Zeige deine Wunde – ein therapeutischer Ansatz (mit Zeichnung, Malerei)

„Zeige deine Wunde“ ist der Titel einer Installation von Josef Beuys. „1979 wurde Zeige deine Wunde für 270.000 DM von der Städtischen Galerie im Lenbachhaus angekauft und am 22. und 23. Januar 1980 von Beuys dort installiert“ (wikipedia).

Als ich gestern ein Bild dieses Titels machte, hatte ich nicht Beuys im Sinn, sondern den zehnjährigen Jungen, der mich nach einer Therapiestunde grad verlassen hatte. Wir hatten u.a. ein wenig gezeichnet. „Willst du malen?“ fragte ich ihn. „Ich habe es jetzt nicht mehr so mit dem Malen“, meinte er ausweichend. Es gehe ihm nicht mehr so von der Hand. „Aber du wirst doch eine Farbtube ausdrücken und damit malen können?“ Ich machte es ihm vor, und auch wie ich dann mit dem roten Kuli nachhelfe, das Ganze unterschreibe,  rahme und zur Auktion bringe. Dort wird das Bild, beginnend mit zehntausend Dollar, versteigert.

„Das Blau fliegt trotz der Hindernisse“, unterschrieben Kaz

Wir lachen und er malt seine Version. „Um einen guten Preis zu erzielen, muss dein Bild auch einen Titel haben“, sage ich ihm. Und so schreibt er als Titel hinzu: „Eine Farbe ist wie 1000 Wörter“.

„eine Farbe ist wie tausend Wörter“, Farbzeichnung, unterschrieben von K

Als K weg war, dachte ich wieder nicht an Beuys, sondern an den anderen K, der „Ein Landarzt“ geschrieben hat, in dem es ebenfalls um einen Jungen und eine Wunde geht. „Armer Junge, dir ist nicht zu helfen. Ich habe deine große Wunde aufgefunden; an dieser Blume in deiner Seite gehst du zugrunde“ -heißt es dort. Und etwas weiter: »Mit dieser Entschuldigung soll ich mich begnügen? Ach, ich muß wohl. Immer muß ich mich begnügen. Mit einer schönen Wunde kam ich auf die Welt; das war meine ganze Ausstattung.« »Junger Freund,« sage ich, »dein Fehler ist: du hast keinen Überblick. Ich, der ich schon in allen Krankenstuben, weit und breit, gewesen bin, sage dir: deine Wunde ist so übel nicht. Im spitzen Winkel mit zwei Hieben derHacke geschaffen. Viele bieten ihre Seite an und hören kaum die Hacke im Forst, geschweige denn, daß sie ihnen näher kommt.« 

Und ich übermalte eine Kohlezeichnung mit rot. Dann faltete ich die Zeichnung zusammen, machte ein geschlossenes Päckchen draus, denn seine Wunden trägt man besser nicht zur Schau, oder?

„versorgte Wunde“, zusammengefaltete Zeichnung.

Da erst fiel mir Beuys ein, der erklärend zu seiner Installation sagte: „„Zeige deine Wunde, weil man die Krankheit offenbaren muß, die man heilen will.“ Und ich entfaltete das Blatt und zeige die Wunde.

Und nun scheint mir, als klänge hinter mir

der neue, aber irrtümliche Gesang der Kinder:

»Freuet Euch, Ihr Patienten,
Der Arzt ist Euch ins Bett gelegt!«

(Kafka, Ein Landarzt)

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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20 Antworten zu Zeige deine Wunde – ein therapeutischer Ansatz (mit Zeichnung, Malerei)

  1. Eine Farbe ist wie tausend Wörter, was für ein beeindruckendes Zitat dieses Jungen!

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    • gkazakou schreibt:

      Danke, ja, Babsi, und ich denk darüber nach, wie er damit weiterarbeiten kann. Ich habe ihn zuvor Lieblings- und weniger geliebte Farben zu Gruppen zusammenstellen lassen und dann Farben für Familienmitglieder und Freunde aussuchen lassen. Dazu machte er auch sehr interessante Bemerkungen.

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  2. Christiane schreibt:

    Ach, Gerda, ich verstehe es zwar nicht (mit dem Kopf), aber es berührt mich gerade unerwarteterweise sehr. Hab Dank. 😢🧡☁️👍

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  3. Verwandlerin schreibt:

    Großartiger Beweis, dass Kunst berühren muss. Wehtun wäre wohl ein Brecht’scher Ansatz.

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  4. Eine schöne Verbindung der Realität mit Kunst, Literatur und Psychologie…

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  5. Myriade schreibt:

    Großartig dieses tiefgehende, herausspringende Rot …

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  6. kopfundgestalt schreibt:

    Solche Artikel liebe ich …
    Fein, sehr fein!

    Und was ist mit dem Therapeuten, wenn er nicht helfen kann?

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    • gkazakou schreibt:

      Was Therapeuten vielleicht können, ist, Selbstheilungskräfte im Hilfesuchenden anzuregen und zu unterstützen. Ob das gelingt, hängt einerseits von der Geschicklichkeit und Empathie des Therapeuten, andererseits von der Bereitschaft des Hilfesuchenden ab, seine Verhaltensweisen bzw seine Situation zu ändern.
      Am Ende einer Sitzung sage ich zu mir: Ich habe das Beste mir Mögliche gegeben. Das weitere ist nicht mehr meine Sache. Manchmal ist diese Distanzierung sehr schwer, aber ohne sie kann man den Beruf nicht ausüben.

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      • kopfundgestalt schreibt:

        “ Ich habe das Beste mir Mögliche gegeben“
        Du bist in eine der möglichen Richtungen losgegangen, eine von vielen.
        Hilfreich und ehrlich wäre es, dem Klienten am Anfang einer Therapie zu sagen: Es KANN evtl. helfen.

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    • gkazakou schreibt:

      Ja, selbstverständlich gehört das auch zur Ehrlichkeit. Im Vorgespräch (bei Neukontakten) erläutere ich meinen Ansatz, manchmal sage ich auch: ich weiß nicht, ob ich Ihnen bzw dir helfen kann, und am Ende frage ich meistens, was er-sie von der Sitzung evtl mitgenommen hat. Selbstverständlich ist der Ratsuchende frei, einen weiteren Termin auszumachen, oder regelmäßige Termine über einen gewissen Zeitraum festzulegen oder zu sagen: das wars jetzt.

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      • kopfundgestalt schreibt:

        Was Du ja auch sagtest: Es gibt die Selbstheilungskräfte und auch den Widerstand.
        Der Widerstand ist meist sehr stark.
        Insofern ist das Tun des Therapeuten manchmal eine Sysiphusanstrengung.

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  7. wolkenbeobachterin schreibt:

    den satz des jungen bzw. seinen bildtitel finde ich auch großartig. und von den bildern gefällt mir das mit der „gefalteten wunde“ sehr.
    es gibt übrigens auch eine dokumentation über/zu beuys mit gleichnamigem titel, also „zeige deine wunde“. habe ich zufällig zuhause. 🙂 eine sammlung an interviews von leuten, bei denen er gelebt hat, von freunden, schülern. und auch von ihm einiges. und über seine projekte. ich fands sehenswert. nur für den fall dass diese doku deinen weg kreuzen sollte – mir hat sie gefallen.

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  8. Das Auseinanderfalten des Blattes beeindruckte mich sehr.
    Kam der Junge selbst auf den klugen Spruch *Eine Farbe ist wie 1000 Wörter“, Gerda?

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