Gerda, deine Berufung ist es Schönheit und Kunst zu zeigen. Du hilfst den Menschen damit in dieser Zeit. Vielleicht auch den Kriegern des Lichts.

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